XXL-Landtag Verfassungscheck beim Wahlrecht
Gibt der Verfassungsgerichtshof dem Landtagswahlrecht einen neuen Dreh? Anlass ist ein Streit zwischen FDP und Innenressort.
Gibt der Verfassungsgerichtshof dem Landtagswahlrecht einen neuen Dreh? Anlass ist ein Streit zwischen FDP und Innenressort.
Der Präsident des Verfassungsgerichtshofs Baden-Württemberg, Malte Graßhof, hat ein grundlegendes Urteil zum Landtagswahlrecht angekündigt. „Wir treffen eine sehr weitgehende Entscheidung, das werden wir nicht übers Knie brechen“, sagte Graßhof am Ende der Verhandlung über eine Beschwerde der FDP gegen das Innenministerium. Der Vorgang steht im Kontext der Debatte um eine mögliche Aufblähung des Landtags infolge des von Grünen, CDU und SPD beschlossenen Zweistimmenwahlrechts, welches schon bei der kommenden Wahl im März 2026 das bisherige Einstimmenwahlrecht ablösen soll.
Die FDP warnt vor einem XXL-Landtag, zu dem es je nach Wahlverhalten der Bürgerinnen und Bürger kommen könnte. Unter Führung des früheren FDP-Landeschefs Michael Theurer sowie dessen Vize Hans-Ulrich Rülke hatte die Partei einen Gesetzentwurf erarbeitet, den sie über ein Volksbegehren zur Volksabstimmung bringen wollte. Dies wurde jedoch vom Innenministerium gestoppt.
Anders verhält es sich bei einem von dem Privatmann Dieter Distler initiierten Volksbegehren „Landtag verkleinern“, das vom Innenministerium als zuständiger Prüfbehörde durchgewunken wurde. Der Unterschied: Distler schlägt vor, die Zahl der Wahlkreise von 70 auf 38 zu verkleinern. Die Zahl 38 ist nicht gegriffen, sie entspricht der Zahl der Bundestagswahlkreise im Südwesten. Distler reduziert aber auch die Sollstärke des Landtags von 120 auf 68 Abgeordnete (diese beiden Zahlen umfassen neben den Direktmandaten auch die Mandate, die über die Zweitauszählung beziehungsweise künftig die Liste vergeben werden; Überhang- und Ausgleichsmandate sind nicht berücksichtigt). Die FDP will die Zahl der Wahlkreise ebenfalls auf 38 verringern, hält aber an der Sollstärke von 120 Abgeordneten fest. Wieso aber hat das Innenministerium das Distler-Volksbegehren erlaubt, das FDP-Unterfangen aber gestoppt? In Artikel 28 der Landesverfassung heißt es: „Die Abgeordneten werden nach einem Verfahren gewählt, das die Persönlichkeitswahl mit den Grundsätzen der Verhältniswahl verbindet.“ Nach Auffassung des von Thomas Strobl (CDU) geführten Innenministeriums kommt im FDP-Volksbegehren der Grundsatz der Persönlichkeitswahl zu kurz: nur 38 Mandate würden direkt vergeben. Im Distler-Konzept hingegen stellten die direkt gewählten Abgeordneten – ohne Überhang und Ausgleichsmandate – eine knappe Mehrheit. Das Verhältnis wäre ausgewogen.
Die FDP wehrt sich vor dem Verfassungsgerichtshof gegen die Entscheidung des Innenministeriums. Uneinig zeigten sich die beiden Streitparteien über das verfassungsrechtlich korrekte Mischungsverhältnis von Persönlichkeitswahl und Verhältniswahl. Christofer Lenz, der Prozessvertreter der FDP, erkennt einen weiten Spielraum für den Gesetzgeber. Die Verfassung biete kein Korsett an, sondern eine weite Jacke. Lenz gab der Vermutung Raum, das Innenministerium habe mit der Blockade des FDP-Volksbegehrens eine „zweckorientierte Entscheidung getroffen“ aus Angst, „die Bevölkerung könnte Herrn Rülke recht geben“.
Für Winfried Porsch wiederum, den Anwalt des Innenministeriums, erhellt sich, dass die FDP an Direktmandaten generell wenig interessiert sei, weil sie in Baden-Württemberg ohnehin keines gewinne. Porsch griff auch die Berechnungen des Politikwissenschaftlers Joachim Behnke von der Zeppelin-Uni Friedrichshafen an. Behnke hält unter bestimmten Bedingungen eine Aufblähung des Landtags auf um die 200 Abgeordnete für möglich. Dieser Fall tritt allerdings nur dann ein, wenn eine Partei nahezu alle Wahlkreise gewinnt; dies aber mit einem geringen Zweitstimmenergebnis. Denn damit erhöht sich die Zahl der Überhang- und Direktmandate gewaltig.
Verfassungsgerichtspräsident Malte Graßhof stellte eine Entscheidung für Februar 2025 in Aussicht.