Der Württembergische Kunstverein untersucht Emanzipationsprozesse in seiner aktuellen Schau „Actually, the Dead are not dead. Politiken des Lebens“ . Leider tut er dies auf die theoretisch harte Tour.

Stuttgart - Elvis lebt. Jim Morrison wahrscheinlich auch, Jesus sowieso. Insofern bestätigt der Ausstellungstitel im Württembergischen Kunstverein (WKV) nur, was rechtgläubige Fans immer schon gewusst haben: „Actually, the Dead are not dead“. In Wirklichkeit sind die Toten also gar nicht tot und noch andere Leute als Elvis und Jesus quicklebendig? Wer die Frage derart wörtlich nimmt, wird im Stuttgarter Kunstgebäude keine Antwort bekommen, denn Hans D. Christ und Iris Dressler geht es nicht um Auferstehung, sondern um Aufstand.

 

Die Toten, denen sich das Führungsduo des Württembergischen Kunstvereins zusammen mit dem Gastkurator Viktor Neumann zuwendet, sind die Namenlosen. Ausgeschlossene, Ausgebeutete, Randgruppen. Menschen zum Beispiel, die aufgrund körperlicher Merkmale, ethnischer Herkunft oder sexueller Orientierung von der Mehrheitsgesellschaft ignoriert und damit sinnbildlich für tot erklärt werden. Oder real mit dem Tod bedroht sind.

Reanimiert werden auch Konflikte von gestern

Ihnen verhilft die Ausstellung, die in Kooperation mit der Bergen Assembly, (einer Triennale für zeitgenössische Kunst im norwegischen Bergen) entstand, zurück ins Leben. Gegenstand der rund zwanzig Beiträge sind emanzipatorische Prozesse beziehungsweise Versuche der Selbstermächtigung.

Etwa in dem Dokumentarfilm „Yes, we fuck“ von Antonio Centeno und Raúl de la Morena. Darin ist unter anderem eine an Armen und Beinen gelähmte Frau zu sehen, die mithilfe einer Assistentin masturbiert. Ein berührender und zugleich extrem verstörender Film, bricht er doch radikal mit der offiziellen Bildpraxis von Werbungs- und Unterhaltungsindustrie. Sexualität existiert für die meisten Medien nur zwischen den Schönen und Gesunden. Menschen mit Behinderung wird dieses intimste aller Bedürfnisse offenbar nicht zugestanden.

Tischbeine statt Prothesen

Parallel dazu präsentiert die Österreicherin Eva Egermann das von ihr herausgegebene Magazin „Crip“ (deutsch „Krüppel“), das Feminismus, Sexualität und Queersein im Kontext von Behinderungen diskutiert. Eine Revolte gegen die kapitalistisch-darwinistische Fokussierung auf den optimierten Körper ist auch der surreal verrätselte Stelzentanz von Lisa Bufano. In ihren Performances ersetzt die unterschenkelamputierte Künstlerin ihre Prothesen durch Tischbeine.

Zu den reanimierten Gestorbenen zählen für den Kunstverein auch die ungelösten sozialen Konflikte von gestern. Darunter der Spanische Bürgerkrieg, dessen langer Schatten im Streit über die Autonomie Kataloniens jüngst wieder eine Rolle spielt. Pedro G. Romero, Maria Salgado und Fran MM Cabeza de Vaca haben antifaschistische Kampflieder der dreißiger Jahre für die Gegenwart uminterpretiert.

Wer den Diskurs nicht kennt, bleibt draußen

Einer in der aktuellen Migrationsdebatte vergessenen Minderheit wendet sich PEROU zu. Im Rahmen eines partizipatorischen Projekts setzte das französische Kollektiv eine heruntergekommene Roma-Siedlung instand. Doch die Behörden beantworteten den Akt der politischen Schönheit mit polizeilicher Hässlichkeit. Eine Kamera hält fest, wie gepanzerte Staatsbeamte anrücken, um die kleine Sozialutopie vor den Toren von Paris niederzureißen. Während die Bilder der Zwangszerstörung über den Monitor laufen, rezitiert ein Sprecher die baurechtliche Begründung, die litaneiartig auf Sicherheitsmängel verweist.

Keine Frage: Christ/Dressler verdienen Respekt, weil sie Themen anpacken, für die sich andere Kunsthäuser zu fein sind. Aber leider wählen die WKV-Dauerdirektoren dabei konsequent die theoretisch harte Tour. Neulinke Bildungsklassiker wie Michel Foucaults Studien zur Disziplinierung des Körpers geben ebenso den Denkstil und das Vokabular der Begleittexte vor wie Giorgio Agambens Philosophie der Rechtlosen. Erkennt im WKV niemand, dass diese Rahmenbedingungen für Diskursfremde auch wieder einen Ausschließungsmechanismus darstellen? Diffus bleibt zudem das selbst gesteckte Ziel der künstlerischen Arbeiten. Wie soll sie aussehen, die Überwindung der „binären Oppositionen“ zwischen „Gesundheit und Krankheit, Leben und Tod“? Ein Ergebnis lässt sich aus den Werken nicht ableiten.

Manchem Werk fehlt die Dringlichkeit

Besonders die vorherrschende Methode des Recherchierens und Archivierens tut dem Anliegen der Kuratoren nicht gut. So zieht sich Suntag Nohs fotografische Untersuchung über den lebensgefährlichen Protest einer koreanischen Arbeiteraktivistin in die neusachliche Distanz zurück. Auch dem Film von Siri Hermansen, die sich mit der ausgegrenzten Minorität der norwegischen Samen beschäftigt, fehlt etwas Entscheidendes: jene aufwühlende Dringlichkeit, die man in einer Ausstellung auf Leben und Tod erwartet hätte.

Dass der Rundgang insgesamt recht provisorisch, inhaltlich unabgeschlossen wirkt, liegt auch in der Organisationsstruktur der Schau, die den Startschuss zu einem insgesamt dreiteiligen Projekt gibt. Lust auf die nachfolgenden Teile hat dieser Auftakt aber nicht geweckt.