Der Währungsfonds schätzt die Lage in Griechenland viel pessimistischer ein als die Euroländer und fordert Schuldenerleichterungen. Die Bundesregierung muss nun entscheiden, was ihr die weitere IWF-Beteiligung wert ist.

Berlin - Vom Fass ohne Boden ist im Zusammenhang mit den Hilfskrediten für Griechenland schon häufig die Rede gewesen. Vor ihrer Sitzung am kommenden Dienstag, auf der über die Auszahlung der nächsten Hilfstranche für Athen entschieden werden soll, haben die Euro-Finanzminister erneut untersuchen lassen, ob die griechische Regierung ihren Schuldenberg ohne weitere Erleichterungen jemals wird abtragen können und weitere Kredite für den Krisenstaat überhaupt verantwortbar sind. Im Ergebnis sagen die Experten der europäischen Institutionen „Ja“, während ihre Kollegen vom Internationalen Währungsfonds (IWF) in Washington de facto mit „Nein“ antworten.

 

Der IWF ist sehr viel skeptischer

Vordergründig dreht sich die Debatte um Analysen zur Schuldentragfähigkeit des Landes. Es geht darum, ob Griechenland auf Dauer in der Lage ist, von der hohen Verschuldung herunterzukommen. Das ist für den IWF ein zentrales Kriterium. In seiner Analyse untersucht der Euro-Rettungsfonds ESM die Schuldentragfähigkeit anhand mehrerer Szenarien. In seinem Hauptszenario, das als am wahrscheinlichsten erachtet wird, nimmt die in Luxemburg ansässige Institution an, dass der griechische Schuldenstand auch ohne weitere Maßnahmen von aktuell 176 Prozent der Wirtschaftsleistung bis 2060 auf 105 Prozent sinken wird. Voraussetzung dafür ist eine günstige Wirtschaftsentwicklung. Doch die Bandbreite ist groß: In seinem pessimistischen Szenario entwickelt sich der Schuldenstand laut ESM-Papier deutlich ungünstiger: Er liegt in diesem Fall 2060 bei 258 Prozent des Sozialprodukts. Zum Vergleich: Diese Quote liegt in Deutschland derzeit bei 71 Prozent.

Die IWF-Fachleute sind noch skeptischer. Sie glauben nicht daran, dass sich Griechenland schnell erholt. Sie erwarten, dass die Schuldenquote in 44 Jahren bei sage und schreibe 294 Prozent des Bruttoinlandsproduktes liegen wird. Zugespitzt lässt sich sagen, dass der Währungsfonds die Lage drei Mal schlechter bewertet als die Europäer.

Dies hat mir der Einschätzung zu tun, wie sich Einnahmen und Ausgaben mit den vereinbarten Spar- und Reformprogrammen in Griechenland entwickeln werden. Die in Washington ansässige Finanzorganisation, wegen ihrer Expertise von Bundeskanzlerin Angela Merkel zu Beginn der Eurokrise mit ins Boot geholt, traut Athen deutlich weniger zu als die Europäer. In einem Brief an Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) führt die IWF-Chefin Christine Lagarde aus, dass sie die Annahmen der Europäer für zu optimistisch hält. Der IWF geht für die Zeit bis 2018 lediglich von einem sogenannten Primärüberschuss (Überschuss ohne Berücksichtigung des Schuldendienstes) von 1,5 Prozent pro Jahr aus. Die Europäer sind sehr viel positiver gestimmt. Sie rechnen damit, dass die jährlichen Einnahmen um 3,5 Prozent über den Ausgaben liegen werden – und das sogar für einen Zeitraum bis 2028. Lagarde hält das für Zweckoptimismus: „Es gibt keinen Zweifel, dass diese Zielmarke nicht nur schwer zu erreichen ist, sondern möglicherweise auch kontraproduktiv ist“, schreibt sie. Der IWF hat die Sorge, dass unrealistische Sparvorgaben für Athen das flaue Wachstum vollends abwürgen.

In der Bewertung des eklatanten Unterschieds sind sich auch die Europäer nicht einig. Ein ranghoher EU-Vertreter nennt die Berechnungen des IWF gegenüber dieser Zeitung „hanebüchen“. Die Forderung des IWF, dass es erhebliche Schuldenerleichterungen für Griechenland geben soll, seien politisch motiviert, weil der Währungsfonds damit nur eine „exzessive Entschuldung Griechenlands auf das Niveau der Schweiz“ durchsetzen wolle. Ein anderer Verhandlungsteilnehmer bezeichnet die optimistischen Haushaltskennzahlen dagegen als den „schwachen Punkt der EU-Rechnung“.

Uneinigkeit der Europäer

Klar ist derweil, dass die stark auseinanderklaffende Bewertung politische Konsequenzen hat. Der IWF, der satzungsgemäß nur neue Kredite gewähren darf, wenn die Schuldentragfähigkeit gesichert ist, knüpft strenge Bedingungen an seine weitere Beteiligung am Griechenland-Programm. Neue Schuldenerleichterungen sollen her. Dagegen haben die meisten Euroländer wenig einzuwenden. Klar ist für sie, dass es dabei nicht um einen Schuldenschnitt gehen darf, sondern beispielsweise weitere Zinsermäßigungen und längere Kreditlaufzeiten. Doch dagegen stellt sich bisher Finanzminister Schäuble. Er will vermeiden, dass der Deutsche Bundestag über Änderungen am dritten Hilfspaket abstimmen muss. Als möglicher Ausweg ist einem EU-Diplomaten zufolge eine „rein technische Beteiligung des IWF ohne Finanzierung“ im Gespräch. Dies ist eigentlich nicht wirklich vorgesehen, wurde aber bereits während der Bankenkrise in Spanien so praktiziert.