Chinesische Touristen nutzen kaum noch Bargeld oder Kreditkarten. Deshalb bieten in der Region bereits rund 100 Händler, Hotels und Restaurants die Bezahl-Apps von Chinas Internetgiganten an.

Geld/Arbeit: Daniel Gräfe (dag)

Stuttgart - Vor einigen Monaten hat Ruiyao Xu (28) mit ihrer Mutter in Guiyang zum Frühstück die Nudelspezialität der Stadt gegessen. Schmackhaft und mit umgerechnet vier Euro auch günstig. Die 60-jährige Mutter zückte das Smartphone und scannte den QR-Code, schon war die Rechnung beglichen. Mehr überraschte es Xu, als sie darauf einen Bettler sah: Neben dem Becher war ein Schild mit einem QR-Code gestellt. „So etwas hatte auch ich noch nicht gesehen, aber viele Chinesen stecken statt Bargeld nur noch das Smartphone ein. Darauf stellen sich offensichtlich auch die Bettler ein.“

 

Seitdem Xu 2013 zum Studieren nach Marburg kam und anschließend in einer Frankfurter Agentur Arbeit fand, besucht sie einmal jährlich ihre Heimatstadt. Jedes Mal habe sich technologisch etwas verändert. „Ich bin total überrascht, wie die Leute im Vergleich zu Deutschland abhängig von ihren Smartphones sind.“

Vor allem Chinas Internetgiganten Tencent und Alibaba, die den Online-Handel, soziale Medien, mobile Bezahlsysteme und Kurznachrichtendienste in Fernost dominieren, haben den Alltag vieler verändert. Das macht vor allem der Erfolg von Tencents App Wechat deutlich – Digitalexperten bezeichnen sie als die mächtigste App der Welt. 2011 als chinesischer Whatsapp-Klon gestartet, hat Wechat ein Dienstleistungsuniversum geschaffen, das nun Whatsapp & Co. zu kopieren versuchen.

Wechat gilt als die mächtigste App der Welt

Mit Wechat lassen sich Chats und Videoanrufe wie bei Whatsapp führen, Nachrichten lesen wie bei Facebook, Essen bestellen wie bei Delivery Hero oder einkaufen wie auf Ebay. Die vielleicht wichtigste Funktion ist der integrierte Dienst Wechat Pay, mit dem sekundenschnell auch Geld zwischen zwei App-Nutzern überwiesen und überhaupt fast alles mobil bezahlt werden kann. Allein 600 Millionen nutzen ihn, er ist damit weitaus größer als derjenige von Alibaba, von Paypal oder Apple. Auch innerhalb Xus Familie wird damit Geld verschickt. Besonders beliebt ist die Funktion „Rotes Paket“. „Rote, mit Bargeld gefühlte Papierumschläge werden in China traditionell zu Hochzeiten oder Feiertage vergeben“, erklärt Xu. Auch das übernehme Wechat jetzt digital.

Beim mobilen Bezahlen weit voraus

„Beim mobilen Bezahlen ist China Deutschland weit voraus“, bekräftig William Tian, der für den chinesischen Smartphone-Riesen Huawei das Deutschland-Geschäft leitet und die technologischen Unterschiede zwischen den beiden Ländern auch aus eigener Erfahrung kennt. „Im Prinzip können Sie in China Jahre ohne Bargeld auskommen, wenn Sie wollen – auch in ländlichen Gegenden.“

In Deutschland wäre das undenkbar – was auch das Problem der Chinesen hierzulande ist. Denn neben der Begeisterung für mobile Dienste, mit denen sie ihre Daten mit Firmen und über die Firmen mit dem Staat teilen, entdecken immer mehr Chinesen das Ausland für sich. Hoch im Kurs steht Deutschland. Zwischen Heidelberg und München stoppen Reisegruppen gerne auch in Stuttgart und der Region – als Station der Automobile und Luxusmarken. Die Touristen kaufen gerne – noch lieber bezahlen sie, wie sie es gewohnt sind: mobil mit dem Smartphone. Was wiederum heißt: mit den Zahldiensten von Wechat und Alibaba. Ist das nicht möglich, shoppen sie oft anderswo.

In Stuttgart lässt man sich die Umsätze mit chinesischen Touristen nicht entgehen

Das hat man auch in Stuttgart erkannt, denn die kaufkräftige Klientel aus Fernost kurbelt immer kräftiger die eigenen Geschäfte an. 68 600 Übernachtungen zählte die Landeshauptstadt im vergangenen Jahr – damit stellt China bereits die viertgrößte Besuchergruppe aus dem Ausland, Tendenz steigend. Unter anderem bieten das Kaufhaus Breuninger, WMF, Galeria Kaufhof, die Museen von Porsche und Mercedes, das Althoff Hotel am Schlossgarten, das Restaurant Cube, aber auch Händler wie Juwelier Wempe, Rossmann und Jack Wolfskin chinesische Bezahldienste an. Kooperationspartner ist dabei der deutsche Finanzdienstleister Wirecard.

Am meisten Dampf macht allerdings Stuttgart-Marketing. „Wir müssen dafür sorgen, dass diese Bezahlsysteme von möglichst vielen in der Region Stuttgart akzeptiert werden“, sagt Geschäftsführer Armin Dellnitz. „Wer das nicht anbietet, dem entgeht Umsatz. Wir sind Deutschlands erste China-Pay-City.“ Auch deshalb gibt Stuttgart-Marketing derzeit im Jahr rund 75 000 Euro aus, um bei den größten Reiseagenturen und -plattformen damit zu werben, dass man auch in Stuttgart bequem und sicher wie in China bezahlen könne. „Das hat uns in den chinesischen Medien schon Aufmerksamkeit verschafft.“

Das Geschäft mit der zahlungskräftigen Kundschaft lässt sich auch die wegen seiner Luxusmarken beliebte Outletcity Metzingen nicht entgehen. Hier könne man bereits bei rund 40 Händlern an den Kassen wie in China zahlen, heißt es – das wüssten natürlich auch die Reiseunternehmen in Fernost.

Breuninger ist auch in Chinas sozialen Medien aktiv

Die Stuttgarter Kaufhauskette Breuninger präsentiert sich auf Chinas wichtigster sozialer Plattform Wechat deshalb mit einem eigenen Kanal und bietet chinesischen Touristen in Kooperation mit dem größten chinesischen Reiseveranstalter vor Ort auch Geschenke an – als besonderen Kaufanreiz. „Die chinesischen Touristen sind unsere wichtigste ausländische Kundengruppe, es geht hier um Millionenbeträge, das Wachstum ist im zweistelligen Bereich“, sagt Kommunikationschef Christian Witt. „Aber man muss ständig dranbleiben.“