Wange an Wange mit der Kanzlerin, Angela Merkel und ein bärtiger, dunkelhaariger Mann aus der Masse der Flüchtlinge – ein Selfie, das sie als Schutzpatronin der vielen zeigt, die in diesen Tagen zu uns kommen: Dieses Bild von Deutschland soll um die Welt gehen. Das ist Merkels Botschaft. Solche Bilder bergen jedoch große Risiken. Sowohl für sie als auch für ihr Land.

 

Aber in diesem Fall hat sie sich jetzt unmissverständlich festgelegt. Sie möchte sich nicht rechtfertigen für ihre Hilfsbereitschaft und Großherzigkeit. Kritik weist sie mit einem wuchtigen Satz von sich: „Das ist nicht mein Land.“ Aus dem Satz spricht Genervtheit, eine ungewohnte Verunsicherung und Bereitschaft zur Konfrontation. Sie distanziert sich – auch von Bürgern, die sie gewählt haben, von Leuten aus den eigenen Reihen, wo sich Unmut breit macht.

Weiß Merkel eigentlich, was sie da tut? Hat sie einen Plan, wohin ihre Willkommenspolitik führt? Als Krisenkanzlerin hatte die CDU-Frau ihre Rolle gefunden. Die Deutschen konnten sich darauf verlassen, dass sie in der Finanzkrise ihre Sparguthaben schützt, dass sie mit Wladimir Putin Tacheles redet und den überschuldeten Griechen nicht leichtfertig Geld hinterherträgt. Und jetzt? Die Flüchtlingskrise spielt sich nicht irgendwo im Ausland ab. Sie holt uns zu Hause ein. Sie holt auch Merkel ein. Es ist eine Krise auf Tuchfühlung – so wie bei dem Selfie im Asylbewerberheim.

Den Zustrom an Flüchtlingen kanalisieren

Verlässlichkeit hat Merkel in den zehn Jahren ihrer Kanzlerschaft verkörpert. Die Flüchtlingskrise wird zum Testfall für ihre Verlässlichkeit: Schafft sie es, die Europäer von einem gerechten Lastenausgleich zu überzeugen? Kann sie den Zustrom kanalisieren? Integration gewährleisten?

Sie ist den Herausforderungen lange aus dem Weg gegangen, musste sich förmlich dazu treiben lassen, auch mal eine Flüchtlingsunterkunft zu besuchen. Zu den Versäumnissen kamen missverständliche Botschaften und Gesten. Manche ihrer Entscheidungen und Erklärungen wurden im Nahen Osten und in Afrika so verstanden, als wolle sie allen Opfern von Gewalt und Terror Obhut bieten – Merkel, die Mutter Teresa der Hilfsbedürftigen. Ihre Worte waren geeignet, den Flüchtlingsstrom anschwellen zu lassen. Das hat viele irritiert. Und eine Kehrtwende wie die Entscheidung vor einer Woche, Grenzkontrollen einzuführen, führt zu neuen, zusätzlichen Irritationen. Merkel, die stets Verlässliche, wird unberechenbar.

Mutter Teresa der Flüchtlinge

Wange an Wange mit der Kanzlerin, Angela Merkel und ein bärtiger, dunkelhaariger Mann aus der Masse der Flüchtlinge – ein Selfie, das sie als Schutzpatronin der vielen zeigt, die in diesen Tagen zu uns kommen: Dieses Bild von Deutschland soll um die Welt gehen. Das ist Merkels Botschaft. Solche Bilder bergen jedoch große Risiken. Sowohl für sie als auch für ihr Land.

Aber in diesem Fall hat sie sich jetzt unmissverständlich festgelegt. Sie möchte sich nicht rechtfertigen für ihre Hilfsbereitschaft und Großherzigkeit. Kritik weist sie mit einem wuchtigen Satz von sich: „Das ist nicht mein Land.“ Aus dem Satz spricht Genervtheit, eine ungewohnte Verunsicherung und Bereitschaft zur Konfrontation. Sie distanziert sich – auch von Bürgern, die sie gewählt haben, von Leuten aus den eigenen Reihen, wo sich Unmut breit macht.

