Dem Song entgeht in der Adventszeit keiner, und das seit drei Jahrzehnten. Angeblich hasst ihn alle Welt. Aber es gibt zweimal fünf Gründe, das Lied des Popduos Wham! trotz allem zu mögen.

Stuttgart - Die einen drehen das Radio lauter. Andere schalten ab. Am 15. Dezember 1984 kam der Ohrwurm auf den Markt. Susanne Veil und Jan Gerog Plavec haben zwei Mal fünf Gründe zusammengestellt, die Last Christmas zur Ehrenrettung dienen. Susanne Veil freut sich jedes Mal, wenn sie das Lied hört.

 

1 Die Melodie macht gute Laune. Man kann dabei ideal vor Heiligabend die Wohnung putzen. Mit „White Christmas“ oder „Driving home for Christmas“ geht das nicht. Am ehesten noch mit „Let it snow“, aber das ist ja nicht eigentlich ein Weihnachtssong. Und die Melodie kommt ohne Glöckchen aus. Es gibt das Gerücht, George Michael habe einen von ihm komponierten Song mit dem Titel „Last Easter“ („Letzte Ostern“) einfach umbenannt, um einen Weihnachtshit zu landen.

2 Der Text ist genial. Schon beim zweiten Wort weiß man, worum es geht. Noch mehr in sich hat es das erste Wort: „last“ (das letzte). Zum 20-Jahr-Jubiläum schrieb der Kulturjournalist Sebastian Hammelehle, dass das „wirklich Besondere“ an „Last Christmas“ sei, dass Wham! als erste Popband „die Existenz von Weihnachten einfach hinnahmen“. Unterschwellig gehe es darum, „ein traditionelles Fest nur seiner schönen Oberfläche wegen zu feiern“. Wie man das heute halt so macht. Es gehe ja gar nicht um das Jahr 1983, schreibt Hammelehle, es gehe immer um das vorige Jahr. „Eine solche perpetuum-mobile-hafte Selbsterneuerung schaffen nur die wirklich großen Klassiker.“

3 Das Lied erzählt wie eine Kurzgeschichte eine traurige Geschichte von enttäuschter Liebe. Aber es gibt schon wieder Hoffnung, denn der Sänger hat eine neue Liebe gefunden. So ist das Leben – und gerade an Weihnachten ist man doch gerne ein bisschen melancholisch.

4 Das Video ist eine Zeitreise zurück nach 1984. Da war ich süße 21 und auch sehr verliebt mit allen Aufs und Abs, wie das halt so ist in dem Alter. Wenn ich mich recht entsinne, war 1984/85 ein extrem kalter Winter mit viel Schnee. Ich fuhr einen weißen Polski Fiat, mit Lenkradfell und Tigerimitat als Sitzbezug. Der hätte perfekt in das Wham!-Video gepasst. Ich bin mir nicht sicher, ob der Fiat schon ein Radio hatte oder ob ich selber singen musste.

5 George Michael ist Baujahr 1963, genau wie ich. Ein guter Jahrgang, wobei ich finde, dass ich mich besser gehalten habe. Hatte ja auch ein ruhigeres Leben. Im Ernst, natürlich wäre ich 1984 nie mit einem Typen ausgegangen, der eine solche Vokuhila-Frisur (vorne kurz, hinten lang) hatte. Ich glaube, mir gefielen damals noch richtig lange Haare bei den Männern oder wenigstens ein wilder Lockenkopf. Aber der George Michael war schon ein Süßer mit seinem Schmollmund. Und dabei lässig englisch, ironisch. Komisch, dass wir damals nie darauf gekommen wären, dass er schwul ist. Das war bei uns Landeiern einfach nicht auf der Checkliste.

Jan Georg Plavec sieht den Song entspannt

„Last Christmas“ war womöglich der erste Weihnachtspopsong, den Jan Georg Plavec in seinem Leben gehört hat: Beide sind gleich alt.

1 Es gibt einen Grund, warum Wham! damals nicht auf Platz eins der Charts vorgerückt ist: Der war von „Do they know it’s Christmas“ belegt. Das zeigt, es gibt viel schrecklicheren Weihnachtspop. Und: bis jetzt ist keine Neuauflage des Songs erschienen – anders als bei besagter Spendensammelaktion des Rock-’n’-Roll-Säulenheiligen Bob Geldof.

2 Es gibt unzählige Coverversionen, darunter erträgliche, etwa von der Band Erdmöbel. Wer aber die von Matthias Reim hört oder gar das Video dazu sieht, kommt aus dem Fremdschämen nicht mehr heraus. Missratene Adaptionen wie diese haben den Ruf von „Last Christmas“ als ultimative Weihnachtspop-Hymne zerstört. Man sollte sie verbieten.

3 „ Last Christmas“ gut zu finden ist ein echter Distinktionsgewinn. Zumindest eine in Ironie und Camp geschulte Generation wie die meine lobt ja nicht nur das eigentlich Schöne, sondern findet auch Reiz im reinen Kitsch. Da schwingt zwar viel Popschnöseligkeit mit, aber: wenn wir dieser Tage laut zu „Last Christmas“ singen und uns wahnsinnig anstrengen, dass es nicht nach ernsthafter Begeisterung aussieht – eine Menschenseele müsste sehr verdüstert sein, um nicht bei dieser Melodie, diesem Sound zumindest ein bisschen an selige Stunden unterm Christbaum zu denken. Und sei es, dass man sie sich schöngesoffen hat. Wer „Last Christmas“ aus ehrlicher Geschmacksregung heraus ablehnt, versteht den Song nicht oder hört zu viel Formatradio.

4 Der Song ist ebenso wenig für uns Hörer im Jahr 2014 gemacht wie das dazugehörige Video. Darin sieht man nach einem Schwenk über die gar nicht so sehr verschneiten Hänge von Saas Fee (schon damals offenbar ein Problem!) George Michael mit blondierter Föhnfrisur. Mit leichtem Gepäck und (nicht taillierten!) Skiern geht es auf ein Chalet. Auch der Rest ist Achtziger pur: Yuppie-Typen machen es sich mit Rotwein gemütlich, der Weihnachtsbaumschmuck ist Neon, und zwischendurch gehen alle für eine Schneeballschlacht vor die Tür. Ja, so war das damals. Das Bild, korrekt oder nicht, ist in sich stimmig, die Musik passt perfekt: Die Dinge haben im Leben selten mehr Sinn ergeben als beim Betrachten dieses Musikvideos.

5 „Last Christmas“ hat sich nicht nur super verkauft, wird wahnsinnig oft im Radio gespielt und taugt als Gesprächsstoff. Sein Erfolg ist noch viel tiefgreifender: Dieser Song markiert den Sieg der Popkultur. Mag sein, dass der eine oder andere an Heiligabend noch „Stille Nacht“ singt. Die Realität ist doch eine ganz andere: Weihnachten und die Vorweihnachtszeit sind Konsumevents, die dazugehörige Heimeligkeit kommt aus der Dose. Man will bei Freunden und Familie sein, man will es warm haben und ein paar schöne Stunden verleben, und beim Gedanken an die große Liebe sagt man: Es ist kompliziert. Das und nichts anderes vermittelt „Last Christmas“, und zwar seit dreißig Jahren. Wir müssen diesen Song feiern.