Die Pannen bei der Einführung der LKW-Maut sind juristisch ungeklärt. Doch zehn Jahre später gibt es zu Toll Collect keine Alternative – mindestens bis 2018.

Korrespondenten: Thomas Wüpper (wüp)

Berlin - Seit zehn Jahren läuft das deutsche Lkw-Mautsystem Toll Collect zuverlässig. In diesem Jahr stehen einige Veränderungen an. Die Lkw-Maut soll zum 1. Juli dieses Jahres auf weitere 1100 Kilometer Bundesstraßen ausgeweitet werden. Zudem soll die Maut vom 1. Oktober an schon für Lkw ab 7,5 Tonnen Gewicht statt bisher erst ab 12 Tonnen gelten.

 

Der Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt (CSU) erhofft sich von der Ausweitung 875 Millionen Euro Einnahmen zusätzlich bis Ende 2017, die zweckgebunden in den Straßenbau fließen sollen. Bereits seit August 2012 wird die Maut auch auf 1200 Kilometer Bundesstraßen erhoben. Experten sind gespannt, ob die erneute Erweiterung des Mautsystems technisch reibungslos klappt. Immer noch belasten fragwürdige Geheimverträge, hohe Betriebskosten und ein beispielloser Milliardenstreit wegen des teuren Fehlstarts das Projekt. Trotzdem können die Eigentümer Daimler und Telekom auf weitere lukrative Verträge mit dem Staat hoffen.

Rund 39 Milliarden Euro hat die Lkw-Maut auf Autobahnen seit dem 1. Januar 2005 in die Staatskasse gespült. Pro Jahr nimmt der Bund rund 4,5 Milliarden Euro mit der Straßengebühr ein. Auch für die beauftragte Mautfirma Toll Collect GmbH in Berlin, die zum größten Teil den Konzernen Daimler und Deutsche Telekom gehört, ist das Abrechnungssystem per Mobilfunk und Satellit ein gutes Geschäft. Mehr als 6 Milliarden Euro hat Toll Collect bisher dem Bund für den Betrieb des Mautsystems in Rechnung gestellt.

Kein Wunder also, dass die Bilanz von Hanns-Karsten Kirchmann zum Jubiläum rundum positiv ausfällt. Toll Collect sei „ein verlässlicher Dienstleister der Bundesrepublik Deutschland“, sagt der Firmenchef. 166 000 Unternehmen mit mehr als einer Million Fahrzeuge sind inzwischen bei der Mautfirma registriert. Bei vier Fünfteln der Lastwagen wird die Straßengebühr automatisch über Geräte im Lkw erfasst und abgerechnet, alternativ kann die Maut manuell an 3400 Terminals gezahlt werden.

Der Fehlstart ist nicht aufgearbeitet

Heftige Kritik an der jüngsten Vertragsverlängerung

Erst kürzlich hat Verkehrsminister Dobrindt trotz heftiger Kritik auch innerhalb der schwarz-roten Koalition den Betriebsvertrag drei Jahre bis Ende August 2018 verlängert, was Toll Collect nochmals mehr als eine Milliarde Euro Einnahmen bringen wird. Dafür muss die Firma aber auch die Ausweitung in diesem Jahr organisieren. Noch immer beschäftigt der katastrophale Fehlstart von Toll Collect Mitte der neunziger Jahre die Gerichte.

Die beiden deutschen Weltkonzerne erhielten damals zwar von der Regierung Schröder den Zuschlag, bekamen aber ihr kompliziertes System nicht rechtzeitig in den Griff. Die Mauterhebung begann am 1. Januar 2005 und damit 16 Monate später als geplant. Für den Bund und die Steuerzahler bedeutete das Einnahmeausfälle in Milliardenhöhe. Seit mehr als zehn Jahren streiten die wechselnden Bundesregierungen deshalb mit Toll Collect und den Konzernen vor einem Schiedsgericht um inzwischen rund 7 Milliarden Euro Schadenersatz inklusive Zinsen. Allein die Schiedsverfahren haben den Bund nochmals deutlich mehr als 100 Millionen Euro gekostet. Ob die Konzerne jemals eine Entschädigung zahlen, ist offen. Der Bund hat aber immerhin die Rechnungen von Toll Collect zunächst nur zu rund drei Vierteln bezahlt.

