Spät am Freitagabend startet das ZDF das Literaturmagazin "Das blaue Sofa" mit Wolfgang Herles. Sein Versprechen: "Radikale Subjektivität".

Mainz - Das neue Literaturmagazin im ZDF-Hauptprogramm strebt nach Höherem. 3240 Meter über dem Meeresspiegel spricht der Moderator Wolfgang Herles mit Ilija Trojanow über dessen Roman "Eis Tau", der von einem Gletscherforscher erzählt.

 

Durch die Erderwärmung schmelzen der Forschungsgegenstand und damit auch der Lebensmut des Protagonisten dahin. Mit dem Fernsehteam ist ein blaues Sofa in die Südtiroler Alpen zum Lieblingsgletscher der Figur gereist.

Auf blauen Polstern hat Wolfgang Herles in den vergangenen Jahren während großer Buchmessen schon etliche Autorengespräche geführt, jetzt macht das ZDF dem Möbel richtig Beine: Sechs Sendungen pro Jahr sind geplant, für jede soll das Sofa zu zwei literarischen Schau- oder Schreibplätzen transportiert werden.

 Keine Dominanz der Bildregie

Lohnt der Aufwand? Als Marcel Reich-Ranicki 1987 von den Mainzelmännern gefragt wurde, ob er nicht ein regelmäßige Literatursendung leiten wolle, machte er den "Verstoß gegen die heiligsten Gesetze des Fernsehens", zu denen auch die Dominanz des Visuellen zählt, zur Bedingung: keine Bild- und Filmeinblendungen, keine Spaziergänge mit Autoren im Park oder am Meer, keine Musik.

Mit dem "Literarischen Quartett" hat der wortgewaltige Literaturkritiker Fernsehgeschichte geschrieben und die Inflation der Talkshows vorbereitet. Auch Wolfgang Herles und sein Redaktionsleiter Peter Arens wollen nach eigenem Bekunden "auf die analytische Kraft des Wortes" setzen.

Die Bildregie soll keine so dominante Rolle spielen wie im konkurrierenden ARD-Literaturmagazin "Druckfrisch" mit Dennis Scheck. Aber eine reine Studioproduktion mit Publikum mochte Herles nicht machen, solche Sendungen gibt es inzwischen einfach zu viele.

Ohne Quotenvorgabe

Lieber jettet das ZDF-Team mit dem blauen Sofa den aktuellen Neuerscheinungen hinterher. Zweite Station in der Premierensendung ist der Starnberger See, wo sich der Schauspieler Sepp Bierbichler über seinen Familienroman "Mittelreich" ausfragen ließ.

Je zehn Minuten dauern die beiden Hauptgespräche in jeder Sendung, das restliche Drittel bleibt für knappe Empfehlungen und bissige Kurzverrisse. Beim ersten Termin trifft dieses Schicksal Judith Schalansky ("Der Hals der Giraffe"), Oskar Roehler ("Herkunft"), Ursula März ("Fast schon kriminell") und Ferdinand von Schirach ("Der Fall Collini").

Andere Medien zu provozieren oder den Buchhandel zu beeinflussen - in solchen Effekten erkennen die Macher durchaus Erfolgskriterien. Sie wollen "die literarische Diskussion anregen", nicht um jeden Preis die Einschaltquote auf dem festen ZDF-Kultursendeplatz freitags um 23 Uhr hochtreiben. Es existiere keine Quotenvorgabe, versichert Peter Arens, aber "die Million kratzen", das wäre schon sein Traum. Die Vorgängersendung "Die Vorleser" brachte es auf 700.000 Zuschauer, im Rückblick sei sie aber "zu zahm" gewesen.

 "Gut erzählt, gut lesbar"

Der langjährige "Aspekte"-Redaktionsleiter, Moderator, Sachbuch- und Romanautor Wolfgang Herles verspricht nun "radikale Subjektivität" bei der Auswahl und Beurteilung der besprochenen Neuerscheinungen. "Hochgeschraubte intellektuelle Turnübungen" seien von ihm jedoch nicht zu erwarten. "Gut erzählt, gut lesbar" sollten die ausführlich gewürdigten Bücher schon sein: "Ich muss reingezogen werden."

Was sich also dem belletristischen Mainstream verweigert, hat auf dem blauen Sofa von vornherein keine Chance. Schon jetzt wirkt das literarische Requisit um Jahrzehnte gealtert: Statt im modernistischen Ikea-Look wie bisher präsentiert sich die blaue Sitzunterlage im ZDF-Hauptprogramm nun biedermeierlich abgerundet.

Das lässt auch den versierten "Aspekte"-Moderator Wolfgang Herles, Jahrgang 1950, gleich noch ein ganzes Stück gediegener, seriöser und gelassener aussehen. Bei der pflichtschuldigen Erfüllung seines öffentlich-rechtlichen Bildungsauftrages geht das ZDF mit diesem Format den Weg des geringsten Risikos: keine wirkliche Verlockung, das Gutenachtfernsehen der Gutenachtlektüre vorzuziehen.