Mahler, Wagner, Sibelius: Der junge Senkrechtstarter Yoel Gamzou hat die Stuttgarter Philharmoniker dirigiert.

Stuttgart - Er ist ein Kosmopolit, der sich nach frühem Abitur schon als 15-Jähriger aus Tel Aviv davonmachte, um in und von der Welt (und ein wenig auch vom großen Carlo Maria Giulini) zu lernen. Jetzt, gerade mal dreißig Jahre alt, ist Yoel Gamzou nur Generalmusikdirektor am Theater Bremen, wo er gegen das Elitäre des Klassik-Betriebs ebenso schimpft wie gegen eine aufgesetzt coole Anbiederung an junges Publikum. Spätestens seit seiner spektakulären Vervollständigung von Gustav Mahlers als Torso hinterlassener zehnter Sinfonie ist er außerdem einer der aufsteigenden Sterne im Klassik-Betrieb: ein Fast-Autodidakt am Dirigentenpult, der zu einem normalen Hochschulstudium weder fähig noch willens war, aber spür- und sichtbar für das lebt, was er mit und vor dem Orchester tut.

 

Am Donnerstagabend war der Weltbürger Gamzou bei den Stuttgarter Philharmonikern zu Gast – ausgerechnet in jener großen Abo-Reihe, die in dieser Saison den schönen Titel „Heimat“ trägt. Bei der Musik immerhin ist der Dirigent ganz zu Hause. Und bei den Musikern, von denen er (ungewöhnlich!) leicht linkisch, aber herzlich gleich alle sechs Streicher an den ersten Pulten mit Handschlag begrüßt. Zwei Hemden hat er während des Konzerts komplett durchgeschwitzt (es hätten auch mehr sein können), und er hat einen überzeugenden Weg durch die in typischer Philharmoniker-Manier fein miteinander vernetzten Werke des Abends genommen. Dabei ist das Jean Sibelius‘ 1910/11 entstandene vierte Sinfonie mit ihrer aus einem Tritonus erwachsenden vagen Harmonik, ihrer kleinzelligen Motivik und ihrem hohen Abstraktionsgrad immer noch ein Stück Fremdkörper für die Ohren – selbst an diesem Abend, an dem ihr Peter Ruzickas exzellent gearbeitete, leicht nostalgische Reverenz an Mahlers Zehnte, „Mahler/Bild“) vorausgeht.

Die Mezzosopranistin Lioba Braun – schöne Tiefe, aber flackernde Höhe und Probleme beim Wechsel der Register – gelangt erst am Ende des fünften von Mahlers „Kindertotenliedern“ zu spürbarer Souveränität und Vertiefung. Als Solistin bei Vorspiel und Liebestod aus Wagners „Tristan und Isolde“ wirkt sie deutlich stärker beheimatet. Dass man oft nur das Öffnen und Schließen ihres Mundes wahrnimmt, ist der dynamisch dominierenden Emphase geschuldet, zu der Yoel Gamzou die (auch sehr präzise geführten) Orchestermassen hintreibt. Wenn dieser Unangepasste irgendwo zu Hause ist, dann hier, in diesem Klangmeer, dessen Wallen und Wogen man sich auch als Hörer hilflos ergibt. Blumen wollen zu dieser hochemotionalen Todesmusik nicht passen; sie schenkt der sichtlich verausgabte Dirigent am Ende dem glücklichen Englischhornisten.