Mit „Amnesie“ ist dem ZDF erneut ein packender Thriller gelungen. Im zweiten Film der Reihe „Neben der Spur“ glänzen die Schauspieler Ulrich Noethen und Juergen Maurer.

Stuttgart - Wer die Bücher von Michael Robotham nicht kennt, wird überrascht sein: Im zweiten Film der Reihe, der das ZDF den viel zu harmlosen Sammeltitel „Neben der Spur“ gegeben hat, steht nicht mehr der Psychiater Joe Jessen (Ulrich Noethen) im Zentrum, sondern der Kommissar Vincent Ruiz (Juergen Maurer). In den Romanen des australischen Autors wechseln sich die beiden als Hauptfigur ab. Nachdem Jessen in „Adrenalin“ von Ruiz erst als Frauenmörder verdächtigt und schließlich gerettet wurde, bekommt der Psychiater nun die Gelegenheit, sich zu revanchieren: Der Leiter des Hamburger Morddezernats ist mit mehreren Schussverletzungen halb tot ans Elbufer getrieben worden und leidet unter retrograder Amnesie; die letzten Tage sind wie ausgelöscht. Gemeinsam versucht das Duo zu rekonstruieren, mit welchem Fall Ruiz, der eigentlich Urlaub hatte, beschäftigt war. An den verschiedenen Schauplätzen entsteht nach und nach ein Bild: Vor drei Jahren hatte der Kommissar einen Mann beschuldigt, ein kleines Mädchen entführt und ermordet zu haben. Aber nun gab es eine Lösegeldforderung, und Ruiz macht sich gleich doppelt Vorwürfe: weil er einen Unschuldigen ins Gefängnis gebracht hat und weil die Übergabe des Lösegeldes offenbar danebengegangen ist.

 

Für Buch und Regie war erneut das Kinoduo Cyril Boss und Philipp Stennert („Neues vom Wixxer“, „Jerry Cotton“) zuständig, das mit „Adrenalin“ sein TV-Debüt gegeben hat. Ihr Film ist eine fesselnde Mischung aus Krimi und Psychothriller, denn um dem Polizisten helfen zu können, muss sich Jessen erst mal in dessen Seelenleben begeben. Darstellerisch ist das vorzüglichstes Fernsehen. Noethen und Maurer scheinen sich gegenseitig zu Höchstleistungen anzuspornen, zumal beide gewissermaßen nach innen spielen; die Intensität ihrer gemeinsamen Auftritte ist allein eine Frage der Ausstrahlung. Gleichzeitig haben Boss und Stennert dafür gesorgt, dass die emotionale Basis der beiden Figuren wankt, was die Rollen noch interessanter macht: Der an Parkinson erkrankte Jessen weiß nicht, was die Zukunft bringt, wird aber zum zweiten Mal Vater; und Ruiz ist diesmal ohnehin „neben der Spur“.

Geräusche spielen eine große Rolle

Das dramaturgische Konzept ist nicht minder interessant. Zunächst haben die Ermittler nichts in der Hand, zumal in Ruiz’ Erinnerungsfetzen maßgebliche Teile fehlen. Das erinnert zwar an das derzeit beliebte Erzählmuster, mit einem Cliffhanger zu beginnen und dann die Vorgeschichte nachzureichen, ist aber mehr als bloß eine halbwegs originelle Variante, weil Ruiz die Ereignisse ein zweites Mal durchlebt, aber diesmal dank der Unterstützung durch den Psychiater andere Schlüsse zieht. Wie in einer Rückblenden-Dramaturgie kehrt die Handlung nach zwei Dritteln zum Ausgangspunkt zurück, doch nun hat Ruiz Grund zu der Vermutung, dass die ganze Sache viel grausamer ist als angenommen.

Ähnlich reizvoll wie schon in „Adrenalin“ ist zudem die Umsetzung. Gerade das Zusammenspiel von Bild- und Tonebene hat großen Anteil an der speziellen Atmosphäre des Films, weil neben der Thrillermusik (Christoph Zirngibl) auch die Geräusche eine große Rolle spielen. Das gilt erst recht für die ausgezeichnet besetzten Nebenfiguren, allen voran Joachim Król als Kommissar aus der internen Abteilung, der Ruiz nicht leiden kann und überzeugt ist, der Kollege täusche seine Amnesie nur vor. Merab Ninidze spielt den Vater des entführten Mädchens, einen Mann, der sein Geld mit unlauteren Methoden verdient. Ungemein markant ist auch der eher kurze Auftritt von Jens Harzer als vermeintlicher Päderast; der Schauspieler hat zuletzt in „Boy 7“ einen charismatischen Schurken mit Hollywoodformat gespielt. Etwas mehr zu tun als in Teil eins hat Marie Leuenberger als Ruiz’ Mitarbeiterin, die die Loyalität zu ihrem Chef bitter bezahlen muss.

ZDF, 20.15 Uhr