Aufstieg und Fall des Uli Hoeneß: in einer Kombination von Spielszenen und Interviews zeichnet der ZDF-Film „Der Patriarch“ das differenzierte Porträt eines Erfolgsmenschen, dessen Liebe zum Geld ihm zum Verhängnis wurde.

Stuttgart - Zu Besuch bei Familie Hoeneß im Jahr 1978: In der Küche erläutert der Fußball-Star Uli dem Reporter, welche Werbeverträge zu ihm passen würden. „Dinge, glaube ich, wie so eine Bausparkasse, eine Versicherung, eine Bank, aber auch Freizeitmode.“ Hoeneß sitzt lässig an der Küchen-Theke, das freizügig geöffnete Hemd entblößt üppiges Brusthaar. Im Hintergrund räumt Frau Susanne die Spülmaschine aus. Eine köstliche „Dahoam“-Story aus den Siebzigern. Die Interview-Szene aus einer Zeit, in der sich die Karriere des Profi-Fußballers Hoeneß bereits dem Ende zuneigt, ist eines der aussagekräftigen Archiv-Fundstücke im ZDF-Dokudrama „Der Patriarch“.

 

Das mit der Mode hat sich nicht durchgesetzt, doch den Sinn fürs Geschäftliche besaß Hoeneß schon immer. „Wir müssen investieren“, schlug er als 16-jähriger Bub dem Vater in der elterlichen Metzgerei in Ulm vor, was im Film in einer Spielszene mit Sven Gielnik in der jugendlichen Hoeneß-Rolle erzählt wird. Das mag erfunden sein, aber plausibel ist es allemal für jemanden, der es schließlich zum Wurstfabrikanten und erfolgreichsten Bundesliga-Manager gebracht hat. Hoeneß habe ein „erotisches Verhältnis zum Geld“, zitiert der ehemalige DFB-Präsident Theo Zwanziger seinen Vorgänger Egidius Braun.

Die Gerichtsszenen sind das Schmuckstück des Films

Den Kern und dramaturgischen Rahmen dieser Mixtur aus fiktionalem Spiel, Archivmaterial und aktuellen Interviews bilden fesselnd inszenierte Szenen aus dem Prozess gegen den Steuersünder Hoeneß, der im März 2014 zu drei Jahren und sechs Monaten Haft verurteilt worden war und mittlerweile Freigänger ist. Schauspieler Thomas Thieme, dieser ebenso wuchtige wie feinfühlige Koloss, spielt einen Hoeneß, der sich nur unter großer Anstrengung in die Rolle eines Angeklagten fügen kann. Zunehmend irritiert verfolgt er den Prozess, wirft unsichere Blicke zum Richtertisch, liest seine vorformulierte Reue-Erklärung wie unter starkem inneren Druck ab – die Szenen im Gerichtssaal halten sich ans Protokoll des Prozesses und sind mit einem präzise agierenden Thieme das Schmuckstück dieses Films.

Auch weil die Kamera von Martin Christ die eigentlich steife, unbewegliche Situation dynamisch auflöst. Manchmal wackelt die Kamera ein bisschen zu wichtigtuerisch, doch Regisseur Christian Twente gelingt es, die vier Prozesstage als atmosphärisch dichte Erzählung zu inszenieren. Es scheint so, als säße jeder Blick, jede Geste. Manche der eingestreuten Erläuterungen von Annette Ramelsberger, der Gerichtsreporterin der „Süddeutschen Zeitung“, die auch eine der Autorinnen dieses Films ist, wirken beinahe überflüssig, weil die Spielszenen aussagekräftig genug sind.

Beim Zocken jedes Maß verloren

Doch das Prozess-Kammerspiel bildet nur etwa ein Drittel des Dokudramas, das gleich das ganze Leben und die ganze Karriere von Uli Hoeneß erzählen will. Und die übrigen zwei Drittel erreichen nur bedingt ähnliche Qualität. So gibt es eine Vielzahl an Interview-Schnipseln mit einer Masse an Zeitzeugen. Die meisten sagen nur wenige Sätze, und auf manche hätte man gut verzichten können. Es wirkt, als wollten die Autoren vorweisen, mit wem sie alles gesprochen haben – und als wollten sie davon ablenken, mit wem sie alles nicht sprechen konnten: Niemand aus der Familie Hoeneß oder vom FC Bayern München trat vor die Kamera. Der Adidas-Vorstand Herbert Hainer, Aufsichtsratsmitglied der FC Bayern München AG, ist die einzige Ausnahme.

Und die Spielszenen vor allem mit Robert Stadlober als Profi und jungem Manager wirken im Vergleich zu den Gerichtsszenen steif und geradezu befremdlich. Ausstattung, Dialoge und das sichtlich fehlgeschlagene Bemühen, ungefähr ähnlich aussehende Darsteller für Jupp Heynckes, Lothar Matthäus, Hasan Salihamidzic, Robert Schwan und andere zu finden, erinnern eher an eine Ausgabe von „Switch Reloaded“. Am besten getroffen ist noch das Oliver-Kahn-Double, stumm im Bayern-Bus vorne rechts sitzend.

Trotz einiger Schwächen gelingt dem ZDF aber ein differenziertes Porträt dieses Mannes, der Rückschläge wie die frühe Sportinvalidität verkraften musste und einen Flugzeugabsturz überlebte, der fürsorglich sein konnte, aber immer das Sagen haben wollte, und der schließlich beim Zocken an der Börse jegliches Maß und jeden Überblick verlor.

Für die schärfste Hoeneß-Kritik sorgt natürlich einer seiner Intimfeinde: „Es ist wohl nicht ohne die vier Buchstaben Gier zu erklären“, sagt Münchens ehemaliger Oberbürgermeister – und 1860-Fan – Christian Ude (SPD). Hoeneß habe das Zocken gebraucht, „um auch in dieser Sparte die Nummer eins zu sein“.

ZDF, 20.15 Uhr