Das Württembergische Landesmuseum in Stuttgart präsentiert seine Neuerwerbung: das Fürstengrab von Gammertingen. Mehr als hundert Jahre lang lagerte das Ensemble auf Schloss Hohenzollern im nahen Sigmaringen.

Stuttgart - Der Helm hat sich bezahlt gemacht. Eine Kopfverletzung war es jedenfalls nicht, die den unbekannten Waffenträger um 570 in jenes Grab brachte, aus dem man ihn 1902 wieder freischaufelte. Schon damals war klar: aufgrund des vergoldeten Schädelschutzes sowie der übrigen Jenseitsmitgift musste der Tote zur Elite seiner Zeit gehört haben. Sein Name oder sein genauer gesellschaftlicher Rang indes wurden bis heute nicht ermittelt.

 

Unbestritten aber zählt die Entdeckung des „Fürstengrabs von Gammertingen“, so benannt nach seinem oberschwäbischen Fundort, zu den Höhepunkten der baden-württembergischen Landesarchäologie – selbst wenn der Entdecker, der Landwirt Johannes Dorn, nach heutigen Maßstäben ein Raubgräber war. Den Laienarchäologen interessierte vornehmlich Bares. Noch im Jahr der Auffindung verscherbelte er die ausgebuddelte Beute für 1500 Goldmark an das Haus Hohenzollern. Das finanziell uninteressante Skelett hingegen wurde, mit Ausnahme des Schädels, weggeworfen.

Mehr als hundert Jahre lang lagerte das Ensemble auf Schloss Hohenzollern im nahen Sigmaringen, war dort aber die meiste Zeit über nicht für die Öffentlichkeit zugänglich. Nun hat Karl Friedrich Fürst von Hohenzollern den frühmittelalterlichen Schatz zu einem geheimgehaltenen Preis an das Landesmuseum Württemberg in Stuttgart verkauft, wo der Prunkhelm und die anderen Grabbeigaben seit der vergangenen Woche als Teil der Schausammlung von jedermann bestaunt werden dürfen – in einer großen flachen Vitrine, die fast den Abmessungen der ursprünglichen Grabkammer entspricht.

Ein langer, mit Widerhaken versehener Wurfspeer

Und dort liegt nun unter Glas ausgebreitet, was von einem Oberschichtleben aus dem 6. Jahrhundert übrig geblieben ist. Einen Ankauf dieser Kategorie, meint Klaus Georg Kokkotidis, Referatsleiter für Archäologie des Frühen und Hohen Mittelalters, habe es in seiner Abteilung noch nie gegeben. Der Experte kann sich kaum entscheiden, welche Denkwürdigkeit des Fürstengrabs er zuerst nennen soll. Den edelmetallischen Spangenhelm, den Weinlaub und Vogelmotive zieren und von dem weltweit nur 40 Vergleichsexemplare existieren? Den kompletten Satz Pfeilspitzen, der hunnische wie byzantinische Modelle enthält? Oder vielleicht das Kettenhemd des Toten? Gestrickt aus 15 000 kleinen Eisenringen, gilt es als das besterhaltene seiner Art in Mitteleuropa.

Doch auch der Rest ist vom Feinsten: eine goldene Gürtelschnalle, ein zweischneidiges Langschwert, ein kurzes Hiebschwert, eine Axt und ein Ango, also ein langer, mit Widerhaken versehener Wurfspeer. Kokkotidis spricht von einer „Angeberwaffe“, die eher aufs Repräsentative abzielte, da der militärische Nutzen eines Angos, den man meist nur einmal verwenden konnte, in keinem Verhältnis zu den Anschaffungskosten stand.

Mit der Datierung um 570 schließen die Neuzugänge aus Sigmaringen zudem eine chronologische Lücke in der Alamannen-Abteilung des Landesmuseums, denn der Gammertinger Fund ist das fehlende Puzzlesteinchen zwischen dem Helmgrab von Gültlingen aus dem frühen 6. Jahrhundert und den Gräbern von Niederstotzing. Ersteres gehört unter anderem durch seine goldenen Schwertgriffe in eine frühere Epoche, während die Niederstotzinger Funde durch ihren Lamellenpanzer bereits auf die Soldatenmode des frühen 7. Jahrhunderts verweisen. Genau diese Vorläufer- und Nachfolgerfunde umringen als Vergleichsobjekte die zentrale Präsentation des Gammertinger Fürstengrabs im Stuttgarter Alten Schloss.

Repräsentatives Bronzegeschirr mit Kessel

Ob der Gammertinger Goldhelmträger dagegen wirklich vom schwäbischen Vorfahrenvolk der Alamannen abstammte, ist nach den jüngsten Erkenntnissen wieder offen. Im Zuge des Besitzerwechsels haben sich Anthropologen der Uni Freiburg noch einmal den Schädel, den einzigen erhaltenen Teil des Skeletts, vorgeknöpft. Die Wissenschaftler rekonstruierten nicht nur das Antlitz des Mannes, der gutmütig aussah und gar nicht wie ein Haudrauf, sie korrigierten auch das bislang vermutete Sterbealter nach unten. Zum Zeitpunkt des Todes war er höchstens 33 Jahre alt und nicht, wie früher geschätzt, Mitte fünfzig. Hierdurch wankt die These, wonach der Gammertinger als reifer Söldnerführer im oströmischen Heer kämpfte und so zu seiner Kopfbedeckung, bei der es sich um einen byzantinischen Offiziershelm handelt, kam. Gegen eine hochrangige militärische Position in Byzanz spricht also das vergleichsweise junge Alter des Toten, weshalb Kokkotidis eine andere Theorie entwickelt hat. Da die Alamannen um 650 ihre politische Autonomie an die Franken abgetreten hatten, könnte der Grabinsasse auch ein Abgesandter aus dem fränkischen Kerngebiet, also dem Rheinland oder Nordfrankreich, gewesen sein, möglicherweise eine Art Militärgouverneur. Der erwähnte Ango wäre hierfür ein Indiz, den Helm hätte der Mann dann womöglich nur geerbt. Einen präzisen Nachweis über die geografische Herkunft des Unbekannten liefert dem Archäologen hoffentlich bald die Strontium-Isotopen-Analyse der Zähne.

Doch egal ob Reingeschmeckter oder Urschwabe – neben Wurfspeer, Schwertern und anderen Militaria gehörten dem Bewohner der Gammertinger Gruft auch einige friedvollere Accessoires, insbesondere ein repräsentatives Bronzegeschirr mit Kessel und Servierschale sowie ein gläserner Sturzbecher: ein Trinkgefäß also, das der Zecher wegen des nach außen gewölbten Bodens mit der Öffnung nach unten abstellen muss, was natürlich nur im leeren Zustand geht. Offenbar trank man im alamannischen Jenseits alles auf ex!