Weiß Merkel eigentlich, was sie da tut? Hat sie einen Plan, wohin ihre Willkommenspolitik führt? Als Krisenkanzlerin hatte die CDU-Frau ihre Rolle gefunden. Die Deutschen konnten sich darauf verlassen, dass sie in der Finanzkrise ihre Sparguthaben schützt, dass sie mit Wladimir Putin Tacheles redet und den überschuldeten Griechen nicht leichtfertig Geld hinterherträgt. Und jetzt? Die Flüchtlingskrise spielt sich nicht irgendwo im Ausland ab. Sie holt uns zu Hause ein. Sie holt auch Merkel ein. Es ist eine Krise auf Tuchfühlung – so wie bei dem Selfie im Asylbewerberheim.

Den Zustrom an Flüchtlingen kanalisieren

Verlässlichkeit hat Merkel in den zehn Jahren ihrer Kanzlerschaft verkörpert. Die Flüchtlingskrise wird zum Testfall für ihre Verlässlichkeit: Schafft sie es, die Europäer von einem gerechten Lastenausgleich zu überzeugen? Kann sie den Zustrom kanalisieren? Integration gewährleisten?

Sie ist den Herausforderungen lange aus dem Weg gegangen, musste sich förmlich dazu treiben lassen, auch mal eine Flüchtlingsunterkunft zu besuchen. Zu den Versäumnissen kamen missverständliche Botschaften und Gesten. Manche ihrer Entscheidungen und Erklärungen wurden im Nahen Osten und in Afrika so verstanden, als wolle sie allen Opfern von Gewalt und Terror Obhut bieten – Merkel, die Mutter Teresa der Hilfsbedürftigen. Ihre Worte waren geeignet, den Flüchtlingsstrom anschwellen zu lassen. Das hat viele irritiert. Und eine Kehrtwende wie die Entscheidung vor einer Woche, Grenzkontrollen einzuführen, führt zu neuen, zusätzlichen Irritationen. Merkel, die stets Verlässliche, wird unberechenbar.

Die Flüchtlingskrise wird zum Testfall für ihre Popularität. Noch denkt ein Großteil der Bürger im Modus der Willkommenseuphorie. Die Umfragen sehen eine stabile Unterstützung für Merkel. Doch der Langmut ist fragil. Mit jedem Tag tauchen neue Fragezeichen auf hinter dem Versprechen der Kanzlerin: „Wir schaffen das“, sagt sie wieder und wieder, beinahe trotzig. Doch wie schaffen wir das? Darauf hat sie noch keine befriedigenden Antworten.

Flüchtlingskrise birgt Sprengkraft

Merkel hat eine neue Mission gefunden. Es könnte ihre letzte sein. Die Flüchtlingskrise bedeutet einerseits eine Art Garantie dafür, dass sie 2017 nicht von der Fahne gehen wird. Sie wird die Nation nicht mit einem Problem zurücklassen, für das sie selbst nicht ganz unwesentlich Verantwortung trägt. Andererseits birgt dieses Problem eine enorme Sprengkraft für die politischen Verhältnisse im Land, die seit zwei Jahren wie in Beton gegossen erscheinen. Für Merkels Partei ist ihre Flüchtlingspolitik eher eine Bedrohung als eine Chance.

Die Kanzlerin will Vorbild für ganz Europa sein. Doch im Moment mag sich niemand daran orientieren, von Österreichern und Schweden einmal abgesehen. Ihre Willkommensgesten halten die meisten für einen Affront. Sie selbst hat die Regeln des europäischen Asylrechts außer Kraft gesetzt und pocht doch darauf, dass sie eingehalten werden. Merkel lässt außer Acht, dass ihr wohlhabendes Deutschland eine Million Flüchtlinge wohl verkraften kann – manche Nachbarländer aber nicht. Wo die Steuereinnahmen kaum ausreichen, um die Schulden im Zaum zu halten, wo es an Jobs und Lehrstellen für heimische Bürger mangelt, da blicken die Menschen anders auf die andrängenden Flüchtlinge. Die Frage der europäischen Solidarität stellt sich in dieser Krise auf vielfältige Weise neu. Quoten sind darauf nicht die einzige Antwort.

