In der Zahnarztpraxis von Wolf Reiner Ude nimmt auch die Tochter Gisela Bettina den Bohrer in die Hand.

Stuttgart-Degerloch - Eigentlich war ihre Kindheit gar nicht schlimm. Es soll zwar Kinder geben, die Albträume bekommen, wenn sie an den Zahnarzt denken. Für Gisela Bettina Ude hätte das viele vom Grauen geplagte Nächte bedeutet. Denn der Schrecken kariesgeplagter Schokomäuler begegnete ihr Tag für Tag, schließlich ist ihr Vater Zahnarzt in Degerloch und wüsste so manche Geschichte zu erzählen. Aber der Vater hielt es mit den Süßigkeiten nie wie ein Missionar der Zahngesundheit, erinnert sich Ude. „Wir mussten nach den Bonbons eben die Zähne putzen“, sagt sie.

 

Heute zieht die Frau, die sich als Mädchen ohne schlechtes Gewissen Süßes schmecken ließ, selbst wacklige Zähne. Geplant war das nicht, sagt sie. „Eigentlich wollte ich Medizin studieren.“ Doch zwischen dem Wunsch und dem Beginn des Studiums lagen einige Wartesemester. Die wollte Ude überbrücken, indem sie in Tübingen mit dem Zahnmedizinstudium begann. „Ich dachte, ich wechsle dann zur Medizin nach ein paar Semestern“, sagt sie.

Schon als Kind hat sie ihrem Vater am liebsten über die Schulter geschaut, wenn er Freunden aus der Nachbarschaft eine Platzwunde an der Stirn genäht hat. Der Vater mit dem Bohrer in der Hand hat sie weniger fasziniert. „Medizin erschien mir immer umfassender“, sagt Ude. Sie träumte davon, schwer kranken Menschen zu helfen. Und die Patienten, die bei ihrem Vater auf dem Zahnarztstuhl saßen, klagten ja nur über Probleme mit dem Gebiss.

Das Praxisteam hat den Perspektivenwechsel gemeistert

Im Studium fiel ihr dann auf, welche Möglichkeiten die Disziplin ihr bot. Denn Zahnärzte bohren eben nicht nur Löcher, die der Karies verursacht hat. Sie operieren und arbeiten dabei wie Chirurgen. Das hat Gisela Bettina Ude gefallen. „Außerdem war mir klar, dass ich Familie haben wollte“, sagt sie. „Das ist für Frauen in vielen medizinischen Fachrichtungen schwierig, nicht aber bei der Zahnmedizin.“

Ihr Vater, Wolf Reiner Ude, hat den Findungsprozess seiner Tochter gelassen betrachtet. Zwar ist es nicht unüblich, dass Zahnarztpraxen von einer Generation an die nächste übergehen, sagt der Degerlocher Zahnmediziner „Ich habe das aber so nie geplant.“ Der Sohn hat einen ganz anderen Beruf ergriffen, und dass sich die Tochter von der Medizin locken ließ, fand Ude in Ordnung. „Sie hatte immer ihren eigenen Kopf. Selbst wenn ich gewollt hätte, es wäre sinnlos gewesen, sie irgendwie zu beeinflussen.“

Das Assistenzjahr nach dem Studium hat Gisela Bettina Ude in einer Praxis im Asemwald gemacht. Einen Teil der Stunden leistete sie aber in der Praxis ihres Vaters ab. Die beiden Udes haben sich in dieser Zeit an die spätere Zusammenarbeit herangetastet. Die Erwartungen waren dabei am Anfang aber durchaus gemischt, sagt Gisela Bettina Ude. Die junge Zahnmedizinerin war sich unsicher, wie die Mitarbeiter ihres Vaters mit ihr umgehen würden. „Die kannten mich schließlich noch, als ich so klein war“, sagt sie und hält ihre Hand ungefähr einen Meter über den Boden. Das Praxisteam hat den Perspektivenwechsel gemeistert und Gisela Bettina Ude auch.

Praxis soll in Familienhand bleiben

Mittlerweile steht für sie und ihren Vater fest, dass die Praxis in Familienhand bleiben wird, irgendwann eben unter Leitung der Tochter. Ihr Vater hat versucht, die neue Mitarbeiterin aus dem engsten Familienkreis genauso zu behandeln wie andere junge Zahnmediziner im praktischen Jahr auch: auf Augenhöhe. „Wichtig ist es immer, dass die jungen Mediziner zu mir kommen, wenn es ein Problem gibt. Ansonsten sollen sie ihren Freiraum haben.“ Freiraum bietet das Arbeiten in einer Zahnarztpraxis den Ärzten ohnehin. „Jeder von uns hat seine eigenen Patienten, da gibt es gar nicht viel Anlass für Diskussionen“, sagt Gisela Bettina Ude.

Falls es doch mal Themen zu besprechen gibt, achten die Udes darauf, dies nicht am Esstisch zu tun. Denn am Wochenende besucht Gisela Bettina Ude oft ihren Vater und ihre Mutter. „Da müssen wir uns manchmal bremsen“, sagt Gisela Bettina Ude. So ist das eben, wenn Vater und Tochter in der gleichen Praxis den weißen Kittel tragen.