Das ZDF zeigt Dörte Hansens Erfolgsroman „Altes Land“ als Fernsehzweiteiler – mit Iris Berben, Nina Kunzendorf und Peter Kurth prominent besetzt. Das prägnante Stadt-Land-Porträt der Vorlage wandelt sich zu einem Frauen-, Familien und Generationenfilm.

Kultur: Ulla Hanselmann (uh)

Stuttgart - Obstplantagen, Reet und Platt hinterm Deich: das Alte Land. Im gleichnamigen Roman wird die Gegend südlich der Elbe zwischen Hamburg und Stade zum Zufluchtsort für zwei Gestrandete. Vera, die es als Kind nach dem Krieg aus Ostpreußen in das Bauernland spült, hakt sich dort an den Eckhoff-Hof fest und wird trotzdem nie heimisch. Und Anne, die Hamburger Flötenlehrerin, die weg will aus dem Hipster-Stadtteil Ottensen und vom Vater ihres Sohnes Leon, weil der sie betrügt, und die deshalb Vera, ihre Tante, um Asyl bittet. Heimatkitsch und Frauen-Verschwesterung – solchen Verlockungen fällt Dörte Hansen nie anheim. Kargheit, Kummer, Schweigen und was es heißt, nicht dazuzugehören, aber trotzdem mit sich eins zu sein, das sind ihre Themen, metaphernstark, mit feiner Ironie und ungemein treffend erzählt.

 

Dörte Hansens Debüt katapultierte die Autorin über Wochen und Monate an die Spitze der Bestseller-Listen. Der Roman birgt attraktiven TV-Stoff, denn er vereint, was das Fernsehpublikum liebt: Regionalkolorit, deutsche Nachkriegstraumata, Frauenschicksale, Fluchtgeschichten. Eine Romanverfilmung sei eine Übung im Loslassen, sagt Dörte Hansen nun sehr diplomatisch zu dem Zweiteiler, mit dem das ZDF den Stoff auf den Fernsehbildschirm bringt. Der Film erzähle eine Geschichte von Einsamkeit, Entwurzelung und Heilung, „wie mein Roman. Aber er erzählt sie anders.“

Iris Berben als Außenseiter-Vera

Loslassen muss auch der Zuschauer, der die Vorlage kennt und schätzt. Die Regisseurin und Drehbuchautorin Sherry Hormann macht mit den beiden neunzigminütigen Teilen „Ankommen“ und „Bleiben“ aus Hansens vielschichtiger Erzählung vor allem einen Frauen-, Familien- und Generationen-Film, eine Art „Unsere Schwestern, Tanten und Nichten“.

Und eine Iris-Berben-Hommage: Sehr grau und steif, mit ungekämmtem Haar, mürbe-mürrisch stapft die Grande Dame des deutschen Fernsehfilms als Vera über den alten Hof, bürstet ihren Ostpreußen, sitzt nach dem Ausritt rauchend auf der Holzbank und nimmt den Zuschauer mit in ihre Erinnerungen.

Mit vielen Rückblenden in die Jahre 1945, 1954 und 1998 macht Hormann die Außenseiter-Vera plausibel: Das Flüchtlingsschicksal des „Polacken“-Kinds trifft zusammen mit einer gnadenlos standesbewussten Mutter. Hildegard von Kamcke (Birte Schnöink) krallt sich erst den kriegstraumatisierten Sohn Karl der Bäuerin Ida Eckhoff (Karoline Eichhorn), dann den Hof, um schließlich mit einem anderen in ein besseres Leben zu entschwinden und noch eine Tochter, Marlene, zu gebären.

Ungewohnt gezähmt: Peter Kurth

Ihrer zurückgelassenen Tochter Vera – Hildegard: „Ich habe keinen Platz für dich“ – fällt damit die Verantwortung für ihren körperlich und seelisch gebrochenen Stiefvater Karl zu. Sie füllt diese von ihrer Jugend über ihre Land-Zahnärztinnen-Karriere hinweg (Maria Ehrich spielt die junge Vera) bis zum letzten Atemzug pflichtschuldigst, selbstaufopfernd und liebevoll aus. Ihr lebenslanger Verehrer und Nachbar Hinni, im Alter dargestellt von einem ungewohnt gezähmten Peter Kurth, hat seine Weise, damit klarzukommen – sein akkurat geharkter Sandweg zeugt davon.

