Der Regisseur Thomas Schadt hat einen Film über den Fall des früheren Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff gedreht. Darin geht es um Macht, Verblendung und Sturz.

Berlin - „Das Staatstragende nicht vergessen“, ruft die Fotografin dem etwas steifen Mann im dunklen Anzug zu, der mit leicht genervter Arroganz in die Kamera grinst. Er nickt und rückt sich die Krawatte zurück: Ein Christian Wulff vergisst so etwas natürlich nicht. Noch unberührt von lästigen Fragen zur Finanzierung seines Eigenheims und den Flitterwochen in der Toskana kommt er zu Beginn des Doku-Dramas „Der Rücktritt“ gerade erst an in seiner Rolle als deutsches Staatsoberhaupt. Noch ist er zufrieden mit sich und der Welt, noch kann ihm keiner was. Schon der Schokoweihnachtsmann auf seinem Schreibtisch fällt naturgemäß eine Nummer größer aus als die Exemplare, die sein Beraterstab vor sich stehen hat. Soweit, so gut in dieser Politikerwelt.

 

Wer hier allerdings tatsächlich den Größten hat, zeigt sich relativ schnell. Nicht nur die „Lindt“-Weihnachtsmann-Variante im Büro der beiden „Bild“-Redakteure Martin Heidemann und Nikolaus Harbusch ist noch einmal eine Nummer größer als die des Bundespräsidenten. Auch ihr journalistisches Gespür sagt ihnen deutlich, wer hier wen in der Hand hat.

In solchen Bildern erzählt der Sat 1-Film „Der Rücktritt“ am kommenden Dienstag vom Fall des früheren Bundespräsidenten Christian Wulff im Winter 2011. Buch und Regie dafür stammen von Thomas Schadt, dem Chef der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg. Schadt, von Haus aus Dokumentarfilmer, hat schon öfter ein Händchen für Politiker gezeigt. Bereits 2009 porträtierte er den Altkanzler Helmut Kohl („Der Mann aus der Pfalz“), Gerhard Schröder begleitete er mit seiner Kamera gleich zweimal – einmal als Kanzlerkandidaten („Der Kandidat“; 1998), einmal als Sieger nach der Wahl („Kanzlerbilder. Szenen vom großen und kleinen Theater der Politik; 2001). Und nun also Christian Wulff. Fast genau zwei Jahre ist es her, dass der Mann aus Niedersachsen im Berliner Schloss Bellevue nach wochenlangem Dauerbeschuss wegen mutmaßlicher Verletzung ordentlicher Amtsführung und Vermischung privater mit öffentlicher Interessen das Handtuch warf. Schwarzer Anzug, ruhige Stimme, hinter ihm seine Frau Bettina, die eindrucksvoll ein gequältes Lächeln zur Schau trug: Unvergesslicher medialer Showdown eines Untergangs, der damit begonnen hatte, dass Christian Wulff den falschen Leuten, nämlich vor allem jenen aus dem Verlagshaus Springer, den Krieg erklärte.

Die realen Bilder bekommen eine Erzählung als Kommentar

Auch Thomas Schadts Doku-Drama „Der Rücktritt“ spielt mit diesem Bild, das bereits zu Geschichte geworden ist, als es damals am 17. Februar 2011 live aus Berlin über die Bildschirme flackerte. Doch anstatt zu imitieren, was sowieso noch alle im Kopf haben, setzt Schadt wie so häufig auf eine andere Taktik: Er stellt den realen Bildern eine zweite, fiktionale Ebene gegenüber, die eine neue Sichtweise auf den gerade erst abgekühlten Medienskandal ermöglichen soll.

