Das „Junge Kino im Zweiten“ mit überwiegend sehenswerten Beiträgen versteckt sich im Spätprogramm nach 23 Uhr. Nicht mehrheitsfähig, argumentiert der Sender. Unser Check kommt zu einem anderen Ergebnis.

Stuttgart - Das ist schon seltsam: Da investiert das ZDF viel Geld in fünf überwiegend sehenswerte Filme; und dann zeigt es sie mit Ausnahme von „Lucky Loser“ erst nach 23 Uhr. Die Beiträge der am 8. Juli angelaufenen Reihe „Shooting Stars – Junges Kino im Zweiten“ sind Kinokoproduktionen der Redaktion Das kleine Fernsehspiel. Deren Arbeiten laufen stets erst gegen Mitternacht, weil sie inhaltlich und stilistisch oft nicht dem Geschmack der Zuschauermehrheit entsprechen. Bei den „Shooting Stars“ ist das jedoch anders; die meisten Beiträge wirken wie gängige Fernsehfilme. Redaktionsleiterin Claudia Tronnier begründet die späte Sendezeit so: „Sendungen um 20.15 Uhr sollen möglichst viele Zuschauer erreichen, und das ist bei Nachwuchsfilmen schwieriger einzuschätzen als bei Filme von etablierten Regisseuren.“

 

Lediglich mit dem Auftaktfilm „Lucky Loser“ traute man sich am Montag in die Primetime; er ist nun in der ZDF-Mediathek abrufbar. Der Film von Nico Sommer (Buch und Regie) bietet eine reizvolle Mischung aus sehr absurden und sehr lebensnahen Situationen. Dass die Kombination so reibungslos funktioniert, liegt nicht zuletzt am vorzüglichen Ensemble. Dem Improvisationskünstler Peter Trabner gelingt das Kunststück, den glücklichen Verlierer der Titelrolle scheinbar mühelos als Sympathieträger zu verkörpern: Auch nach neun Jahren „Beziehungspause“ hat der Autowäscher Mike die Hoffnung nicht aufgegeben, dass Ex-Freundin Claudia (Annette Frier) eines Tages zu ihm zurückkehrt; dabei ist die erfolgreiche Klinikärztin längst mit einem unsympathischen Anwalt (Kai Wiesinger) liiert. Die Tragikomödie ist beispielhaft dafür, wie sich dank eines vorzüglichen Drehbuchs auch mit kleinem Geld Großes bewerkstelligen lässt.

Fataler Fehler einer jungen Ärztin

Einen früheren Sendeplatz hätte auch „Das Menschenmögliche“ (10. Juli, 23.30 Uhr) verdient. Eva Wolf (Buch und Regie) erzählt von der jungen Ärztin Judith (Alissa Jung), die einen fatalen Fehler mit tödlichen Folgen begeht. Ihre Vorgesetzten wollen die Sache vertuschen, doch das kann Judith nicht mit ihrem Gewissen vereinbaren. Die Handlung setzt sich fundiert mit der eklatanten Überforderung von Ärzten und Pflegepersonal auseinander. Die Notarzteinsätze hätten zwar packender inszeniert werden können, aber Wolf ist trotzdem in ein Förderprogramm des ZDF aufgenommen worden. Diese Initiative soll laut Tronnier „dazu beitragen, dass mehr Fernsehfilme von Regisseurinnen inszeniert werden“.

Auch Alexandra Sells Film „Die Anfängerin“ (17. Juli, 23.15 Uhr) hat Primetime-Qualitäten – er passt perfekt zum ZDF, denn die Titelfigur ist eine Frau um die sechzig: Eine innerlich wie äußerlich versteinerte Ärztin erfüllt sich ihren Kindheitstraum vom Eiskunstlauf. Der Film verzichtet klugerweise darauf, die anfangs äußerst unsympathische Antiheldin in eine strahlende Identifikationsfigur zu verwandeln, aber Ulrike Krumbiegel gelingt es dennoch, ihr mildernde Umstände zu erspielen. Sell beschert mit ihrem feinfühlig erzählten Drama zudem ein Wiedersehen mit Christine Errath, der Ikone des ostdeutschen Eiskunstlaufs.

Samuel Koch als Hauptdarsteller

Beim letzten Film der Reihe, „Draußen in meinem Kopf“ (24. Juli, 23.15 Uhr), ließe sich gar ein moralisches Argument für eine frühere Sendezeit ins Spiel bringen, denn Samuel Koch spielt hier seine erste Hauptrolle; 2010 ist er als junger Schauspielstudent bei „Wetten, dass . .?“ so schwer verunglückt, dass er seither querschnittsgelähmt ist. Das Spielfilmdebüt von Eibe Maleen Krebs handelt von der widerwilligen Freundschaft zwischen dem schwerstbehinderten Sven und seinem FSJler (Nils Hohenhövel). Bis auf die Schlussszene trägt sich die Handlung ausschließlich in Svens Zimmer zu. Trotzdem ist das Drama dank der Bildgestaltung durch die Kamerafrau Judith Kaufmann kein dröges Kammerspiel. Der größte Respekt gebührt Koch, der seine Figur im Grunde nur mit den Augen „verkörpert“.

Als einziger Beitrag in der Tat nicht mehrheitsfähig ist „Smile“ (15. Juli, 23.55 Uhr). Der Film ist eine Technoversion von „Alice im Wunderland“: Eine junge Frau streift auf der Suche nach einem DJ überein Festivalgelände und begegnet einigen skurrilen Nacht-Geschöpfen. Steffen Köhn taucht sein Regiedebüt in Bilder, die wahlweise aus einem Trip oder einem Traum stammen könnten. Auch Mercedes Müller als Hauptdarstellerin verhindert nicht, dass „Smile“ trotz einer Länge von nur 75 Minuten wie ein zu lang geratener Kurzfilm wirkt. In diesem Fall lässt sich die späte Sendezeit verschmerzen: Die junge Zielgruppe holt sich ihr Programm überwiegend aus den Mediatheken.