Klimakanzlerin – oder Kanzlerin der Industrie?

Angela Merkels Bemühen um das Weltklima hat eine lange Vorgeschichte. Als Umweltministerin unter Kohl war sie schon 1995 die Gastgeberin der ersten UN-Klimakonferenz in Berlin. In den Verhandlungen um das Kyoto-Protokoll setzte sie sich für vergleichsweise ehrgeizige Klimaziele ein. Dann ging ein Jahrzehnt ins Land, bis Merkel Kanzlerin wurde. 2007 wurde sie schließlich „Klimakanzlerin“ – zumindest lauteten viele Schlagzeilen so. In jenem Jahr stand die deutsche Regierungschefin auch an der Spitze des EU-Rats und der acht führenden Wirtschaftsnationen. Sie nutzte die Gelegenheit, um die EU-Kollegen auf forsche Emissionslimits zu verpflichten.

Es gelang ihr sogar, dem ökologischen Ignoranten George W. Bush die Bereitschaft abzuringen, den Klimawandel wenigstens zur Kenntnis zu nehmen. Bei dem von Merkel veranstalteten G-8-Gipfel im Ostseebad Heiligendamm unterschrieb der US-Präsident ein Papier, in dem davon die Rede war, eine Halbierung des Kohlendioxid-Ausstoßes bis 2050 „ernsthaft in Betracht zu ziehen“. Merkels klimapolitischer Eifer hat mittlerweile stark nachgelassen. Andere Themen nahmen sie in Beschlag. Dazu waren Rücksichten zu nehmen auf die heimische Wirtschaft. Die 2011 abrupt vollzogene Energiewende hat die Klimapolitik nicht erleichtert. Im vergangenen Jahr musste Merkel sich schelten lassen, weil sie den Klimagipfel in New York schwänzte und stattdessen dem Bund Deutscher Industrie den Vorzug gab. Beim G-7-Gipfel in Elmau im Sommer versuchte Merkel ein Comeback als Klimakanzlerin. Vorerst bleibt es aber bei wohlklingenden Papieren und vagen Fernzielen.

Zuchtmeisterin Europas – Herrin der schwarzen Null

Für die hässlichsten Bilder von Angela Merkel ist nicht die Autovermietung Sixt verantwortlich. Sie zeigte die CDU-Frau mit einer Sturmfrisur, als sie noch nicht Kanzlerin war. Weitaus wüstere Darstellungen begegneten ihr fünf Jahre später, als die griechische Schuldenkrise ihrem Höhepunkt zustrebte. Zunächst wollte Merkel „keinen Cent“ investieren, um die Griechen vor der Pleite zu retten. Am Ende wurde es eine dreistellige Milliardensumme. Dennoch wurde sie für manche Griechen zur Hassfigur, weil sie darauf drang, dass Solidarität nur gewährt werden könne, wenn die Regierung in Athen zu Reformen und einer strikten Spardisziplin bereit wäre. Diese Frage hat letztlich Europa entzweit: Merkel wurde zur Galionsfigur derer, die auf strenge Haushaltsregeln und Schuldengrenzen pochen.

Als Zuchtmeisterin der Eurozone gerieten sie, ihr Finanzminister Schäuble und mit ihnen alle Deutschen in den Ruch der Kaltherzigkeit, eines seelenlosen Zahlenfetischismus und einer wachstumsfeindlichen, sozialschädlichen Austeritätspolitik. Immerhin ist es Merkel gelungen, auch im eigenen Land die Haushaltsdisziplin zu wahren. Geholfen haben die gute Konjunktur und sprudelnde Einnahmen. Die schwarze Null – ein Staatshaushalt ohne neue Schulden – wurde für die CDU so etwas wie der Weihnachtsstern für die Heiligen drei Könige. Merkels Regierung hat damit immerhin ein historisches Ziel erreicht. Über Generationen hinweg waren die öffentlichen Finanzen auf Pump angelegt. Eine Trendwende schaffte Merkels Schatzmeister Schäuble 2014. Mittlerweile plant er den dritten Etat in Folge mit schwarzer Null. Das soll auch so bleiben.