Die heftig umstrittene Vertragsverlängerung mit Toll Collect hat Dobrindt viel Kritik eingetragen, zumal der Bund eine Vertragsoption hatte, das System mit dem Auslaufen des Betriebsvertrags Ende August 2015 zu übernehmen und zu geringeren Kosten zunächst in staatlicher Regie bis zu einer erneuten Vergabe weiterzuführen. Doch bereits Dobrindts Vorgänger und Parteikollege Peter Ramsauer schob das Vorhaben auf die lange Bank. Und das, obwohl frühzeitig auch die Fachbeamten ihren Minister schriftlich warnten, dass der Bund sich so „wirtschaftlich in fataler Weise von Daimler und der Telekom abhängig“ mache. Das bewiesen damals interne Dokumente. Für die Opposition im Bundestag ist der Handel Dobrindts mit den Konzernen dubios. Der Fraktionschef und Verkehrsexperte der Grünen, Anton Hofreiter, fordert die Offenlegung der geheimen Kontrakte. Allein der ursprüngliche Betreibervertrag, der Risikoverteilung, Haftungsfragen und Vergütungen regelt, hat mehr als 17 000 Seiten. Selbst Parlamentarier bekommen nur unter strengsten Auflagen Einblick. Wer Informationen weitergibt, macht sich strafbar.

Der Bund hat Zugeständnisse gemacht

Konnten die Betreiberkonzerne die Konditionen diktieren?

Details des neuen Vertrages kamen dennoch heraus. So berichtete der „Spiegel“, dass Toll Collect weiterhin mehr als 400 Millionen Euro jährlich dem Bund als Betriebskosten in Rechnung stellen darf. Unter dem Strich soll für die Konzerne in drei Jahren eine stolze Rendite von 242 Millionen Euro abfallen. Die bisher vereinbarten Vertragsstrafen und Rechnungskontrollen sollen deutlich abgeschwächt worden sein. Genau vor einem solchen Ergebnis hatten die kritischen Fachbeamten im Verkehrsministerium schon Dobrindts Vorgänger in der internen Vorlage gewarnt. Bei einer Vertragsverlängerung könnten die Konzerne „sehr weit reichende Zugeständnisse verlangen“ – also faktisch die Konditionen diktieren. Im Hause Dobrindt jedoch verteidigt man die weitere Zusammenarbeit mit Daimler und Telekom aber mit dem Hinweis, die Risiken eines Betreiberwechsels seien zu hoch gewesen.

Die Opposition argwöhnt, dass die Regierung intern schon Weichen gestellt hat, dass Toll Collect auch nach 2018 das Mautsystem weiterbetreiben kann. Zwar muss der Milliardenauftrag laut EU-Vorgaben europaweit ausgeschrieben werden. Aber blieben die Konzerne weiter im Boot, könnte das hinter den Kulissen auch die überfällige Einigung im Streit wegen des Fehlstarts des Mautsystems erleichtern.

Das komplexe Mautsystem

Mautsystem –
Die Lkw-Maut wird seit 1. Januar 2005 auf 12 800 Kilometer Autobahnen und seit August 2012 auf 1200 Kilometer Bundesstraßen erhoben. Die deutsche Firma Toll Collect hat dafür ein weltweit einmaliges System entwickelt, das die Gebühren vollautomatisch per Satellitenortung und Mobilfunk berechnet. Mehr als 820 000 Lkw ab 12 Tonnen besitzen dafür ein Gerät zur Mautabrechnung.

Einnahmen
– Seit Einführung der vom Speditionsgewerbe heftig bekämpften Maut nahm der Bund rund 39 Milliarden Euro ein. Weitere rund 6 Milliarden Euro kassierte Toll Collect für den Betrieb des Systems. Die Höhe der Gebühr hängt von der gefahrenen Strecke, der Achsenzahl und dem Schadstoffausstoß ab. Damit gibt es Anreize für Spediteure, die Umwelt weniger zu belasten. Seit Jahresbeginn zahlen Lkw der Schadstoffklasse 6 eine geringere Gebühr.

Ausweitung
– Zum 1. Juli wird die Lkw-Maut auf weitere 1200 Kilometer Bundesstraßen ausgeweitet. Vom 1. Oktober an muss zudem für Lkw ab 7,5 Tonnen gezahlt werden. Von 2018 an will die Bundesregierung die Lkw-Maut sogar auf allen Bundesstraßen in Deutschland erheben.