Kürzlich gastierte die Crossover-Band Body Count in Zürich. Da musste ich hin! Voller Vorfreude teilte ich den Text des antirassistischen Songs „There goes the neighborhood“ (1992) auf dem Kurznachrichtendienst X. Sofort wurde die Sichtbarkeit des Posts wegen „Hateful Conduct“ eingeschränkt. Einspruch abgelehnt. Was war passiert? Rühmt sich Xs Besitzer Elon Musk nicht, X sei die letzte Bastion der Redefreiheit?
Aber beginnen wir am Anfang. Die 1990 gegründete Gruppe um den afroamerikanischen Rapper Ice-T steht nicht nur für Antirassismus, sondern auch für das Verbindende zwischen sogenannten ethnischen Gruppen. Anders als Vertreter der Identitätspolitik, die auf das Trennende fixiert sind, erinnert sie an gemeinsame Interessen, etwa im Song „No Lives Matter“ (2017): „Aber ehrlich gesagt geht es nicht nur um Schwarze / Es geht um Gelbe, um Braune, um Rote / Es geht um alle, die kein Geld haben / Auch arme Weiße, die sie ‘Trash’ nennen.“
KI erkennt Antirassismus nicht
Mit einem Mix aus Rap und Metal bringt Body Count seit über 30 Jahren die Fans einer einst als „schwarz“ und die einer einst als „weiß“ geltenden Subkultur zusammen. Dafür gebraucht sie oft drastisches Vokabular. In „There goes the neighborhood“ heißt es: „Hier kommen die verdammten Nigger / Mit ihren schicken Autos / Wer gab diesen verdammten Niggern / Diese Rockgitarren? … Wissen sie etwa nicht, dass Rock nur für Weiße ist? / Kennen sie etwa die Regeln nicht?“
Der Text ist klar sarkastisch. Doch für die künstliche Intelligenz von X ist offenbar alleine die Verwendung von „Nigger“ oder „nur für Weiße“ zu heikel – während andere Accounts fremdwortgewandt den Holocaust relativieren oder Frauenhass verbreiten. Das ist typisch für unsere Zeit. Wer heute auf YouTube oder Spotify nach der „Negerpolka“ (1997) der Stuttgarter Polka’n’Roll-Band Hiss sucht, sucht vergebens. Dabei ist auch das ein wichtiger Antirassismus-Song der 90er. Nun aber scheint es, als hätte Hiss damals nicht gegen Rassismus angesungen. So mündet Sprachpolitik in Geschichtsklitterung.
Zensur fördert Polariserung
Der Irrsinn reflexhaften Zensierens und Tabuisierens muss aufhören. Wer so tut, als stünde die Bedeutung einzelner Wörter ohne jeden Kontext fest, hängt einer bizarren Sprachmagie an. Und wer Gruppen umstandslos untersagen will, kontaminierte Wörter auch nur als Zitate zu verwenden, fördert Polarisierung. Genau davor warnen Body Count seit jeher. Doch leider wird der Irrsinn nicht aufhören. Er ist tief in die Strukturen der künstlichen Intelligenz und der natürlichen Dummheit aktivistischen oder regulatorischen Übereifers eingesickert. Der Kunst stehen harte Zeiten bevor.