Das ZDF zeigt am Sonntag einen opulenten Fernsehfilm über die Familie Wagner in Bayreuth. Dabei geht’s ordentlich zur Sache: Sex, Verrat, Betrug. Das werden Wagnerianer nicht mögen.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Mainz - Fotobrautschau bei Wagners in Bayreuth, weil Siegfried, Richard Wagners einziger Sohn (Lars Eidinger), nun schon über vierzig Jahre alt ist und endlich mal ein Nachkomme im Hause Wahnfried nottäte. Die Mutter und Festspielherrin Cosima (Iris Berben) wird nicht jünger, und der Filius von Isolde und Franz Beidler, der immerhin ein tauglicher Dirigent ist, aber wegen Siegfried nicht recht ran darf im Geschäft, zählt wenig. Also blättert die mit dem Rassentheoretiker und Haushofkettenhund Houston Stewart Chamberlain verheiratete Schwester Eva (Eva Löbau) ein paar Prinzessinnenansichten in Schwarz-Weiß auf den Schreibtisch, während Siegfried, wie immer im Film, Kette raucht. Als ihm die Frauen – Männerliebhaber, der er nun mal ist –, optisch zu viel werden, sagt Siegfried ennuyiert: „Zu kleines Becken. Da geht der eine Wagner nicht rein und der andere nicht raus.“

 

Das ist, klassische Wagner-Vereinsvorstände mögen bitte vorsichtig in Deckung gehen, in diesem Film manchmal so das Niveau.

Fast unmittelbar anschließend zeigt die Regisseurin Christiane Balthasar, wo sie mit ihrem „ZDF-Eventfilm“ womöglich mal hinwollte. Das ist, als der erwähnte Chamberlain (Heino Ferch) auf einem Indoor-Rudergerät im Trockenen sitzt und mit seiner Gattin, wie Thomas Mann gesagt hätte, Geschlechtliches erörtert – beziehungsweise Dynastisches. Also die Frage: Winifred & Siegfried – passte das wenigstens? Eva meint, ja. Chamberlain knarztrudert weiter vor sich hin und reckt das Kinn vor, wenn schon nicht so wie Wagner selber, aber mindestens so wie Kevin Spacey als Frank Underwood hundert Jahre später an der gleichen Maschine in der amerikanischen Serie „House of Cards“.

Siegfried muss sein schwules Leben tarnen

Darin wird im Washington von heute teils mit Brecht’schen Mitteln vorgeführt, was der Politikbetrieb so alles an Psychopathologischem hervorbringt. Exakt daran wäre auch Christiane Balthasar interessiert, wiewohl in anderer Sphäre. In „Der Wagner-Clan. Eine Familiengeschichte“ gilt’s selbstredend der Kunst – das heißt dem Künstlerischen. Aber mehr als ein Rahmen ist das eben nicht. Und Brecht? Tut nichts zur Sache.

In Wirklichkeit ist die Kunst in dieser Wagner-Event-Film-Welt eher Camouflage – Originalmusik und ihre seifige Verfremdung, die im aufwendigen Wahnfried-Nachbau und drum herum als Dialogbrückenunterspülung dient: Cosima braucht sie zur Vergangenheits-Beweihräucherung, Siegfried zur Tarnung seines schwulen Zweitlebens, Eva als Lebensversicherung. Die Einzige, die jenseits der Monumentalisierung etwas riskieren will mit Richard Wagner, ist seine Erstgeborene: Isolde, von Wagner mit auf den Lebensweg gebracht, als Cosima noch mit Hans von Bülow verheiratet war.

Die Regisseurin Balthasar zeigt den alten Richard (Justus von Dohnányi) in diesem Film, der mit seinem Tod in Venedig einsetzt und mit Hitler ante portas endet (Winifred: „Onkel Wolf ist da!“), nur, wenn sie an seine Allgewalt über alle anderen auch und gerade nach seinem Tod erinnern will. Besonders fest im Griff hat er dabei Isolde. Ihr, der Lieblingstochter, impfte Wagner, wie man in leicht milchigen Retrospektiven sieht, einen Rest seines erloschenen Revolutionsgeistes ein. Das hat geklappt: Isolde (die fantastisch glühende Petra Schmidt-Schaller) würde zusammen mit dem Dirigenten Franz Beidler Bayreuth entrümpeln. Wenn man sie ließe.

Richard Wagner kommt nur in Rückblenden zu Wort

Das wäre die Geschichte. Historisch weitgehend verbürgt. Gut zu erzählen. Aufschlussreich. Im Film jedoch ist das alles leider nur ein dramaturgisches Klebemittel (Buch: Kai Hafemeister). Isolde verhebt sich innerbetrieblich, wird quasi verbannt, dann sogar – im Beidler-Prozess von 1914 – auf Betreiben Cosimas als Tochter Wagners entrechtet. Sie stirbt 1919 vor ihrer Mutter.

Der Film schichtet, um es freundlich zu sagen, ein bisschen viele Geschichten aufeinander: Cosimas Last mit dem lüsternen Fremdgeher Richard; Siegfrieds Coming-out, Chamberlains Coming-in und Isoldes Ausfall als Hoffnungsträgerin. Um eine Verbindung zumindest unter den drei vollkommen unterschiedlichen Geschwistern zu stiften, konzentriert sich Balthasar oft aufs Sinnliche, oder was man dafür halten soll, bis hin zum gefilmten Parallelorgasmus der Kinder mit ihren Partnern: Bei Isolde wird daraus ein Liebesfest, bei Siegfried eine leicht verklemmte After-Work-Seeparty zu zweit und bei Eva nächtlicher Dienst nach Vorschrift – bis selbst das deutsche Eichenbett unter Chamberlains Gewicht höhnisch zu ächzen anfängt. Man weiß in diesem Augenblick nicht ganz genau, ob man lachen oder doch lieber ein bisschen heulen sollte.

Mutter und Sohn spielen hinreißend Theater

Andererseits ist man kein Wagnerianer, was also soll’s? Darüber hinaus jedoch: Wem soll das bitte was bringen? Informierte werden nicht klüger in diesem einstürzenden Kartenhaus, Uninformierte gleichzeitig ein wenig für zu dumm verkauft. Weil selbst Richard Wagners sehr schräge Nachkommen so eindimensional am Ende eben doch nicht waren.

Eine wirklich hinreißende Szene immerhin gibt es, die andeutet, was hier alles drin gewesen wäre: In einer armseligen Münchner Wohnung ohne Klavier spielt da die Isolde, todkrank an der Lunge und auf Morphium, aber immer noch am heftigsten mit dem Wagner-Bühnenbazillus infiziert, ihrem Sohn auf einem Holzbrett mit wenigen Figuren, vor einem Hauch Stoff und ein paar Kerzen vor, wie Wagner geht. Hier spiegeln sich Thomas Manns „Buddenbrooks“, wo Christian dem kleinen Hanno vom Puppenspiel abrät. Nach der Vorstellung verbeugen sich die beiden wie im Rausch. Das ist – im Wortsinn – toll. Der Rest ist (zu viel) Schminke.