Keine Maggie Thatcher, aber eine forsche Reformerin

Wer sich in die Archive des Adenauer-Hauses verirren sollte, der würde den Eindruck gewinnen, Merkel sei die Vorsitzende einer ganz anderen Partei gewesen, als sie noch nicht Kanzlerin war. Allerdings war sie da selbst noch eine Andere – und damit sind weder die Frisur noch die farbigen Jacketts gemeint, die sie sich erst von ihrem Kanzlerinnengehalt zugelegt hat. Als Oppositionsführerin erweckte Merkel den Eindruck, sie wolle eine deutsche Maggie Thatcher werden. Am schlimmsten hat das Norbert Blüm zu spüren bekommen, der einmal das soziale Gewissen der Kohl-CDU gewesen war. Er hat sein Waterloo auf dem Parteitag von Leipzig 2003 erlebt. Niemand wollte ihm mehr zuhören.

Auf Betreiben Merkels schrieb die CDU sich forsche Reformen auf die Fahnen: Sie wollte Kopfprämien statt einkommensabhängige Beiträge für die Krankenkassen und eine Steuerreform, die es den Bürgern ermöglicht, auf einem Bierdeckel auszurechnen, was er dem Fiskus schuldet. Aus alldem ist nichts geworden. Die neoliberalen Pläne haben zu viele Wähler verunsichert. Merkel beförderte die Reformpapiere flott zum Altpapier und ließ seitdem keine vergleichbaren Anwandlungen mehr erkennen – zum Verdruss der Wirtschaftsliberalen in der CDU. Nur ihre eigene Partei unterzog sie einer Generalrevision: Sie musste lernen, dass Deutschland doch ein Einwanderungsland ist, die Wehrpflicht und auch Atomkraftwerke entbehrlich sind und Familien auch aus zwei Vätern bestehen können. Nach 15 Jahren unter Merkel will die einstige Altherrenpartei CDU jetzt noch bunter, jünger und weiblicher werden – und sogar Muslime umwerben.

Mächtigste Frau der Welt

Seit 2004 führt die US-Zeitschrift „Forbes“ Hitlisten der Mächtigen auf dieser Welt. Bei den Frauen liegt Angela Merkel regelmäßig vorne. Dabei ist sie kein Machtmensch im klassischen Sinne. Das Gehabe und die Gesten solcher Leute sind ihr fremd. Sie dominiert, ohne demonstrativ zu führen. „Sie ist so mächtig, weil sie ihre Macht nicht einsetzt“, sagt einer ihrer Biografen. Zu ihren Machtinstrumenten zählt die Bescheidenheit – gerade dann, wenn sie sich überlegen fühlen darf.

Der Soziologe Ulrich Beck hat für Merkels Machtstil einen eigenen Begriff geprägt: „Merkiavellismus“ – eine Anspielung auf den Machttheoretiker Machiavelli. Ein charakteristisches Merkmal sei ihre „Neigung zum Nicht-Handeln, Noch-Nicht-Handeln, Später-Handeln, zum Zögern“. Unter Merkel ist Deutschland zu einer Art Zentralmacht in Europa aufgestiegen. Sie verkörpert die Führungsrolle, die daraus erwächst, ohne Großmachtallüren zu entwickeln: eher als Moderator, ehrlicher Makler, Schiedsrichter, Handlungsreisender, Gesprächspartner auch der Machtlosen. Im Ukrainekonflikt überließ US-Präsident Obama ihr das Krisenmanagement. Auch in der aktuellen Flüchtlingskrise fällt ihr dieser Part zu, ohne dass sie ihn wirklich ausfüllen würde. Deutschland redet darüber, mehr Verantwortung in der Welt übernehmen zu wollen, ziert sich aber immer wieder, wenn konkrete Verpflichtungen daraus folgen – zumal, wenn es um militärische Einsätze geht. Merkels Machtpolitik, sofern sie überhaupt erkennbar wird, ist nicht konfrontativ, schon gar nicht aggressiv. Das ist auch eine Art Machtgarantie: Wer selbst nicht zur Attacke neigt, wird selten angegriffen.

Merkel ist die wichtigste Stimme Europas. Sie repräsentiert ein Deutschland, das mehr Verantwortung in der Welt sucht.