Das fesselnde ZDF-Dokudrama „Letzte Ausfahrt Gera – Acht Stunden mit Beate Zschäpe“ mischt fiktionale Spielszenen und dokumentarisches Material. Die Frage der Schuld bleibt außen vor.

Stuttgart - Ein Cyborg. Das ist das erste, was man denkt, wenn man Beate Zschäpe (Lisa Wagner) sieht. Eine Maschine mit menschlichem Antlitz oder ein Mensch, dem ein Chip implementiert wurde. So genau kann man das nicht unterscheiden, wenn man sieht, wie sie auf dem Rücksitz einer Limousine des Bundeskriminalamtes sitzt und jedes Mal den Kopf dreht, um ihre Haare nach hinten zu werfen, wenn die beiden BKA-Beamten Troller (Joachim Król) und Dietrich (Christina Große) versuchen, sie aus der Reserve zu locken. Doch an dieser Frau prallt alles ab. Fragen, Komplimente, ja, sogar die Einladung, in einem Biergarten Zwischenstopp zu machen für ein Vier-Augen-Gespräch. Mitunter hat man den Eindruck, Beate Zschäpe ist nur physisch anwesend während dieser Autofahrt, die den Rahmen eines ZDF-Dokudramas bildet: „Letzte Ausfahrt Gera – acht Stunden mit Beate Zschäpe“.

 

Raymond Ley hat das Drehbuch mit seiner Frau Hannah geschrieben und verfilmt. Für den mehrfach preisgekrönten Regisseur („Meine Tochter Anne Frank“) ist dieser Stoff ein Geschenk. Schließlich ist Zschäpe die Schlüsselfigur im Prozess um neun NSU-Morde, eine der schlimmsten Mordserien der deutschen Nachkriegsgeschichte. Und die Autofahrt hat es tatsächlich gegeben. Im Juni 2012 wurde Zschäpe in einer Limousine des Staatsschutzes von der Haftanstalt in Köln nach Gera gefahren, wo sie ihre schwerkranke Großmutter traf. Aufnahmegeräte und Kameras waren während der Fahrt tabu. Was dort gesagt wurde, durfte nicht als Beweis in dem Prozess vor dem Münchener Oberlandesgericht benutzt werden.

Der Film ist ein Wagnis

Die Ermittler fertigten ein Gedächtnisprotokoll an – es bildet die Grundlage für das Drehbuch. Aus fiktionalen Spielszenen und dokumentarischen Filmschnipseln vom NSU-Prozess hat Raymond Ley ein Psychogramm dieser Frau gefertigt, von der man bis heute nicht weiß, welche Rolle sie bei der Planung der Verbrechen spielte. War sie nur die Lebensgefährtin der beiden Haupttäter Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt, die sich im November 2011 selbst getötet haben sollen? Oder war sie die Strippenzieherin im Hintergrund?

Sich dieser Figur fiktional anzunähern, noch bevor das Gericht ein Urteil im Prozess gegen sie gesprochen hat, ist ein Wagnis. Es scheint, als wollten die TV-Sender aufsehenerregende Fälle wie die Wulff-Affäre („Der Rücktritt“) oder die Guttenberg-Posse („Der Minister“) immer schneller als Stoff für fiktionale Dramen verwerten. Beim Steuersünder Uli Hoeneß („Der Patriarch“) hatte das ZDF zuletzt immerhin noch das Prozessende abgewartet. Im Fall Zschäpe aber war zum Drehbeginn im vergangenen Sommer noch völlig unklar, ob das Gericht der Angeklagten eine Beteiligung an den Taten würde nachweisen können.

Und entsprechend schockiert sei er gewesen, als er sich den schon fertig geschnittenen Film Ende 2015 ansah und ihn die Nachricht ereilte, Zschäpe wolle jetzt doch auspacken, so Ley. Hätte sie ein Geständnis abgelegt, hätte das ZDF den Film einmotten müssen. Doch Zschäpe stritt jede Beteiligung ab. Über ihren neuen Anwalt ließ sie eine 53-seitige Erklärung verlesen.

Grinsen über die Hinterbliebenen

Und die darf der Zuschauer getrost als Subtext für dieses fesselnde Dokudrama lesen. Das nämlich lässt die Frage nach der Schuld offen. Es zeigt aber, wie stark sich die Angeklagte von ihrer Umwelt abgekapselt hat, um die Erinnerungen zu verdrängen. Das ist vor allem das Verdienst von Lisa Wagner, ZDF-Zuschauern als taffe Samstagabendkommissarin Winnie Heller bekannt. Sie lotet die seelischen Abgründe der Angeklagten in den fiktionalen Szenen mit einer beinahe beängstigenden Intensität aus. In dem NSU-Prozess sieht man sie an einer Stelle sogar grinsen, als Hinterbliebene erzählen, wie das ist, wenn man die Bilder der hingerichteten Opfer nicht mehr los wird. Es ist die vollständige Abwesenheit von Empathie, die diesem Dokudrama den Stempel aufsetzt.

Lisa Wagner sagt, sie sei am Anfang unsicher gewesen, ob sie die Rolle annehmen solle. Sie habe nicht dazu beitragen wollen, das öffentliche Interesse an einer Frau zu nähren, die das Leben im Rampenlicht offenbar genieße. Dieser Gefahr beugt der ZDF-Film vor, leise, aber eindringlich. Er zeichnet das Psychogramm einer gebrochenen Frau. Ob sie Mittäterin im juristischen Sinne ist oder nicht, spielt kaum noch eine Rolle.