Denn Allen Stewart Konigsberg, Jahrgang 1935, der ehemalige Gagschreiber für Komiker und Showmaster, ist ein charmanter, aus der Übertreibung eigener Macken und fremder Schrullen komische Funken schlagender Erzähler, dabei immer knapp, elliptisch, anschaulich, so, als seien diese Anekdoten und Reflexionen für das kurze Voice-Over einer Woody-Allen-Filmszene gedacht. Einer jener Komödien, in denen der Protagonist seine Leiden, seine Schwächen, seine Enttäuschungen und Defizite beklagt, um uns so immer mehr von sich einzunehmen.
Das unausweichliche Thema
Aber natürlich kann Allens Autobiografie so nicht bleiben. Sie muss auch Verteidigungsschrift werden, Selbstrechtfertigung und Gegenangriff. Die Metoo-Bewegung hat mit neuer Wucht alte Vorwürfe gegen den Mann erhoben, der seinen Filmfiguren so oft die Gabe verleiht, durch Tollpatschigkeit, Taktlosigkeit, Hypochondrie und Depression Frauenherzen für sich zu gewinnen. 1992 wurde Allens Affäre mit Soon-Yi Previn bekannt, der damals 22-jährigen Adoptivtochter seiner Lebensgefährtin Mia Farrow. Kurz darauf erhob Farrow den Vorwurf, Allen habe ihre gemeinsame siebenjährige Adoptivtochter Dylan missbraucht.
Gutachten bescheinigten Mia Farrow damals geringe Glaubwürdigkeit. Ein Racheakt galt als wahrscheinlich, der Versuch der tief Gekränkten, dem Kind einen Missbrauch einzureden. Der New Yorker Richter Elliott Wilk fand zwar keinerlei Beweise für Allens Schuld, hegte aber Zweifel an seiner Unschuld und sprach das Sorgerecht für Dylan Mia Farrow zu. Der Vorwurf und der Verdacht blieben so in der Welt. Die erwachsene Dylan Farrow ist überzeugter denn je, missbraucht worden zu sein, und hat ihren Vater öffentlich heftig attackiert, unterstützt von ihrem Bruder Ronan Farrow, einem der zentralen Enthüllungsjournalisten der Metoo-Bewegung.
Verzweiflung und Verbitterung
Allens Ton wird völlig anders, wenn er an dieser Periode seines Lebens anlangt. Verzweiflung und Verbitterung werden spürbar, auch große Fassungslosigkeit, dass alles, was für ihn und gegen Mia Farrow spricht – unter anderem zwei Untersuchungen, ein Lügendetektortest, Aussagen von Soon-Yi, Farrows Adoptivsohn Moses und mehreren Hausangestellten – kaum zur Kenntnis genommen wird.
Man darf von Woody Allen keine ganz ausgewogene Darstellung erwarten. Aber es ist der Sinn einer Autobiografie, die eigene, subjektive Wahrheit zu erzählen. Darum ist der bitterste Moment der Farrow-Allen-Auseinandersetzung wohl erst jetzt gekommen. In den USA hatte der erste Verlag Allens Buch aufgrund öffentlicher Proteste noch vor Veröffentlichung aus dem Programm genommen, ein anderer musste einspringen, und auch in Deutschland forderten mehrere Autoren des Rowohlt-Verlages, darunter Margarete Stokowski, Till Raether und Sascha Lobo, der Verlag solle die Übersetzung nicht publizieren. Rowohlt hat richtigerweise nicht nachgegeben.
Stalinistische Gegner
Infamerweise sollte mit dem Argument, Allen habe sich „nie überzeugend mit den Vorwürfen seiner Tochter auseinandergesetzt“, genau so eine Auseinandersetzung abgeblockt werden. Da offenbart sich eine Gesinnung, wie sie Stalins Schauprozesse prägte: Schon durch den Inhalt der Anklage bleibt die einzig akzeptable Reaktion des Angeklagten ein Schuldeingeständnis, alles andere wäre straferschwerende Bosheit.
Schon um solch einem Angriff auf Vernunft und Grundrechte eine klare Absage zu erteilen, sollte man Allens Buch nun lesen. Aber darüber hinaus ist es zur Hälfte eine bedenkenswerte Darstellung des Falles – und zum anderen das erfrischend lebendige Selbstporträt eines eigensinnigen Filmemachers.
Woody Allen: „Ganz nebenbei“. Autobiografie. Deutsch von Stefanie Jacobs u.a. Rowohlt, Hamburg. 448 Seiten, 25 Euro. Auch als E-Book, 14,99 Euro.