Auch knapp vier Wochen nach Betriebsstart fahren die Expressbusse der Linie X1 fast leer vom Cannstatter Wilhelmsplatz in die Stuttgarter Innenstadt. Die Kritik am engen Takt wird lauter – selbst von Nutzern.
BAd Cannstatt - X 1 – Der Schnellste seiner Art.“ Der Schriftzug auf den markant gesprenkelten Bussen am Wilhelmsplatz ist vielversprechend. Die Realität spricht jedoch eine andere Sprache. Hohe Kosten, aber wenig Auslastung – mit diesen Vorwürfen sehen sich die Verantwortlichen der Stuttgarter Straßenbahnen AG (SSB) nach vier Wochen Betriebszeit konfrontiert. Was die Kritiker am meisten an der neuen Expressbuslinie bemängeln und belächeln ist der extrem enge Takt, der dazu führt, dass bis zu drei Busse gleichzeitig am Wilhelmsplatz stehen. Hier stellen sich viele die berechtigte Frage: Was macht es für einen Sinn, wenn sich dort alle fünf Minuten ein fast leerer Bus auf den Weg in die Stuttgarter Innenstadt macht?
„Ich glaube, dass man der Linie etwas mehr Zeit geben muss“, sagt ein junger Mann, der gegen 9 Uhr in den Bus einsteigt. Es habe sich noch nicht genügend herumgesprochen, dass die X-1-Linie eine Alternative für die – besonders im Berufsverkehr – teilweise übervollen Stadtbahnen sei. Er sei Cannstatter und wolle zum Stuttgarter Rathaus. Warum er den Bus nimmt? „Er ist zwar nicht schneller, bietet aber eine Sitzplatzgarantie“, so der 23-jährige Student. Kurz vor der Abfahrt kommt noch ein zweiter Fahrgast dazu. Er wolle die Linie einmal ausprobieren, sagt der Mann. Mehr Passagiere werden es bei dieser „Fuhre“ nicht.
Fahrgastpotenzial nur theoretisch
Warum eigentlich? Immerhin ist der Wilhelmsplatz samt Cannstatter Bahnhof der zweitgrößte Verkehrsknoten der Landeshauptstadt. Neben den S-Bahnen und Regionalzügen am nahen Bahnhof fahren im Regelbetrieb hier mittlerweile vier Stadtbahnlinien (U 1, U 2, U 13 und U 19), ab Dezember kommt mit der U 16 eine fünfte dazu. Zusammen mit den zwei Linienbussen 52 und 56 und dem 45er-Bus, der in der Eisenbahnstraße keine 100 Meter entfernt hält, eigentlich genügend Fahrgast-Potenzial.
Offenbar nur auf dem Papier: Gähnende Leere an der Expressbus-Haltstelle, aber auf dem Bahnsteig der Stadtbahn stehen die Fahrgäste Schlange, um in die U 1 in Richtung Innenstadt zu steigen. Zumindest an diesem Tag verspürte niemand Lust, am Wilhelmsplatz bewusst den Expressbus zu nehmen. Ansgar Fröhn, der hier schon seit mehr als zehn Jahren vom 13er in die U 1 umsteigt, ist ehrlich: „Ich bin einfach zu faul, um über die Straße zu laufen“. Eine Frau, die neben ihm wartet, hat von der Schnellbuslinie noch gar nicht gehört, will sie aber unbedingt einmal ausprobieren.
Erfahren Sie im Video, was Stuttgarter über den Expressbus denken:
5-Minuten-Takt ist überzogen
Robert Erlacher aus Esslingen hätten ihn dagegen genommen. Doch der 32-Jährige muss heute zum Löwentor und wartete an der Haltestelle Wilhelmsplatz auf die U 13, die wegen Bauarbeiten zur Zeit nicht durch die Badstraße fahren kann. „Ich bewerte solche ÖPNV-Angebote generell für sinnvoll, zumal Autofahren in Stuttgart eine Katastrophe ist“, so Erlacher. Allerdings hält er einen 5-Minuten-Takt für völlig überzogen: „Da werden viele Steuergelder ohne Sinn und Zweck verbrannt.“ Ein älterer Herr, der das Gespräch bisher kommentarlos verfolgt hat, nimmt plötzlich kein Blatt vor den Mund und bezeichnet das X-1-Projekt sogar „als Spielwiese und teure Schnapsidee von OB Fritz Kuhn“.
Die kleine Umfrage ist sicher nicht repräsentativ, zeigt aber eines auf jeden Fall auf: So groß das Fahrgast-Potenzial am Wilhelmsplatz sein mag, den Takt muss die SSB wieder reduzieren, denn der sorgt nicht nur für Spott („Mehr Expressbusse als Fahrgäste"), sondern auch für berechtigte Kritik beim Bürger. Immerhin liegen die jährlichen Betriebskosten bei 2,7 Millionen Euro.
Mehr Akzeptanz für Fahrt nach Bad Cannstatt
Und wie sehen die Erfahrungen der Busfahrer aus? „Viele steigen am Wilhelmsplatz eher zufällig ein“, gibt ein Busfahrer, der seinen Namen nicht unbedingt in der Zeitung lesen möchte, zu. Den meisten der wenigen Fahrgästen müsse er erklären, warum die neue Linie eingeführt wurde und warum sie erst in der City wieder hält. Ganz anders dagegen seine Erfahrungen am Stuttgarter Hauptbahnhof. Bei der Non-Stopp-Fahrt zurück zum Cannstatter Wilhelmsplatz sei die Auslastung sehr viel besser. Das liege seiner Meinung auch daran, dass er für diese Strecke meist nur acht Minuten benötige. „Und das ist schneller als jede Stadtbahn.“ Allerdings nur dann, wenn er nicht im Stau stecken bleibe. Das Nadelöhr sei die König-Karl-Straße – sowohl stadtein- wie stadtauswärts.