In den Filmen des Fernsehens spielte die Pandemie bisher keine Rolle. Nun wagt das ZDF den Anfang: „Die Welt steht still“ erzählt bewegend, wie das Leben einer Ärztin im Frühjahr 2020 aus den Fugen gerät.

Kultur: Tim Schleider (schl)

Stuttgart - Ob Nachrichten, Politmagazine, Medizinratgeber oder Talkshows – in den Informationssendungen des Fernsehens spielt die Corona-Pandemie seit Anfang 2020 über weite Strecken die Hauptrolle. Auf den Sendeplätzen der Fernsehfilme und Serien ist dagegen von den Sorgen der Menschen vor einer Infektion, von ihrem Maskenalltag oder gar vom Lockdown und den Umwälzungen im Alltag nichts zu finden. Ob „Tatort“, „Sturm der Liebe“ oder „Fernsehfilm der Woche“ – überall ist ein Leben zu sehen, wie es die Menschen seit beinahe zwei Jahren eigentlich nicht mehr kennen: ohne Mundschutz, ohne Plexiglasscheiben, ohne Abstandsgebot.

 

Mit der Produktion „Die Welt steht still“ versucht das Zweite nun, der aktuellen Wirklichkeit in seinem fiktionalen Programm ein wenig gerechter zu werden – und schafft einen Fernsehabend, der vielen Zuschauern vermutlich sehr nahe gehen wird. Die Grimme-Preisträgerin Dorothee Schön erzählt in ihrem Drehbuch von der Konstanzer Krankenhausärztin Carolin Mellau und ihrer Familie. Den Silvesterabend 2019 feiert man fröhlich am Bodensee; Carolin (Natalia Wörner) freut sich auf einen beruflichen Wechsel, ihr Mann Stefan (Marcus Mittermeier) auf eine Konzerttournee mit dem Kammermusik-Quartett; die Tochter Luzy (Lilly Barshy) knutscht heftig mit einem netten jungen Mann aus der Schweizer Nachbarstadt Kreuzlingen; der kleine Sohn Tim freut sich, dass die Schule gerade weit weg ist.

Der Alltag bröckelt Stück für Stück

„Die Welt steht still“ erzählt, wie schon bald, nämlich in den ersten Wochen des Jahres 2020, diese Normalität Stück für Stück erst bröckelt und dann zerbricht. Im Mittelpunkt steht dabei die Arbeit im Krankenhaus, wo die Welt nun alles andere als still steht und deren Mitarbeiter mit allen Mitteln versuchen, den ersten Covid-19-Patienten zu helfen, obwohl es ihnen an den nötigen Hilfsmitteln wie Schutzkleidung oder Masken fehlt. Regisseur Anno Saul hat vor einigen Jahren für die ARD die zweite „Charité“-Staffel gedreht; er schafft es, das Leben und Arbeiten in einem Hospital realistisch nahe zu bringen, also jenseits aller sonst üblichen TV-Krankenhaus-Idyllen à la „In aller Freundschaft“ oder „Die knackigen Ärzte“.

Man kann dem ZDF-Film „Die Welt steht still“ leicht vorwerfen, in neunzig Minuten wirklich alles unterbringen zu wollen, was das Leben der Deutschen seit der ersten Covid-19-Infektionen in diesem Land prägt: vom Überlebenskampf auf den Intensivstationen bis zum missglückten Digitalunterricht für Grundschüler, von den Verschwörungstheorien der Corona-Leugner bis hin zu den Liebesbeziehungen, die zerbrechen, weil plötzlich die seit Jahren offene Grenze zwischen Konstanz und Kreuzlingen wieder mit Drahtgittern verschlossen wird.

Hier belehren keine Experten

Was aber bei einigen Schwächen die überaus schätzenswerte Qualität des TV-Films ausmacht, ist nicht nur das ruhige, konzentrierte und absolut unprätentiöse Spiel von Natalia Wörner. Es ist vor allem der Respekt vor all den vielen Figuren und Geschichten, die hier zur Sprache kommen und denen wirklich ein Platz gegeben wird. Denn ja: der Tochter wird gerade ein Stück Jugend geraubt. Und ja: die alte verwirrte Mutter muss verzweifeln, da ihre Tochter sie nicht mehr anfassen darf. Anders als in so mancher Talkshow der Vergangenheit werden sie hier keineswegs umgehend von Experten belehrt, ihr Verlust sei ein Kollateralschaden, der im Vergleich zum Krieg gegen das Virus wenig zu bedeuten habe.

Viele Zuschauer werden in „Die Welt steht still“ ihre eigene große oder kleine Corona-Geschichte wiederfinden. Hier werden keine Helden beschrieben, hier verfälscht kein hohles Pathos. Dieser Film leistet deshalb auch Trauerarbeit. Egal, wie lange unser Kampf gegen Corona noch dauern wird – ohne solche Trauerarbeit geht er nie zu Ende.

ZDF, Montag, 20.15; auch in der Mediathek