Der Appetit auf Tier ist Wolfgang Schorlau bei seiner Recherche zu seinem neuen Buch gründlich vergangen. In „Am zwölften Tag“ führt er die Fleischindustrie vor.

Stuttgart - Höchstwahrscheinlich wird dies der Standardsatz zur Weiterempfehlung von Wolfgang Schorlaus neuem Roman „Am zwölften Tag“, den der Autor morgen in der Liederhalle vorstellen wird: „Lies mal das, danach isst du kein Fleisch mehr.“ Ja, auch Schorlau positioniert sich nun ganz klar in der Debatte über Essgewohnheiten und Massentierqual, um Gaumenkitzel und Veganerstrenge. „Seit ich mich mit den Methoden der Fleischindustrie beschäftige“, schreibt der Stuttgarter Krimiautor im Nachwort, „mache ich einen großen Bogen um jede Fleischtheke und jede Tiefkühltruhe im Supermarkt.“

 

Dabei lässt Schorlau seinen Privatdetektiv Georg Dengler im siebten Fall gar nicht selbst die mafiösen Strukturen des Fleischgewerbes recherchieren. Dengler sucht nach seinem Sohn Jakob, den er auf einer Barcelona-Reise wähnte. Bis ihm eine SMS klarmacht, dass sich das Handy seines Sohnes in der Hand eines Fremden befindet.

Der Leser weiß da bereits mehr als Dengler. Der 18-jährige Jakob bewegt sich seit einiger Zeit in einem Freundeskreis, der sich von der privaten Verweigerung des Fleischkonsums hin zur Kampagnen- und Aufklärungsarbeit entwickelt hat. Mehrfach schon sind die jungen Leute nachts mit der Infrarotkamera in Stallanlagen eingedrungen, um die Zustände dort zu dokumentieren. Die Barcelona-Reise dient als Deckgeschichte einer neuen Unternehmung, bei der Jakobs Team in einen Hinterhalt läuft.

Dass Dengler zunächst einmal herausfinden muss, wofür sich sein Sohn in letzter Zeit interessiert hat, dass er nur nach und nach an die passwortgeschützten Ordner auf Jakobs Rechner herankommt, die Erkenntnisse über die Zustände in der Fleischindustrie enthalten, ist Teil einer Art Mauerschaustruktur des Romans.

Die Wahrheit wird ihr eigener Feind

Schorlau führt uns nur selten das Tierelend und die Industrieprozess gewordene Grausamkeit als Teil der Handlung vor Augen. Er geht wohl von der Annahme aus, dass solche Beschreibungen wie bestimmte Bilder im Fernsehen und im Internet derart schockieren, dass auch Interessierte wegschauen und mit Verdrängen beginnen. Die Wahrheit wird dann ihr eigener Feind.

Also legt Schorlau Filter über das Grauen, schafft die Illusion einer Erschütterung zweiter Ordnung. Dengler erarbeitet sich Jakobs Aufzeichnungen, Jakob erinnert sich, wie ihm das Mädchen Laura einst in Gesprächen die Augen für den Massentierhorror öffnete, ein Fleischkonzerninhaber erzählt uns aus der Distanz smarter Gefühllosigkeit heraus von den Mechanismen des Geschäfts, von den PR-Kampagnen zur Absatzerhöhung und vom politischen Flankenschutz globaler Marktstrategien.

Auch diese Filter machen „Am zwölften Tag“ noch nicht zu leichter Lektüre. Man erfährt, was mancher lieber nicht wissen will, zum Beispiel, wie Kälber, deren Fleisch der Konsument schön hell haben möchte, vor der Schlachtung wirklich leben. „Niemals auf die Weide, kein Grünfutter. Grünfutter färbt das Fleisch rot. Die Kälber bleiben in einem Ministall. Nicht größer als 80 mal 120 Zentimeter. Ihre Muskeln sollen verkümmern, damit sich nur das weiße Fleisch entwickelt.“

Der Coup lässt sich nicht wiederholen

Den Kriminalroman als Instrument gesellschaftlicher Aufklärung zu nutzen, das war Schorlaus Programm von Anfang an. Diese Krimischule aber hat mit programmimmanenten Problemen zu kämpfen. Zum Beispiel muss sie die enthüllten Wahrheiten in Handlung auflösen, also den Info-Dump vermeiden, wie die Angelsachsen das Abladen großer Informationsmengen in Kipplastermanier nennen.

Im vorigen Dengler-Krimi „Die letzte Flucht“, der sich dem Gesundheitswesen und der Pharmaindustrie widmete, hat Schorlau mit viel Chuzpe den sonst spannungstötenden Info-Dump als kriminellen Akt inszeniert und zum Spannungsträger gemacht. Ein Pharmamanager wurde entführt und zu seinem Geschäftsgebaren verhört.

Dieser Coup lässt sich nicht wiederholen. „Am zwölften Tag“ erstarrt zwar nie zum bloßen Tageslichtprojektor von Zahlen, Statistiken und Schlachtszenarien, aber gerade seine Bewegungen wirken oft wie Ablenkungsmanöver vom Info-Dump-Charakter vieler Passagen. Das ist deshalb auszuhalten, weil Schorlau uns so ein grusliges, stimmiges, horizontweites Bild der Fleischproblematik liefert.

Kämpferisches Nachwort

Es geht nicht nur um Tierrechte, es geht um die Ausbeutung osteuropäischer Billiglohnarbeiter, um die Zusammenarbeit von  Fleisch- mit Menschenhändlern, um rechtsfreie Räume und systematische Attacken auf die Gesundheit der Konsumenten. „Am zwölften Tag“ steht eher in der Tradition von Upton Sinclairs Schlachthofroman „Der Dschungel“ als in der bloßer Tierschutzbroschüren – auch wenn er das Schreien der Kälber hörbar machen will.

In seinem Nachwort wird Schorlau so deutlich wie der kämpferische Sinclair nur je: „Nach der Recherche zu diesem Buch kann ich begründet sagen: Eigentümer und Manager der Fleischindustrie sind in jeder Hinsicht unterste Schublade. Ausnahmen habe ich nicht gefunden. Die Tiere, die für diese Industrie ihr Leben lassen, werden vom ersten bis zu ihrem letzten Tag systematisch misshandelt und gequält. Wenn Jakob in diesem Buch sagt, die Tiere hätten keinen einzigen glücklichen Tag in ihrem Leben, hat er recht.“