Über 70 Jahre durften nur Frauen zur Wahl antreten – doch jetzt greift der Ludwigsburger PH-Student Moritz Ocker nach der Krone. Der Hobby-Winzer lobt die Neuerungen im Verband, der Weinbau in Württemberg habe Entwicklungen aber auch verschlafen.
Eine der größten Herausforderungen eines Weinkönigs sei der Spagat, sagt Moritz Ocker. Der Spagat zwischen den älteren Weintrinkern und den jüngeren. Ein Weinkönig müsse beide Gruppen erreichen, Traditionen pflegen aber auch brechen, den Riesling wertschätzen, genauso wie Mut zu neuen Rebsorten aufbringen. Ocker, 1,90 Meter, breite Schultern und tiefe Stimme sagt: Lange habe sich die Branche in Württemberg auf früheren Erfolgen ausgeruht. Jetzt spüre er endlich eine Aufbruchstimmung, den Weinbau umzugestalten und für neue Gruppen erlebbar zu machen. Diesen Aufbruch will Ocker als erster württembergischer Weinkönig mitgestalten. Er wäre der erste seiner Art.
Der Weinbauverband Württemberg ist erst der dritte Verband deutschlandweit, der den Wettbewerb der regionalen Weinhoheit für Männer öffnet. Am Donnerstag steht in Heilbronn die Wahl an. Moritz Ocker zögerte nicht lange und meldete seine Kandidatur an. Der Wein, Menschen und die Region liegen dem Ilsfelder, der an der Pädagogischen Hochschule Ludwigsburg studiert, am Herzen. Wenn er Weinkönig wird, will er die Region nach vorne bringen – dafür spricht der 28-Jährige auch unbequeme Wahrheiten aus.
Ein Freund entfacht die Wein-Leidenschaft
Die Geschichte des ersten männlichen Weinkönigkandidaten für Württemberg beginnt in Ockers Heimat Ilsfeld im Kreis Heilbronn. Der Sohn eines Mittelständlers für Zerkleinerungstechnik lernt beim Schlittenfahren Christoph Golter kennen, die Jungs freunden sich an. Golters Familie hat ein Weingut und Moritz Ocker hilft in seiner Kindheit und Jugend so oft es geht mit.
Die Jungen werden zu Männern und entwickeln mit der Zeit immer neue Ideen für den Betrieb. Sie präsentieren ihre eigenen Weine auf Messen und machen das Weingut zur Eventlocation. Drei Mal im Jahr findet auf dem Hof die sogenannte Weinstube statt – ein Begegnungsort mit Weinverkostung und schwäbischen Tapas. Der Wein, die Bewirtung und Gastfreundschaft werden zu Ockers größten Hobbys.
Am Ende waren es sein Freund Christoph Golter und dessen Frau Carolin, die Ocker davon überzeugen, für das Amt des Weinkönigs zu kandidieren. „Carolin war selbst vor zwei Jahren württembergische Weinkönigin und hatte damals eine richtig gute Zeit.“ Auch andere Freunde und seine Familie ermutigen Moritz Ocker zu kandidieren – eine Weinkönigin in männlich, die Idee kommt an. „Ich habe nur Zustimmung erfahren.“
Der Weinbauverband Württemberg hat sich mit der Öffnung derweil schwer getan: Es habe einen „langen Abstimmungsprozess“ im Vorstand gebraucht, bis der Wettbewerb für Männer geöffnet wurde, heißt es in einer Pressemitteilung. Findet es Moritz Ocker nicht merkwürdig, dass sich erst im Jahr 2024 Männer bewerben können? Historisch gesehen, könne er das nachvollziehen. „Früher waren die Weinhoheiten die Töchter und Ehefrauen der Winzer“, sagt Moritz Ocker. „Die Männer kamen damals gar nicht in Frage, da sie die Arbeit im Betrieb in der Hand und gar eine Zeit hatten.“ Die Gesellschaft und die Rollenbilder hätten sich aber längst verändert, sagt Ocker. Frauen wären im Betrieb eingespannt und Männer wichtige Vertreter einer Weinregion.
„Der Verband ist eben konservativ und traditionell“, sagt Ocker ohne Wertung. Und auch er sei dafür, Traditionen zu bewahren. Gleichzeitig müsse aber eine Brücke in die Moderne geschlagen werden – und zur jüngeren Generation. Ocker meint damit nicht nur die Modernisierung der Weinkönigin-Wahl, es geht im auch darum, wie mit neuen Rebsorten umgegangen wird, wie sich die Region vermarktet und neue Zielgruppen anspricht. „Im Weinbau aber auch in anderen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Bereichen gilt immer noch häufig der Satz: Das haben wir schon immer so gemacht. Das sehe ich als Problem.“
Weinregion ist „Late to the Party“
Die Weinregion habe sich zu lange auf alten Erfolgen ausgeruht, der große Stolz der Württemberger hätte den Weg zu Veränderungen versperrt. Neue Sorten, Tourismus, Export und hochwertiges Online-Marketing – viele Chancen seien verpasst worden. „Wir sind in vielen Bereichen late to the party“, sagt Ocker. Ausweglos sei die Situation aber keinesfalls.
Der 28-Jährige spürt laut eigener Aussage, wie ein Ruck durch die Weinregion geht. Die Offenheit für neue Weine, glanzvolle Bilder auf Social Media, moderne Veranstaltungen und Geschäftsmodelle steige. „Es findet ein Umdenken statt, die Frage ist, wie schnell dieses Umdenken stattfindet.“ Es gebe jedenfalls keinen Grund, dass der Weinbau Württemberg den Kopf in den Sand steckt, hier gebe es alles, worauf es ankommt: „Unglaublich hochklassige Weine“, eine schöne Landschaft und tolle, engagierte Menschen. Der Zug sei abgefahren, die Region können ihn aber noch einholen, sagt Ocker. Am Besten im Spagat – zwischen Tradition und Moderne.
Die Wahl der Weinkönigin
Geschichte
Seit 1950 wird in Württemberg eine Weinkönigin gewählt, die erste war Martha Gohl aus Stuttgart. Im Auftrag des Weinbauverbands Württemberg repräsentiert sie als Teil von dessen Öffentlichkeitsarbeit den regionalen Weinbau – während des Amtsjahres hat die Königin oder der König rund 70 Pflichttermine. Nebenbei gilt es Kontakte zu knüpfen, zu werben und Social-Media-Kanäle zu pflegen.
Die Wahl
Am Donnerstag, 28. November, findet in Heilbronn die Wahl zur 59. Weinkönigin Württemberg statt. Am Nachmittag müssen die vier Kandidatinnen und der eine Kandidat ihr Weinwissen bei einer Fachbefragung unter Beweis stellen. Am Abend folgt auf der Bühne die Sensorikprüfung und einige spaßige Herausforderungen. Die Jury besteht unter andere, aus Winzern, Verbandsvorständen und Tourismusbeauftragten.