Viel „Happy Family“, viel Klischee und Brimborium, wenig Anspruch: Am Samstagabend hat die neue ZDF-Familienshow „4 geben alles“ mit Steven Gätjen in der Moderatorenrolle Premiere gehabt.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Was ist Familie? Familie ist Spaß, Liebe, Kommunikation, Herausforderung, Abenteuer. Das zumindest lernt das Publikum bei der neuen ZDF-Familienshow „4 geben alles“. Zu diesen Kategorien haben sich die Macher Wettkampfspiele für drei vierköpfige Familien aus Deutschland, Österreich und der Schweiz ausgedacht: Die Laudanns, die Maybachs und die Leumanns kämpfen um 100 000 Euro. Um sie zu gewinnen, müssen sie in den 148 Minuten zu Beginn simple Fragen aus der Alltagskultur beantworten und beim Finalspiel so lange wie möglich an einer Metallstange baumeln. Die Leumanns aus der Schweiz haben am meisten Durchhaltevermögen bewiesen und sich die Geldtrophäe geholt.

 

Das ZDF nimmt seinen Bildungsauftrag als öffentlich-rechtlicher Sender ernst, denn man lernt während dieser von Steven Gätjen moderierten Showpremiere am Samstagabend so einiges. Zunächst: Gätjen ist ein Routinier, der zwar nicht rumlabert, gut mit Kindern kann und die nötige Ungezwungenheit mitbringt, aber auch irgendwie konturlos bleibt. Familienfernsehen im Jahr 2016 ist und bleibt dennoch eine schwierige Angelegenheit. Im Falle von „4 geben alles“: klischeegesättigt, voyeuristisch und streckenweise langatmig.

Was lernt man noch? Zuallererst, dass Familien immer aus vier Menschen bestehen. Mama und Papa sind überdurchschnittlich attraktiv, modern und jugendlich; sie und ihre Kinder sind sportlich, schlank, glücklich, immens vielseitig interessiert und originell. Wer also weniger als sieben Hobbys hat und nur so Allerweltsbeschäftigungen wie Lesen oder Fußballspielen mag, sollte sich besser nicht bewerben.

Im Tuk Tuk durch Bangkok

Sodann: Eine richtige Familie gibt, gemäß dem Titel der Sendung, alles, um 100 000 Euro reicher zu werden. Wobei das, was von ihr verlangt wird, sich doch sehr im Rahmen hält. So müssen die Teilnehmer in den Spielrunden etwa so laut schreien, wie sie nur können, zum Beispiel „Mach die Musik leiser!“ Oder mit einer Kartoffel in der Hand ein paar Treppchen rauf und runter laufen und die Knolle in einen Behälter werfen; Grimassen von Prominenten im Stille-Post-Verfahren nachahmen und richtig zuordnen; Müllsäcke in Mülleimer werfen und Zuckerwürfel stapeln. Noch vor der Sendung öffneten sie ihr Familienheim für die Kameras und verwandelten einen Container mit ihren liebsten Dingen in ihr „Familienzimmer“, wobei sie durch einen Vierer-Familienpullover, in dem sie alle steckten, gehandicapt waren.

Puh, so viel „Happy Family“-Inszenierung, so wenig Anspruch war selten im Spielshow-TV. Immerhin, eine nicht ganz einfache Herausforderung gab es dann doch noch. Die wurde naturgemäß den Vätern auferlegt. Sie mussten vor der Show in Bangkok ein Tuk Tuk, also eine asiatische Autorikscha, durchs Verkehrschaos steuern und zum Khlong-Toei-Markt finden. Als Navi diente die Restfamilie am heimischen Laptop, die das Familienoberhaupt per Skype mit Richtungsanweisungen durch die Straßen der thailändischen Hauptstadt lotste. Wir lernen: Moderne Väter sind mehr oder weniger nervenstarke Abenteurer am Steuer. Und die fürs Visuelle zuständigen Techniker der Show haben sich enorm viel Mühe gegeben, um die Einspielfilme optisch so zu tunen, dass die dreimalige Abfolge des Gleichen nicht sterbenslangweilig wird.

Die Welt ist ungerecht

Mütter hingegen sind Emotionsbündel, die nah am Wasser gebaut haben, wenn ihnen ihre Familie demonstriert, wie „perfekt“ und „toll“ sie doch sind. Um dies zu belegen, ließen die ZDF-Showstrategen jeweils Mann und Kinder heimlich einen Popsong für die liebe Mami umtexten, der dann mithilfe von Tim Bendzko in einem Tonstudio eingesungen wurde; die Performance wurde der nichts ahnenden Mutter in der Show per Video vorgeführt. Deren Augen standen schon unter Wasser, bevor der gesungene Liebesbeweis überhaupt abgespult wurde. Ergo: Beim Thema Geschlechterrollen ist die Familienunterhaltung des ZDF scheinbar im vorvergangenen Jahrhundert stehengeblieben.

Und dann lernt das Publikum noch etwas anderes – allerdings nichts, was es nicht schon wüsste. Dass die Welt nämlich ungerecht ist, weil nicht nur der im Leben weiterkommt, der viel leistet. Diese Lektion wird mithilfe von sogenannten Emo-Bändern erteilt. Die Zuschauer haben die Dinger vor Sendungsbeginn um ihre Handgelenke geschnallt bekommen, damit sie dort Hauttemperatur und -widerstand, Muskelspannung, Herzfrequenz und Puls messen können, womit angeblich „wissenschaftlich“ belegbar wird, welche der Familien das Publikum am meisten begeistert.

Damit bleibt den Laudanns die Teilnahme am finalen Familienduell (Baumeln an der Metallstange) verwehrt, denn mit ihrem „Teamgeist, ihrer Leidenschaft, ihrer Performance, ihrer Kaltschnäuzigkeit, ihrer Liebe“, so Gätjen, kamen sie minimal weniger gut an als die Maybachs und Leumanns. Welch bittere Pille! Die neunjährige Laudann-Tochter Maja ist untröstlich. Auch wenn es zynisch klingen mag: Ihre unkalkulierten, ehrlichen Tränen sind der beste Moment der ganzen Show.