Die Stadt Künzelsau muss dem Würth-Konzern einen zweistelligen Millionenbetrag an Gewerbesteuer zurückzahlen – jetzt müssen die Ausgaben zurückgefahren werden. Auch der Hebesteuersatz wurde kräftig erhöht.

Künzelsau - Stefan Neumann, 2010 überraschend im ersten Wahlgang zum Bürgermeister von Künzelsau (Hohenlohekreis) gewählt, ist derzeit um seinen Job nicht zu beneiden. Nach einem Urteil des Bundesfinanzhofs haben die Finanzämter in Deutschland zu Unrecht Gewerbesteuern auf bestimmte Erträge abgeführt, die deutsche Unternehmen im Ausland erwirtschaftet haben. Die Stadt Künzelsau trifft die Entscheidung zuerst – und sie wird nicht die einzige bleiben.

 

Die 15 000-Einwohner-Kommune muss dem größten Arbeitgeber und Steuerzahler, dem Würth-Konzern, einen zweistelligen Millionenbetrag zurückzahlen – plus Zinsen von sechs Prozent. 13 Jahre lang hatte das Unternehmen des Künzelsauer Ehrenbürgers Reinhold Würth dagegen geklagt, dass es hier Gewerbesteuer für seine ausländischen Tochterunternehmen entrichten musste. Nach Informationen des Südwestdeutschen Rundfunks soll es sich in der Summe um rund 62 Millionen Euro handeln. Im Konzern hält man sich wie gewöhnlich mit Fakten zurück, eine Unternehmenssprecherin bestätigt lediglich, dass es sich um einen Betrag in zweistelliger Millionenhöhe handelt.

Die Kommune hat sich für einen strikten Sparkurs entschieden

Künzelsau steht ohne Übertreibung vor einer historischen Herausforderung: Das komplette Haushaltsvolumen der Stadt beträgt 50 Millionen Euro. In einer vierstündigen Mammutsitzung hat sich der Gemeinderat nun der Aufgabe gestellt, den vom Bürgermeister vorgegebenen „strikten Sparkurs“ umzusetzen. „Es wird jeden treffen“, hat das Stadtoberhaupt angekündigt. Das scheint auch den Künzelsauern inzwischen klar geworden zu sein: Rund 50 Bürgerinnen und Bürger verfolgten die Sitzung im dritten Stock des neuen Rathauses, das man sich nach Stand der Dinge heute gar nicht mehr leisten könnte.

Gänzlich unvorbereitet trifft das Urteil die Verwaltung freilich nicht. Die Finanzexperten im Rathaus hatten seit längerem damit gerechnet, das machte der Kämmerer zu Beginn der Sitzung deutlich. Rund 24,5 Millionen Euro hat die Stadt in den vergangenen Jahren dafür angespart – eine Summe, die angesichts der im Raum stehenden Rückforderung bei weitem nicht ausreichen wird. Nun will man schnellstmöglich zahlen, damit die Zinslast nicht weiter steigt und damit die Stadt 2018 aufgrund ihrer „negativen Steuerkraft“ in den Genuss von „erheblichen Landeszuweisungen“ kommt. So sehen legale kommunale Rechenkünste aus. Um eine Kreditaufnahme wird die bisher schuldenfreie Stadt aber nicht herumkommen.

Grund- und Gewerbesteuer steigen auf 400 Prozent

Der 33-jährige Bürgermeister hat auch angesichts der dramatischen Situation seine Unbekümmertheit nicht verloren. „Ich denke, wir haben genügend Diskussionsbedarf“, unterbricht er charmant lächelnd die aufkommende Diskussion über die Politik vergangener Jahre und darüber, was man alles hätte tun sollen und doch gelassen hat. Dann geht’s Schlag auf Schlag. Die Kommunalaufsicht hat bereits die Richtung vorgegeben: es müssen sämtliche Ausgaben auf den Prüfstand gestellt werden, außerdem sollen eine deutliche Steigerung der Hebesätze und die Erhebung kostendeckender Gebühren und Nutzungsentgelte die „Ertragskraft im Verwaltungshaushalt“ verbessern. Dieser Empfehlung folgen die Räte mehrheitlich. Die Grundsteuer und die (seit 1990 unveränderte) Gewerbesteuer steigen auf 400 Prozent. Das spült erst einmal Geld in die Stadtkasse. Die Verwaltung rechnet mit knapp 1,5 Millionen Euro Mehreinnahmen – wenn nicht Unternehmen daraus die Konsequenz ziehen und in eine Kommune mit geringeren Hebesätzen abwandern.

Den größten Diskussionsbedarf haben die Künzelsauer Räte jedoch beim Vorschlag der Verwaltung, die Hundesteuer anzuheben. „Da wird es ja wieder interessant“, sagt der Bürgermeister mit einem Grinsen – und er behält Recht. Rund 3900 Euro Mehreinnahmen lassen sich erzielen, wird die Steuer für den ersten Hund von 90 auf 96 und für den zweiten von 90 auf 192 Euro erhöht. Die Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Maßnahme sind anhaltender als die an der Erhöhung der Gewerbesteuer, doch die Zweifler werden überstimmt. Auch die Vergnügungssteuer geht rauf, lediglich die Erhöhung der Bestattungsgebühren wollen die Räte nicht mittragen.

Die Fachstelle für Integration will nicht allen einleuchten

Am Ende regt sich dann aber noch breiter Widerstand. Die Verwaltung will eine zentrale Fachstelle für die Integration von Flüchtlingen und Migranten einrichten. Kostenpunkt: 60 000 bis 63 000 Euro jährlich. Erst an allem sparen und dann so viel Geld in die Hand nehmen? Das will einigen nicht einleuchten. Der Bürgermeister hebt an zu einer Rede über kommunale Pflichtaufgaben, die angesichts der Flüchtlingsströme in den nächsten Jahren anstehen – und überzeugt. Millionenverschuldung hin, Millionenverschuldung her: Auch in Künzelsau muss das Leben weitergehen.

Die Gewerbesteuer als Einnahmequelle

Die Gewebesteuer geht auf das Jahr 1891 zurück und ist eine deutsche Erfindung. In anderen Ländern wird sie nicht erhoben. Diese Steuer stellt die wichtigste Einnahmequelle für Städte und Gemeinden dar.

Die Grundlage bildet der Gewinn eines Unternehmens. Daraus errechnet das Finanzamt einen Steuermessbetrag. Die Kommunen bestimmen individuell den Hebesatz, der auf den Messbetrag angewandt wird, und legen damit selbst die Höhe der Gewerbesteuer fest.

Der Hebesatz kann im Einzelfall über die Ansiedlung einer Firma entscheiden. Hier einige Beispiele konkurrierender Kommunen in den Landkreisen Schwäbisch Hall, Heilbronn und Hohenlohe: Mit der Erhöhung auf 400 Prozent zieht Künzelsau nun mit Heilbronn gleich. Neckarsulm erhebt 320 Prozent, Öhringen 360 und Schwäbisch Hall 380 Prozent. Die aktuellen Sätze hat der Industrie- und Handelskammertag für alle Städte mit mehr als 20 000 Einwohnern bundesweit zusammengestellt.