Die Schauspieler Kai Wiesinger und Anja Klink spielen dabei das Ehepaar Wulff in den letzten beiden Monaten vor ihrem Rückzug aus dem Schloss Bellevue. Dort, wo die Kameras in Wahrheit ausgesperrt blieben, inszeniert Thomas Schadt die Ereignisse so, wie sie gewesen sein könnten: Er zeigt Wulff als Privatperson, im Kreis seiner engsten Berater, in der Interaktion mit der Presse. Damit kreiert der Film nicht nur ein Bild, das die Medien bisher offen ließen, mehr oder weniger offen lassen mussten, sondern schafft gleichzeitig ein geschicktes Dreiecksspiel: an der Spitze das Ehepaar Wulff; auf den beiden anderen Seiten stehen sich dessen PR-Team und die Journalisten gegenüber.

Auffällig ist, dass Thomas Schadt dabei darauf verzichtet, einem der drei Akteure leichtfertig den schwarzen Peter zuzuschieben. Alles scheint für den unvoreingenommen Zuschauer schlüssig: Wo Journalisten detaillierte Einblicke in sämtliche Kontoauszüge des Bundespräsidenten verlangen, muss doch eine Hetzkampagne im Gange sein! Wo Christian Wulff in naivem Aktionismus vor die Kameras rennt, da ist der Mann doch seinem Amt nicht gewachsen! Und wo sich die Berater selbst immer tiefer in Korruptionsvorwürfe verwickeln lassen, da hat doch das System von innen versagt! Oder?

Das Urteil soll dem Zuschauer schwer fallen

Thomas Schadts „Der Rücktritt“ verweigert eine solche Verurteilung geschickt. Die Stimmung des Films dreht sich beinah genauso schnell wie die damaligen Meinungsumfragen zur Affäre Wulff. Als Zuschauer fällt es schwer, eine klare Haltung zu den Protagonisten zu entwickeln. Soll man aber auch gar nicht, so der Dokumentarist im StZ-Gespräch. Urteilen, das sollen andere. Worum es ihm stattdessen geht, ist die Geschichte, die den Medienskandalen gegenübersteht. Schadt inszeniert dabei einerseits mit feiner Feder die absurde Komik, die aus dem Wechselspiel zwischen Medien und Politik entsteht. Andererseits zeigt er das Präsidentenpaar als „Eingeschlossene“, die aus dem Inneren des Schlosses Bellevue auf den Kriegsschauplatz hinausschauen, ohne wirklich in das Geschehen eingreifen zu können.

Nur ein kleiner Hinweis zu Beginn des Films erinnert daran, dass sich Vieles davon allerdings im Bereich des Spekulativen bewegt. Allzu viel künstlerischen Freiraum hatte Thomas Schadt bei der Bearbeitung des Stoffes jedoch trotzdem nicht. Für das Drehbuch zum Film kämpfte er sich durch eine Vielzahl von unterschiedlichen Quellen: Mehrere Bücher, die zur Affäre Wulff auf den Markt kamen, wurden mithilfe des Spiegel-Journalisten Jan Fleischhauer durchkämmt, dazu zahlreiche Zeitungsinterviews, Artikel und Fernsehberichte. Schadt führte Hintergrundgespräche im Umfeld der Wulffs und versuchte schließlich, mit dem ehemaligen Bundespräsidenten selbst in Kontakt zu kommen.

Das Urteil im Wulff-Prozess folgt dem Film auf den Fuß

Dies allerdings vergeblich: Aufgrund des laufenden Prozesses könne Christian Wulff momentan leider mit niemandem sprechen, hieß es aus seinem Büro. Heute zuckt Schadt darüber nur mit den Achseln: „Ich denke, er hätte uns als Gesprächspartner im Endeffekt nicht viel genutzt, da er jedes Wort auf die Goldwaage legen muss. Man bearbeitet ja reale Figuren, das heißt, man benötigt Quellennachweise, die notfalls auch juristisch standhalten“. Also biss er die Zähne zusammen und telefonierte stattdessen immer wieder mit dem eigenen Anwalt. Solange, bis dieser den Film für wasserdicht erklärte.

Zwei Tage nach der Ausstrahlung des Doku-Dramas am kommenden Dienstag auf Sat 1 soll in Hannover nun auch das Urteil in Sachen Wulff gesprochen werden – eine zeitliche Punktlandung für Schadt.