„Antlitz“ lautet das Thema der Mitgliederausstellung im Württembergischen Kunstverein in Stuttgart. Zu sehen sind teils verstörende, teils vergnügliche Beiträge zur Kunstform des Porträts.

Stuttgart - Bildnis, Konterfei, Porträt – das Genre wurde schon häufig totgesagt. Wie es scheint, hat die pessimistische Kunst der Moderne den Anspruch aufgegeben, in den gemalten oder modellierten Zügen eines Individuums etwas von dessen unsichtbarer Seele, seinem Charakter zu suchen. Aber ist die Abbildung von Gesichtern damit nur noch ein Job für den Passbildautomaten? Das wollte der Württembergische Kunstverein noch einmal genau wissen und gab seiner neuen Mitgliederausstellung im Kunstgebäude den Titel „Das Antlitz“.

 

Höchst absichtsvoll wählt die auf Initiative des künstlerischen Beirats entstandene Schau diesen heute nur noch in gehobener Schriftsprache gebräuchlichen Ausdruck, bedeutet er doch der althoch- deutschen Wurzel nach so viel wie „das Entgegenblickende“.

Tatsächlich ergibt sich in der Begegnung von Betrachter und Betrachtetem so etwas wie ein roter Faden durch die überbordende Anzahl von rund 300 Arbeiten. Während uns aus dem Holzkopfobjekt von Kurt App zwei kreisrunde Spiegel anglotzen und Renate Bogatke ein Medusenhaupt dekorativ verschönert, pinselt sich Hans Pfrommer die Reflexion eines, so der Titel, „generösen Sammlers“ auf die Pupille: der Kunstkäufer als das Dollarzeichen im Auge des Künstlers. Lautet das Strukturprinzip hier „Sehen und gesehen werden“, illustriert Siegi Treuter offenkundig ein ganz anderes Daseinsgesetz: „Fressen oder gefressen werden“. Dem jungen Mann, der da großmäulig-lustbetont in seinen Hamburger beißt, droht in Gestalt des eigenen Oberarmtattoos bereits der weit aufgerissene Rachen des Teufels.

Die Malerei erweist ihre innovative Kraft

Mit dieser teils verstörenden, teils vergnüglichen Gesichterparade setzen die Kunstvereinsdirektoren Iris Dressler und Hans D. Christ die vor einigen Jahren begonnene Tradition der thematischen Mitgliederausstellungen fort, wobei auch diesmal wieder der Grundsatz galt, auf kuratorisches Aussieben möglichst zu verzichten. Lediglich ein verschwindend geringer Teil der Einsendungen sei aus inhaltlichen Gründen nicht zum Zuge gekommen.

Dass sich bei diesem Verfahren in Stil und Konzept einige Positionen bis zur Ununterscheidbarkeit überschneiden, muss man wohl als kleinen Kollateralschaden akzeptieren. Die im Schnitt dennoch hohe Qualität der Arbeiten bestätigt den Ansatz der Kunstvereinsdirektoren am Ende. Überraschenderweise liefert gerade die Malerei, der manche die Kraft zur Erneuerung des Porträts nicht mehr zugetraut hätten, einige der eindrücklichsten Beiträge im Vierecksaal.

Sieglinde Reiches sarkastische Madonna, die einen Embryo wie aus dem Medizinbuch auf dem Arm hält, bleibt ebenso im Gedächtnis hängen wie Hanjo Schmidts monumental-morbider Schläfer mit seinem rosaroten Inkarnat zwischen Zahnprothese und Bubble-Gum. Höhepunkt ist wahrscheinlich Christian Langs Bildnis eines lädierten Mannes, durch dessen leere Augenhöhle man auf den Hintergrund des Gemäldes hindurchsehen kann. Das vermeintlich „nach der Natur“ gefertigte Porträt schlägt in die Austauschbarkeit der anonymen Maske um.

Andere geben den Anspruch komplett auf, im Gesicht eine ästhetisch-anthropologische Erfahrung zu suchen. Konzeptuell reagieren sie auf den biografischen Exhibitionismus des Facebook-Zeitalters, indem sie die personale Darstellung in skurrile Archive auslagern. Seien es Kitschfiguren (Ingolf Jännsch) oder benutzte Seifenstücke, nach Farben geordnet wie Suhrkamp-Taschenbücher (Jenny Winter). Und auch die verlorenen Gesichter des Kapitalismus werden aufgelesen. So findet das zum Konsumenten erniedrigte Subjekt seinen Niederschlag etwa in Daniela Wolfers Frauen, die sich mit Einkaufstaschen vermummen. Oder im Stellvertreterporträt von Andreas Böhm: nichts als ein Stapel Kassenzettel ist darauf zu sehen. Die Quittung eines Lebens in Ausgaben.