Der Zustrom an Flüchtlingen hat in den vergangenen Wochen abgenommen. Dennoch könnten, wenn der aktuelle Trend anhält, 2016 insgesamt mehr kommen als im Rekordjahr 2015, schreibt StZ-Korrespondent Armin Käfer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Die Kanzlerin und ihrer Sprecher betonen bei jeder Gelegenheit, dass die Zahl der Flüchtlinge verglichen mit dem Ansturm im Spätsommer 2015 merklich abgenommen habe. Dennoch seien allein in den ersten 14 Tagen des neuen Jahres schon 51 395 in Deutschland angekommen. Das behauptet zumindest die Zeitung mit den größten Buchstaben, ohne jedoch eine exakte Quelle zu benennen. Das Bundesinnenministerium zieht diese Zahl in Zweifel, allerdings ohne eine eigene zu vermelden.

 

Auf das ganze Jahr hochgerechnet, würden die 51 000 der ersten Januarhälfte insgesamt mehr als 1,2 Millionen Flüchtlinge bedeuten. Das wären mehr als im Rekordjahr 2015. Laut Ministerium handele es sich bei der Zahl mutmaßlich um eine Summe der über das Easy-System registrierten Flüchtlinge. Das Kürzel Easy steht für „Erstverteilung der Asylbegehrenden“. Das System wird von den Bundesländern gefüttert. Dabei kann es allerdings sein, dass Flüchtlinge mehrfach registriert werden oder dass registrierte Flüchtlinge in andere Länder weiterreisen. Die Easy-Zahlen entsprechen deshalb nicht den tatsächlichen Verhältnissen.

2000 bis 3000 Asylbewerber am Tag

Einem Sprecher des Innenministeriums zufolge kommen im Moment 2000 bis 3000 Flüchtlinge täglich in Deutschland an. Oft seien es auch weniger als 2000. Hält der Zustrom so an, summierte sich dies übers Jahr zu einer bis 1,1 Millionen Zuwanderer. Der aktuelle Trend, so das Ministerium, lasse sich aber „nur sehr eingeschränkt auf das Jahr hochrechnen“.

Unter den Neuankömmlingen sind laut Innenministerium immer mehr Asylbewerber aus Nordafrika. So sei zum Beispiel die Zahl der Flüchtlinge aus Algerien im vergangenen halben Jahr von 847 (Juni 2015) auf 2296 (Dezember 2015) gestiegen, die der Zuwanderer aus Marokko im gleichen Zeitraum von 368 auf 2896. Es gibt aktuelle Berichte von der deutsch-österreichischen Grenze, wonach an manchen Tagen fast ausschließlich Leute aus dem Maghreb ankommen. Weil Passagen über das Mittelmeer zurzeit zu riskant sind und Spanien seine Exklaven in Marokko weitgehend abgeriegelt hat, reisen viele mit Billigflügen aus Casablanca über die Türkei ein.

Immer mehr Asylbewerber aus Nordafrika

Flüchtlinge aus dieser Region haben jedoch kaum eine Chance, Asyl oder Schutz nach der Genfer Konvention zu erhalten. So lag die Anerkennungsquote für Marokkaner 2014 zwischen 0,5 und 1,5 Prozent, die für Tunesier sogar unter 0,5 Prozent. Zum Teil geben sich Nordafrikaner bei der Einreise nach Deutschland deshalb als Syrer aus. Zwar ließe sich aufgrund von sprachlichen Eigenheiten erkennen, dass sie nicht aus der Levante, sondern aus Nordafrika kommen, aber die Asylbehörde verfügt nicht überall über Dolmetscher, die versiert genug sind, das zu unterscheiden.

Das Innenministerium bestätigte am Freitag Berichte aus Österreich, wonach die Bundespolizei in zunehmendem Maße Flüchtlinge an der bayerisch-österreichischen Grenze zurückweise. Dies werde praktiziert, seit es wieder Grenzkontrollen gibt. Im November wurden 400 abgewiesen und zurückgeschickt, im Dezember waren es 700, in den ersten beiden Januarwochen schon 2000. Diese Maßnahme richte sich gegen „Migranten, die angeben, gar nicht in Deutschland Schutz zu suchen“, sagte ein Sprecher des Ministeriums. Es handle sich keineswegs um ein neues Konzept oder gar um einen generellen Kurswechsel in der Flüchtlingspolitik.