Die Wormser Nibelungenfestspiele läuten unter dem Intendanten Nico Hofmann eine neue Ära ein: Thomas Schadt, Chef der Ludwigsburger Filmakademie, inszeniert Albert Ostermaiers „Gemetzel“ – doch beim Neustart ruckelt es noch.

Stuttgart - Schöner kann man sich eine Premierenfeier kaum vorstellen. Unter Kastanien und Pappeln, zwischen Blumenbeeten und Wasserspielen flanieren Hunderte von Gästen durch den Heylshofpark, um sich kurz vor Mitternacht noch mit Speis und Trank zu stärken. Von einem Büfett wandern sie zum nächsten, von einer Theke zur anderen – und weil über der stimmungsvoll illuminierten Gartenanlage auch noch der Mond leuchtet, ist das Setting einfach perfekt. Man fühlt sich wunderbar bei diesem makellosen Fest in Worms und denkt an die Burgunder, die von ebendiesem Worms ausgezogen sind, um sich anderswo, am Hof von König Etzel, ebenfalls zu verlustieren. Auch auf sie warteten mit köstlichen Spezereien nicht geizende Gelage – und als Nachspeise ein Hinterhalt, den sie nicht überleben sollten.

 

In Worms indes geht vom Dessert keinerlei Gefahr aus. Doch schon beim Genuss der vorzüglichen Minitörtchen im milden Nachtlicht fragt man sich, wer hier den stärkeren Eindruck hinterlassen wird. Die humorfreie Premiere? Oder die luxuriöse Premierenfeier zur Eröffnung der Festspiele? Das Open-Air-Festival findet bereits zum vierzehnten Mal statt und ist 2002 vom Fernsehmann Dieter Wedel gegründet worden, der nun in Bad Hersfeld sein Sommertheater macht. Und der Nachfolger in Worms: wieder ein Fernsehmann, Nico Hofmann, der Produzent, der unser TV-Programm wie kein Zweiter prägt und nun als Intendant das Spektakel „qualitativ neu ausrichten“ will. Man kann das so übersetzen: Wedel war mehr Sat 1 als Arte. Hofmann aber will mehr Arte als Sat 1, wenn er jetzt vorm Wormser Dom das Nibelungenlied neu erzählen lässt.

Klingende Namen

Die Niveausteigerung könnte klappen, denkt man, sobald man die 1300-Plätze- Tribüne vor der Nordseite des Gotteshauses erklommen hat. Zwei martialische Streitwagen stehen sich auf der Spielfläche gegenüber, gekrönt von Schädel und Dornenkrone der eine, von Sänfte und Mammutzahn der andere. Christentum versus Heidentum, abendländische Burgunder gegen morgenländische Hunnen: mit Lanzen bewehrt weisen die rollenden Burgen auf die Schlacht am Hof von König Etzel voraus, die Abertausende von Recken das Leben kosten wird. Die Kriegsbühne stammt von Aleksandar Denic, der wie der Lichtdesigner Rainer Casper sowie die Kostümbildnerinnen Jana Findeklee und Joki Tewes aus dem Stall von Frank Castorf kommt. Das ist die eine Hälfte der Crew. Die andere ist aus Ludwigsburg angereist, wo Hofmann seit Jahren an der Filmakademie unterrichtet: Zum künstlerischen Leiter der Festspiele hat er den Akademie-Direktor Thomas Schadt berufen, der nun auch die Uraufführung von Albert Ostermaiers „Gemetzel“ besorgt.

Klingende Namen, auch im Ensemble, doch so sehr sich die Truppe vor der imposanten Kulisse auch anstrengt: es ruckelt noch mächtig beim Start in die neue Nibelungen-Ära. Schuld daran ist womöglich die Ambition aller Beteiligten, die nicht zu wenig Qualität nach Worms mitgebracht haben, sondern zu viel – mit der Folge, dass der Inszenierung eine Komplexität zuwächst, unter deren Last das Freilichttheater zwangsläufig einknicken muss.

Ein kunstvolles, psychoanalytisch beschlagenes Kammerspiel

Albert Ostermaier erzählt in seinem „Gemetzel“ nämlich nicht nur einzelne Teile der Nibelungensage. Er erzählt sie ganz mit allem Drum und Dran. Als da wären: Brünhild, die von Siegfried für König Gunter gewonnen wird, eine Schmach für den Herrscher, die gerächt werden muss; Hagen, der deshalb den mit Kriemhild verheirateten Siegfried tötet, worauf die Gattin auf Genugtuung sinnt und ihre burgundische Verwandtschaft zu sich an den Hof von König Etzel lädt, mit dem sie mittlerweile verheiratet ist. Und dort nimmt Kriemhild fürchterlich Rache, dort kommt es zum „Gemetzel“ – aber davor tritt ein Wandertheater auf, dem es obliegt, die ganze Vorgeschichte dem Sohn von Kriemhild und Etzel zu erzählen – und uns, dem Publikum, auch.

Spiel im Spiel, Gegenwart und Vergangenheit verschränkend, dazu die Kinderperspektive von Ortlieb und Traumsequenzen von Kriemhild, all das ineinander montiert – was Ostermaier geschrieben hat, ist ein kunstvolles, psychoanalytisch beschlagenes Kammerspiel, dem Respekt gebührt. Für die große Bühne aber taugt es nicht. Dort lösen seine Perspektivwechsel vor allem Verwirrung aus, zumal die Regie mit der Komplexität der vom Dramatiker neu erzählten Tragödie (also doch) überfordert ist. Thomas Schadt kriegt das Material nicht in den Griff. Er trennt die Ebenen nicht voneinander und lässt die Sache in aller Hilflosigkeit laufen – und von hilfloser Einfalt sind auch die ins Alberne driftenden Choreografien des ebenfalls in Ludwigsburg lehrenden Ted Stoffer sowie die Garagenrockeinsprengsel einer Band, die sich Panzerballett nennt und auch so klingt: grässlich. Und die tollen Möglichkeiten der Kampfmaschinenbühne schöpft Schadt sowieso nicht aus. Sie einleuchtend zu bespielen, hat er vergessen.

Ein einziger Witz

Was bleibt, sind die Darsteller. Einige von ihnen ragen aus dem zähen Tragödienfluss heraus und fesseln die Aufmerksamkeit, sobald sie ihre Stimme erheben: Markus Boysen als König Etzel, Marion Breckwoldt als Kriemhilds Zofe und – last not least – Kriemhild selbst. Judith Rosmair lädt ihren zarten, zerbrechlichen Körper mit einer Leidenschaft auf, die sich aus der nie erloschenen Trauer um Siegfried speist – und die sie in ihren Adern zu Wut und Zorn einer Frau gerinnen lässt, deren Liebe sich ins Gift der Rache verwandelt hat. Diese Kriemhild bleibt, wahnsinnstoll in all ihrer Verzweiflung, all ihrem Schrecken.

Apropos: ein einziges Mal wird dem Publikum während des grau in grau gemalten „Gemetzels“ heitere Erleichterung geboten. „Nur ein toter Burgunder ist ein guter Burgunder“, sagt der von Alina Levshin gespielte Knabe Ortlieb. „Nein“, erwidert König Gunter trocken, „nur ein grauer Burgunder ist ein guter Burgunder“ – und dieser eine, in seiner Einsamkeit große Witz wird später im Heylshofpark wie ein kostbarer Kelch von Mund zu Mund gereicht. Bis in die frühen Morgenstunden. Doch, die Premierenfeier hatte Niveau. Voll Arte.

Aufführungen: täglich bis zum 16 August – nur Montag, 10. August, ist spielfrei.