Stuttgarts OB Wolfgang Schuster hat die Ankündigung seines Abschiedes mit einer programmatischen Rede über die Zukunft der Großstadt verbunden.
Stuttgart - Es herrschte gespannte Erwartung am Montagvormittag kurz vor elf Uhr im großen Sitzungssaal des Stuttgarter Rathauses. Nach und nach waren sie eingetroffen, die Führungskräfte der Landeshauptstadt: Bürgermeister, Stadträte, Amtsleiter und Geschäftsführer der Beteiligungsunternehmen. Kaum einer der geladenen Gäste hatte sich den Empfang entgehen lassen wollen, zu dem Oberbürgermeister Wolfgang Schuster (CDU) geladen hatte.
Denn zwar war eine Zwischenbilanz nach 15 Jahren Schuster'scher Regentschaft in Stuttgart angekündigt, aber auf der Veranstaltung wollte der Amtsinhaber auch erklären, ob er sich im Herbst zum dritten Mal um den Chefsessel im größten Rathaus des Landes bewerben wird. Viele in der illustren Runde nahmen noch Wetten an, dass der OB "es noch einmal machen" wird, wie es hieß, jener OB, der in den vergangenen Monaten durch einen noch größeren Tatendrang aufgefallen war als ohnedies und sich durch das Votum für Stuttgart 21 bei der Volksabstimmung beflügelt fühlte.
Die Familie machte sich Sorgen
Gegen 11.35 Uhr waren diese Auguren eines Besseren belehrt: Wolfgang Schuster verzichtet auf eine Kandidatur und hört am 7.Januar 2013 auf. Vor allem drei Gründe nannte er in seiner Rede. Erstens: Stuttgart stehe im Vergleich zu anderen deutschen und europäischen Städten in allen wesentlichen Feldern "objektiv hervorragend" da. Zweitens: wesentliche Weichen für eine weitere positive Entwicklung seien gestellt; allein in der Innenstadt würden in den nächsten drei Jahren mehr als eine Milliarde Euro von privaten Bauherren investiert.
Und drittens: Stuttgart 21 befinde sich im Bau. Angesichts der insgesamt guten Lage könne er "ruhigen und guten Gewissens das Steuer abgeben". Dies zumal sich die Familie freue, nach 27Jahren als Bürgermeister und Oberbürgermeister den Ehemann, Vater und Großvater "nicht irgendwann, sondern von 2013 an öfters zu sehen".
Wolfgang Schuster, verheiratet mit der Ärztin Stefanie Schuster und dreifacher Vater, ist im Sommer vergangenen Jahres gleich zweimal Opa geworden. Zudem hatte die Familie sich zunehmend Sorgen gemacht, ob die neuerliche Tortur eines Wahlkampfes und die kräfteraubende Aufgabe als zweitmächtigster Mann im Land hinter dem Ministerpräsidenten nicht irgendwann doch gesundheitliche Folgen zeitigen könnten. Als warnende Beispiele dienten seine Vorgänger: Arnulf Klett, der 1974 noch im Amt an Herzversagen gestorben war, und der an Parkinson leidende Manfred Rommel.
"Welle der Unterstützung"
Mehr als eine halbe Stunde hatte der 62-jährige Schuster vor den Zuhörern und vor sich selbst für ein Weiter-so plädiert, als er sichtlich bewegt die entscheidenden Sätze formulierte: nämlich vom 7. Januar 2013 an die Verantwortung in andere Hände zu legen. Und so wurde offenkundig, dass bei der Entscheidung zwei Herzen in seiner Brust geschlagen" haben, wie auch Stuttgarts Kämmerer Michael Föll (CDU) formulierte. Die ganze Zeit davor hatte der Amtsinhaber nämlich Argumente für eine Kandidatur aufgezählt - und viele Zuhörer zusätzlich auf eine falsche Fährte geführt.
Schuster sprach von einer "Welle der Unterstützung" und vielfältigen Ermutigungen, nochmals anzutreten. Seinen politischen Mentor und Vorgänger Manfred Rommel nannte er zuvörderst, der krankheitsbedingt nicht an dem Empfang teilnehmen konnte. Und er gab den Hinweis, auch künftig eine nachhaltige Rathauspolitik betreiben zu wollen.
Dabei sei es von Vorteil, dass ein OB in Baden-Württemberg auf acht Jahre gewählt sei: "So kann er langfristig angelegte Programme und Projekte verfolgen, ohne jeden Tag danach schielen zu müssen, ob sie gerade populär sind oder nicht." Dies sollte übrigens eine der ganz wenigen Stellen sein, an denen Schuster direkt oder indirekt Bezug nahm auf das Streitthema Stuttgart 21, das die Stadtgesellschaft seit Jahren spaltet.
Gehobene Taktzahl auch im letzten Jahr
Er selbst ist bei den Gegnern des Milliardenprojekts zur Zielscheibe der Kritik geworden, die sich nicht ernst genommen fühlen mit ihren Sorgen. "Nicht zuletzt will ich mich intensiv bemühen, Brücken zu schlagen, zu denen, die Stuttgart 21 ablehnen", sagt er jetzt und stimmt versöhnliche Töne an: "Ich respektiere, dass jeder seine Meinung dazu hat. Ich hoffe, dass die Gegner auch respektieren, dass eine Mehrheit der Stuttgarter und eine breite Mehrheit im Land die Neuordnung des Bahnknotens und die Neubaustrecke positiv bewerten."
In weiten Teilen freilich geriet Schusters mit reichlich Eigenlob gespickte Rede zu einer Art politischem Vermächtnis und zu einer programmatischen Abhandlung über die Herausforderungen in der Großstadt - mit bemerkenswert grünem Anstrich. Der OB hob unter anderem darauf ab, mit dem Programm für eine kinderfreundliche Stadt den dramatischen Rückgang des Nachwuchses gestoppt und mit dem "Bündnis für Integration" schon vor zehn Jahren eine vorbildliche Migrationspolitik eingeleitet zu haben.
Er verteidigte aber auch den vor zehn Jahren erfolgten Verkauf der städtischen Anteile an der Energie Baden-Württemberg: "So richtig der Ausstieg aus der Kernenergie bereits damals war, so wichtig ist es jetzt, mit den neu gegründeten Stadtwerken die Energiewende zu gestalten." Damit war nicht zuletzt der Hinweis gegeben auf die Agenda bis zu seinem Ausscheiden. Kämmerer Föll jedenfalls ist sicher, dass der OB auch in seinem letzten Jahr als Rathauschef "eine Taktzahl vorgeben wird, die der Verwaltung Mühe macht zu folgen".