Die wohl mächtigste Protestbewegung Amerikas steckt zwei Jahre nach ihrem Start in einer ernsten Identitätskrise.

Washington - Sie werden pinkfarbene Mützen und freche Plakate tragen. Im ganzen Land werden sie einen Tag vor dem zweijährigen Amtsjubiläum von US-Präsident Donald Trump auf die Straßen gehen und ihre Empörung zum Ausdruck bringen – über den Präsidenten, seine sexistischen Sprüche und seine Schweigegeldzahlungen an Ex-Geliebte. Und dennoch wird der Women’s March on Washington an diesem Samstag nicht die politische Wucht entfalten wie noch 2017, als alleine in Washington mehr als 500 000 Frauen demonstrierten.

 

Zwei Jahre nach ihrem kometenhaften Start steckt die wohl mächtigste Protestbewegung Amerikas in einer ernsten Identitätskrise. Einige ihrer Anführerinnen sehen sich mit Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert, vor Gericht streiten sich Schwesterorganisationen um die Namensrechte, und lokale Gruppen in eher konservativen Regionen des Landes fordern statt des idealistischen Kampfes für Bürgerrechte einen eher pragmatischen Ansatz zur Veränderung der politischen Mehrheiten. Nirgendwo wird die Zerrissenheit der Bewegung so deutlich wie in New York, wo am Samstag zwei konkurrierende Frauenmärsche durch die Straßen ziehen werden.

Was will die Gruppe sein?

Bei den Debatten geht es um das Verhältnis von linksliberalen Juden und farbigen Aktivisten in den USA, um Stadt-Land-Konflikte und um die künftige Kernbotschaft des Protestmarsches. „Bei der ersten Demonstration 2017 waren der Schock über Trumps Wahl und die damit verbundenen Sorgen stark genug, um die Koalition zusammenzuschweißen“, sagt die Soziologieprofessorin Nancy Whittier vom Smith College im US-Bundesstaat Massachusetts: „Es wäre ein Wunder gewesen, wenn das für lange Zeit gehalten hätte.“ Der Women’s March, so die Wissenschaftlerin, müsse nun herausfinden, was er eigentlich ist: ein breites Anti-Trump-Bündnis, eine feministische Avantgarde oder eine Aktionsgruppe gegen sexuelle Gewalt.

Überschattet wird dieser schwierige Selbstfindungsprozess von Antisemitismus-Vorwürfen gegen die überwiegend nicht-weiße Führungsriege des Marsches. Während die muslimische Co-Vorsitzende Linda Sarsour von israelfreundlichen Kräften attackiert wird, weil sie die Boykottbewegung BDS (Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) unterstützt, steht die schwarze Co-Vorsitzende Tamika Mallory wegen ihrer Nähe zu dem antisemitischen afroamerikanischen Politprediger Louis Farrakhan in der Kritik. Der Führer der Bewegung „Nation of Islam“ hatte bei einer Veranstaltung im Februar 2018 erklärt: „Die mächtigen Juden sind meine Feinde.“ Mallory, die im Saal saß, betont zwar, sie sei keine Antisemitin, lehnt jedoch eine Distanzierung von Farrakhan ab.

Der Women’s March müsse „ein möglichst breites Spektrum“ einbinden, fordert Mallory. Ihre Verbündeten fordern die liberalen Juden in den USA umgekehrt auf, ihre Rolle in Zeiten der Sklaverei und des Rassismus aufzuarbeiten. „Ich lade alle meine jüdischen Schwestern ein, bei dem Marsch dabeizusein“, gibt sich die Palästinenserin Sarsour versöhnlich: „Wir haben einen gemeinsamen Feind: den Rassismus von Weißen.“ Ob diese Basis tatsächlich trägt, wird sich am Samstag zeigen.