13 Jahre nach den Anschlägen vom 11. September 2001 hat New York wieder ein World Trade Center. Die ersten Mieter sind gerade eingezogen. Zeit für eine Besichtigung.

New York - Jordan Borwitz rückt die Krawatte zurecht und räuspert sich, so als müsse er eine Hochzeitsrede halten. Dann setzt der PR-Mann der Immobilienfirma Durst sein schönstes Lächeln auf und beginnt in die laufende Kamera des japanischen Fernsehsenders zu sprechen. Ein „triumphales Gefühl“ sei das gewesen, sagt er, als zu Beginn der Woche die ersten Mieter im neuen World Trade Center ihre Kisten in die Büros geschleppt hätten, ein Zeichen der Wiedergeburt und der Wiedereingliederung des Ground-Zero-Geländes in das Gefüge der Stadt.Wir stehen im 63. Stock des 546 Meter hohen Turms, der schon seit seiner Fertigstellung im vergangenen Jahr wuchtig die Skyline des südlichen Manhattan dominiert, es ist ein strahlend schöner Spätherbsttag. Der Himmel so tiefblau wie an jenem verhängnisvollen Septembermorgen, als die Flieger kamen und das alte World Trade Center an dieser Stelle in ein Inferno verwandelten.

 

Seither haben nur Bauarbeiter diesen Blick genießen können, der nach Süden über die Freiheitsstaue hinweg auf den Atlantik schweift, nach Osten über die Brooklyn Bridge bis weit nach Long Island hinaus und nach Norden über die gesamte Skyline Manhattans und weit den Hudson hinauf. Es ist ein erhabener Anblick, ein klassisches amerikanisches Panorama, wie der Blick vom Rand des Grand Canyon oder vom Sears Tower in Chicago aus.

Das Gefühl der Wiedergeburt

So richtig mag sich im Inneren des neuen Turms das Gefühl der Wiedergeburt allerdings noch nicht einstellen. Das Vorführstockwerk Nummer 63 ist nicht das einzige, das leer steht. Der erste Mieter des World Trade Center, der Zeitschriftenverlag Conde Nast, belegt bislang nicht einmal 20 der 104 Stockwerke. Die Lobby des Wolkenkratzers, die hinter den massiven terrorsicheren Außenwänden trotz eingelassener Lichtschlitze bedrückend wirkt, ist noch alles andere als betriebsam.

Richtig voll wird das Haus allerdings frühestens in fünf bis sechs Jahren, wie die Firma von Borwitz hofft. Bislang ist der Turm zu knapp 60 Prozent vermietet, die letzten der neuen Bewohner ziehen im Frühjahr kommenden Jahres ein. Der Bau der beiden noch unfertigen Türme auf dem World-Trade-Center-Gelände, die Nummern 2 und 4, ist unterdessen auf Eis gelegt, um den ohnehin überlasteten Markt für Büroraum hier unten nicht noch weiter zu überfrachten. Die Kritiker der Wiederbebauung, die von Anfang an gezweifelt haben, dass die reflexhafte Errichtung von Bürotürmen die richtige Nutzung des Geländes ist, sehen sich weiterhin bestätigt.

Die Gegend rund um Ground Zero ist wieder trubelig

Trotzdem ist Borwitz’ Behauptung der Wiedergeburt kein gänzlich leeres PR-Gerede. In der Tat ist die Gegend rund um Ground Zero heute so lebendig wie seit 2001 nicht mehr. Wenn man aus dem Südeingang des Turms tritt, steht man mitten in einer luftigen Parkanlage, die nichts mehr mit dem zugigen Betonquadrat zu tun hat, das einst die Zwillingstürme voneinander trennte. Um die Wasserfälle über dem Grundriss der beiden Türme scharen sich die Touristen, bevor sie sich in die Schlange am Eingang des Museums stellen. Der asymmetrische Pavillon der finnischen Architekturgruppe Snohetta, der hinab in die unterirdische Gedenkstätte führt, wirkt leicht und verspielt. Die gigantischen Flügel des zukünftigen Pendlerbahnhofs von Santiago Calatrava, an denen noch geschweißt und gefräst wird, verstärken das Gefühl von Offenheit.

Es ist ein deutlicher Kontrast zur festungshaften Schwere des alten World Trade Center, das die Stadt und ihr Leben aussperrte. Der neue Ground Zero lädt die Stadt ein. Man kann sich gut vorstellen, wie in Zukunft die Büroarbeiter des World Trade Center auf einer Bank in der Anlage sitzen, um ihren Lunch zu nehmen. Auch die Sicherheitsvorkehrungen rund um das World Trade Center sind weniger bedrückend, als man das hatte befürchten müssen. Die verstärkte Außenwand der unteren 30 Meter des Gebäudes ist hell und mit beweglichen Scheiben versehen, in denen die Sonne tanzt. Rund um die Eingänge sind zwar Dutzende von Sicherheitskräften postiert, die sich jedoch unaufdringlich in die Menge mischen. Lediglich die panzersicheren Durchfahrtssperren zur West Street hin wirken ein wenig militärisch.

Neun U-Bahn-Linien laufen hier zusammen

Noch versperren die Bauarbeiten zum Calatrava-Bahnhof zwar den Durchgang zum Broadway und zum alten Finanzdistrikt an der Wall Street. Doch seit dieser Woche lässt sich zumindest erahnen, wie das Gefüge des neuen Lower Manhattan in Zukunft greifen wird. Keine zwei Minuten wird es dann vom World Trade Center zur neuen U-Bahn Station an der Ecke Broadway und Fulton Street zu Fuß sein, die ebenfalls in dieser Woche nach 13 Jahren wieder eröffnet hat. Neun Linien laufen hier zusammen und wenn der Pendler aus dem Zug steigt, findet er sich unter dem Lichtdom eines hochmodernen Terminals mit Einkaufsmöglichkeiten, Cafés und Schnellrestaurants wieder.

Es ist in der Tat ein vollkommen neuer Stadtteil, der nach endlosem Gezank um Finanzierung und Design entstanden ist und dessen Charakter langsam greifbar wird. Die Präsenz der Hochfinanz ist deutlich zurückgefahren. Die alten Bankhäuser an der Wall Street, aus denen die Flucht der Geldinstitute schon lange vor dem 11. September begonnen hatte, sind heute luxuriöse Apartmenthäuser für gut situierte Familien. Und in den Türmen des World Trade Center dominieren internationale Firmen und Medienhäuser wie Conde Nast, die Buchverlage Harper Collins und MacMillan und zum Ende des Jahres auch die Zeitschriften des Time-Konzerns.

So werden Downtown die Schlipse der Financiers durch die Stilettos der Mode-Redakteurinnen ersetzt. Bereits verschwunden sind die Stripclubs an der Greenwich Street und die ramschigen Discount-Läden an der Fulton Street, in denen die Pendler der Regierungsbehörden rund um die Brooklyn Bridge sich auf dem Nachhauseweg mit dem Nötigsten eindeckten. Aus den Ruinen der Tragödie entsteht ein eleganter Wohn- und Geschäftsbezirk mit hochmoderner Architektur und zweifelsohne demnächst auch den Boutiquen und Restaurants, die die neue Klientel anzieht. Es ist ein Stadtteil, der sich bestens in das heutige Manhattan fügt, das der letzte Bürgermeister Bloomberg mit Hochdruck in ein Markenprodukt für die postindustrielle Angestelltenelite verwandelt hat.