In „Altersglühen“ wagt der Schauspieler und Regisseur Jan Georg Schütte eine Experiment: Bekannte Schauspieler absolvieren ein improvisiertes Speed Dating für Senioren.

Stuttgart - Angst hatten sie am Anfang alle, daraus machen sie keinen Hehl. Und schmissen sich dann trotzdem mitten hinein in ein Abenteuer, wie es im Fernsehen nicht oft vorkommt. Die 13 Darsteller des wahren Spiel-Films „Altersglühen“ bekamen von dem Schauspieler und Regisseur Jan Georg Schütte kein Textheft in die Hand gedrückt, er gab nur die Grundsituation, ein Speeddating für Senioren, vor und skizzierte mit jedem Einzelnen ein Charakterprofil sowie die dazugehörende Biografie. Und dann ging es los mit den Dreharbeiten, bei denen 19 Kameras in einem Raum aufzeichneten, was daraus für Figuren entstehen können.

 

Zum Beispiel Helge Löns, den Matthias Habich mit schmerzvollen Zügen und Ansätzen verschütteter Lebenslust verkörpert. Dessen Gefährtin ist zu Hause in der Demenz versunken und hat ihn ratlos und einsam zurückgelassen, er will Nähe suchen, aber weiß nicht wie. Oder Maria Koppel. Senta Berger lässt sie mit kühler Schönheit Gestalt annehmen, als Frau, die so hohe Ansprüche an ein potenzielles Gegenüber stellt, dass einen noch beim Zusehen friert. Und Volker Hartmann, dem Robert Gwisdek den Charme eines redseligen Berliner Prolls mitgibt, der irgendwie trotzdem ankommt bei den Damen.

Der Regisseur hat herausragende Akteure verpflichtet

Es sind noch zehn andere Figuren an diesem Bäumchen-wechsel-dich-Versuch beteiligt, mit Schicksalen, wie sie vorkommen zwischen Mitte sechzig und Mitte achtzig, mit Gesichtern, die das Leben mehr oder weniger gezeichnet hat. Mit grauem oder blond gefärbtem Haar, großem sexuellem Appetit oder Sehnsucht nach Zärtlichkeit. Sie treffen in einem Hamburger Lokal zu einer Partnersuch-Veranstaltung für Ältere zusammen, die ein von Jan Georg Schütte selbst verkörperter Moderator arrangiert hat. Sie tanzen einen Reigen, bei dem alle sieben Minuten der Tischpartner wechselt, und improvisieren, so sah es das Konzept vor, bei jeder neuen Begegnung einfach drauflos.

Man muss handwerklich viel können, um das zu schaffen, weshalb der Regisseur auch ausschließlich herausragende Akteure verpflichtet hat. „Ich wollte schon immer den Schauspieler und vor allem die schauspielerische Fantasie in den Mittelpunkt meiner Geschichten stellen“, sagt der 52-Jährige. Die berühmte Münchner Kammerspiel-Schauspielerin Hildegard Schmahl holt ihre romantische Seite unter all den Narben hervor, die das Leben ihrer Figur Martha Schneider geschlagen hat. Mario Adorf, der den verwitweten Unternehmer Johann Schäfer verkörpert, zaubert das Wunder einer späten Verliebtheit auf sein verwittertes Gesicht. Und die in ihrer Karriere so oft als melancholische Dunkle besetzte Angela Winkler verleiht ihrer Gärtnerin Clara Bayer eine mädchenhafte Zartheit, die ihr Alter vollkommen unwichtig macht.

Wagen, was man nicht kann

„Mich reizte an Schüttes Konzept, dass es an die Qualitäten des Theaters anschließt“, begründet die Siebzigjährige ihre Zusage zu dem Experiment, und so ähnlich dürfte es auch anderen prominenten Kollegen ergangen sein, die sich von dem nicht überaus bekannten Filmemacher spontan hatten verpflichten lassen. „Als Schauspieler war ich fast ein Leben lang gegen Improvisation“, bekennt Mario Adorf. „Ich suchte die Perfektion, wollte nicht improvisieren und glaubte auch, es nicht zu können. Bis ich einen Satz von Heiner Müller las: ,Wenn etwas Neues entstehen soll, muss man das wagen, was man nicht kann.‘“ Also entschied er sich, über seinen Schatten zu springen. Und Senta Berger sagt über die ungewöhnlichen Dreharbeiten: „Es war, als würde ich einen Schritt in die Luft wagen und sehen, dass sie trägt.“

Aus den zwei Tagen gemeinsamen Agierens waren am Ende rund 1300 Minuten Gesprächsmaterial entstanden, mit die schwierigste Arbeit fand dann im Schneideraum statt. „Ein Film braucht eine Geschichte, und die Aufgabe war es nun, sie zu finden, und zwar für jeden der 13 Protagonisten“, erklärt Jan Georg Schütte. Eine gute Geschichte sei es für ihn dann, wenn er im Schnitt sitze und denke, „das hätte ich nicht erwartet“. So geht es auch dem Zuschauer: Welche Richtung wird diese Konversation nehmen, was fällt den Protagonisten ein, und kann das nicht peinlich enden? Tut es nicht, „Altersglühen“ ist ein angenehm ehrliches Gegenstück zu all den verlogenen romantischen Komödien für Rentner, die derzeit die Kinos überfluten. Und deshalb ist es auch durchaus eine gute Nachricht, dass aus dem herausgeschnittenen Material noch eine bisher sechsteilige Miniserie herausgesprungen ist, die NDR und WDR am 13., 18. und 21. November jeweils um 23.15 Uhr senden. Pro Folge bleibt der Regisseur da bei einer Figur und zeigt, wie sie jeweils während ihrer Begegnungen wächst. Wie also Johann Schäfer und Martha Schneider sich noch mal fühlen „wie in der Tanzschule“ und wie Helge Löns der direkt favorisierten Clara Bayer gesteht: „Ich bin ja noch Anfänger.“ Dieses, so scheint es zumindest in diesem gelungenen Experiment, kann auch im letzten Lebensdrittel eine hilfreiche Haltung sein.