Die „Büchsenschmiere“ im Hospitalviertel wurde im Krieg völlig zerstört. Dort, wo die Kripo während der Nazi-Zeit unliebsame Menschen festhielt und erniedrigte, steht heute der Hospitalhof, ein geistiges Kraftzentrum der Stadt, das dieses dunkle Kapitel nun intensiv beleuchtet.
Die Geschichte der sogenannten Büchsenschmiere im Hospitalviertel, die von 1895 bis 1945 der Sitz der Stuttgarter Kriminalpolizei und des Polizeigefängnisses gewesen ist, stößt auf großes Interesse. Rund 200 Besucher kamen am Dienstagabend zur Eröffnung einer Ausstellung über dieses „vergessene Kapitel Stuttgarter Stadtgeschichte“ in den Hospitalhof. Dabei wurde auch ein von Monika Renninger, Andreas Keller und Peter Poguntke verfasstes Buch über die „Büchsenschmiere“ vorgestellt. Die Leiterin des evangelischen Bildungszentrums, der Vorsitzende der Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“ und der in Stuttgart bewanderte Historiker haben die bruchstückhaft vorhandenen Informationen in anderthalbjähriger Arbeit zu einer aussagekräftigen 130 Seiten starken Dokumentation verdichtet und damit ein neues Kapitel der Erinnerungskultur in Stuttgart aufgeschlagen, wie die Schulbürgermeisterin Isabel Fezer bei der Eröffnung betonte, die von der Musik Hans Eislers eindrucksvoll umrahmt wurde.
Gestapo und Kripo arbeiteten eng zusammen
Isabel Fezer, wie auch die Vorsitzende der Israelitischen Religionsgemeinschaft, Barbara Traub, und die evangelische Prälatin Gabriele Arnold, äußerten in Redebeiträgen ihr Erstaunen darüber, dass die Geschichte des weitläufigen Polizeikomplexes in der Öffentlichkeit bisher kaum bekannt war – speziell die Zeit während des Nationalsozialismus, als hier Juden, Oppositionelle, Homosexuelle, Zwangsarbeiter sowie Sinti und Roma einsaßen und erniedrigt wurden. Die vom Hotel Silber aus operierende Gestapo und die Kripo in der „Büchsenschmiere“ kollaborierten dabei aufs Engste. Vom Polizeigefängnis im Hospitalviertel aus führte der Weg für Verfolgte des Nazi-Regimes häufig ins KZ.
„Abgründiges“ und „Großartiges“ verbinden sich mit diesem Ort, sagte Arnold im Hinblick auf dessen wechselvolle Geschichte, die mit der Gründung eines Dominikanerklosters im 15. Jahrhundert begann, aus dem später ein Bürgerhospital hervorging, dann das Polizeihauptquartier und nach der Zerstörung der „Büchsenschmiere“ im Krieg zunächst ein evangelisches Verwaltungs- und schließlich das heutige Bildungszentrum. Den neuen Hospitalhof, der in diesem Jahr zehnten Geburtstag feiert, nannte sie „einen Ort der sich einmischt und sich einlässt“ – in dem Fall auf das schwierige geschichtliche Erbe.
Barbara Traub sprach von einem „Akt der Gerechtigkeit“ und der „Anerkennung des Leids“. Als Beispiel nannte sie den jüdischen Musikwissenschaftler Karl Adler, der in der „Büchsenschmiere“ einsaß und zeitlebens davon gezeichnet gewesen ist: „Die Brutalität und Niederträchtigkeit des Nazi-Regimes hat sich an diesem Ort in voller Klarheit gezeigt.“
Cornelia Hecht-Zeiler, die Leiterin des Hauses der Geschichte, lobte das Engagement des Teams um Monika Renninger. Es sei „unerlässlich, sich mit diesem Ort der Täter auseinanderzusetzen“. Bis heute halte sich die Legende, dass sich die Kripo in der NS-Zeit auf hoheitliche Polizeiaufgaben beschränkt habe. In Wirklichkeit hätten beide eng zusammengearbeitet: „Gestapo und die Kripo jener Zeit sind nicht gleich, aber vergleichbar.“ Hier gelte es noch viel aufzuarbeiten.
Tim Müller, Wissenschaftlicher Leiter beim Landesverband der Sinti und Roma, nannte die Kripo in der damaligen Zeit „Vollstrecker der Terrors“: „Wer in den Tod ging, das wurde auch hier entschieden.“ Gleichzeitig erinnerte er an die „Kontinuität des Antiziganismus“. Eindrücklich ist das im Buch herausgestellte Beispiel einer Frau, die nach dem Krieg demselben Kripobeamten gegenübersaß. Die Ausstellung, in der die Namen der von Stuttgart aus deportierten Sinti und Roma aufgeführt werden, nannte Müller einen „würdigen Raum“.
Ralf Bogen, von der Initiative „Der Liebe wegen“, erinnerte an das Schicksal homosexueller Menschen in der „Büchsenschmiere“, die einem massiven Verfolgungsdruck ausgesetzt waren. Auch auf seine Initiative hin wurde anlässlich des zehnjährigen Bestehens des neuen Hospitalhofs eine Gedenktafel im Außenbereich erneuert und ergänzt. Nun sind dort alle Opfergruppen namentlich aufgeführt – auch die Angehörigen sexueller Minderheiten.
„Nichts ist selbstverständlich“
Der Stuttgarter Historiker Carsten Kretschmann sprach in seinem Vortrag von einem „denkwürdigen Tag“. Aus diesem „Ort der totalen Ausgrenzung“ sei ein für Stuttgart wichtiger „Erinnerungsort“ geworden. Kretschmann mahnte, die Demokratie nicht für selbstverständlich zu halten: „Erinnerungsorte sind nicht Folklore, sondern brisante Plätze, die zum Handeln aufrufen.“
Programm
Ausstellung
Die Geschichte der „Büchsenschmiere“ ist Thema einer Publikation von Peter Poguntke, Andreas Keller und Monika Renninger, die zum Preis von 17 Euro im Hospitalhof erworben werden kann. Sie bildet auch die Grundlage der Ausstellung vom 25. Juni bis 22. August im Hospitalhof, Büchsenstraße 33.
Begleitprogramm
Rund um die Ausstellung gibt es mehrere vom Hospitalhof und der Gedenkstätte „Zeichen der Erinnerung“ organisierte Veranstaltungen, beginnend am 5. und 6. Juli mit einer Performance („Hidden Voices“) vor und im Hospitalhof jeweils von 20 bis 21.30 Uhr. Dabei soll den Menschen, die im damaligen Polizeihauptquartier festgehalten und erniedrigt wurden, ihre Stimme zurückzugeben werden. Eintritt: 10 Euro, ermäßigt 7 Euro. Die Performance ist auch Thema bei einem Podiumsgespräch am 15. Juli. Zwei weitere Performances („Passing“) stehen am 27 und 28. Juli an. jse