An Altersgebrechlichkeit wird Iris Berben von Milan Peschel als Karl getoppt, an dem die Maske ein Greisen-Wunder vollbringt – wenn da nicht, wie auch bei Iris Berben, die wachen Augen wären, die die Camouflage verraten. Der so lang von ihm herbeigesehnte erlösende Tod Karls, mit dem der Zweiteiler einsetzt, bringt die entfremdete „halbe Schwester“ Marlene auf den Plan, der Vera die verborgen gehaltene Familiengeschichte in einem Ordner voller Bilder und Briefe vor die Nase knallt. Die junge Generation kommt mit Marlenes Tochter Anne ins Spiel, die es mit ihrer unbedarften Hartnäckigkeit, Unangepasstheit und der Unterstützung Leons (Marian Dilger) schafft, die harte Schale Veras aufzuweichen.

Blasiertheit, ganz natürlich

Iris Berben erhält den meisten Raum und füllt ihn überzeugend mit wenig Sätzen; man sieht ihr aber an, welche Konzentration sie aufwenden muss, um das innere und äußere Gebrechen zu verkörpern. Die augenblitzende Vergnügtheit Svenja Liesaus als Anne, steht in Kontrast zum privaten Unglück ihrer Figur; Nina Kunzendorf als großbürgerliche Marlene, schafft es, Blasiertheit ganz natürlich aussehen zu lassen und die Einsamkeit unter der gelackten Oberfläche durchscheinen zu lassen.

Die Regisseurin wählt eine Episodenstruktur, das passt gut zum Modus des Erinnerungsstroms; sie verbietet sich geschwätzige Dialoge und Erklärpassagen, traut sich, anzudeuten, manches offenzulassen. Den drei Frauen und ihren komplizierten Beziehungen stellt Hormann Momentaufnahmen des Landlebens und seiner Bewohner an die Seite. Zu denen gehört beispielsweise der Nachbar-Bauer Dirk, der erst auf die Ökos schimpft, dann ein Reh anfährt und beschließt, auf Fleisch zu verzichten. „Ich ess kein’ Tofu!“ empört sich mampfend seine Frau.

Wut im Sandkasten

Bei den Nebenschauplätzen- und Figuren liegt gewissermaßen der gröbste Stolperstein im visuell perfekt in Szene gesetzten Marschland. Dörte Hansen liefert nicht nur eine Frauengeschichte, sondern auch eine Stadt-Land-Studie, in der die Landbewohner sich unaufhaltbaren Veränderungen entgegenstemmen, während sinnsuchende, gentrifizierungsmüde Städter wie Schädlinge in ihre Dörfer einfallen. Zwischen den Zeilen sagt sie damit ziemlich viel aus über gesellschaftliche Verfasstheiten und Mentalitäten, ohne bloßzustellen und sich zu mokieren.

Bei Sherry Hormann kommt diese Ebene zu kurz, sie kann sie nicht organisch mit ihrer Frauengeschichte verbinden. Wenn Anne im öko-beseelten, von Helikopter-Eltern bevölkerten Ottensen auf einem Spielplatz aus Wut auf eine überbehütende Mutter die Sandburg deren Sohnes zertrampelt, ergibt diese Episode zusammen mit vielen anderen Beobachtungen im Buch ein Bild – im Film hängt sie in der Luft. Genauso geraten ihr der Lifestyle-Journalist und Landromantiker Burkhardt Weißwerth und seine im Marmeladekochen Erfüllung suchende Frau zu Karikaturen. Nichts von dem, was sie sagen, nimmt man ihnen ab.

Vom Roman zum TV-Zweiteiler

Buch
Der Roman „Altes Land“ wurde 2015 zum „Lieblingsbuch des unabhängigen Buchhandels“ gekürt und avancierte zum Jahresbestseller der „Spiegel“-Bestsellerliste.

Fernsehen
Das ZDF zeigt den Zweiteiler am Sonntag und Montag, 15. und 16. November, um jeweils 20.15 Uhr. In der Mediathek sind die beiden Folgen bereits von diesem Samstag an abrufbar.