Die Geldbranche ist in den zehn Jahren seit dem Bankrott von Lehman Brothers nicht sicherer geworden, urteilt der StZ-Autor Michael Heller.

Stuttgart - Es ist der Song zur Finanzkrise. „It’s the End of the World as we know it“, lautet ein 20 Jahre altes Stück der US-Rockband REM, das im September 2008 noch einmal in aller Munde war. „Das Ende der Welt, wie wir sie kannten“, schien mit der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers tatsächlich gekommen zu sein; die weltweiten Finanzmärkte standen vor dem Zusammenbruch.

 

Aber dazu ist es nicht gekommen, die Menschen sind am nächsten Tag in keiner anderen Welt aufgewacht. Denn die Regierungen und Notenbanken hielten Banken und Finanzmärkte mit Geldinfusionen in einer bis dahin nicht vorstellbaren Größenordnung in Gang; es ging um Billionen. Nur ein Beispiel: Eine bis dahin nur Insidern bekannte Münchner Hypothekenbank namens Hypo Real Estate wurde alles in allem mit 102 Milliarden Euro unterstützt.

Ein Beitrag zur Entfremdung zwischen Staat und Bevölkerung

Trotzdem ist das Lob für das Krisenmanagement der Politik zu Recht ausgeblieben. Denn die Finanzkrise, die ihren Ursprung auf dem US-Markt für Hypothekendarlehen hatte, schwappte mit dramatischen Folgen in die Realwelt hinüber. Millionen Menschen verloren in der schwersten Konjunkturkrise der Nachkriegszeit ihren Job oder ihr Haus oder beides. Zudem sind es politische Beschlüsse gewesen, die den Banken erst die wilden Spekulationen und fragwürdigen Konstrukte zur Geldanlage erlaubt hatten, die dann an den Rand des Abgrunds geführt haben.

Immer wieder mussten sich Regierungen fragen lassen, weshalb Finanzhasardeure, genannt Banken, mit fast unanständig viel Geld gerettet werden mussten, wo der Staat doch in anderen Krisenfällen stets auf seine leeren Kassen, die Regeln der Marktwirtschaft und die Verantwortung des Einzelnen verwies. So richtig plausible Antworten hat es bis heute nicht gegeben. Und so hat die Finanzkrise durchaus ihren Beitrag zur Entfremdung zwischen Staat und Bevölkerung geleistet.

US-Präsident Trump setzt auf Deregulierung

Aber immerhin bestand zumindest rasch Einigkeit, dass sich so etwas nicht wiederholen darf. Viele Reformen sind jedoch auf halber Strecke stecken geblieben, auch wenn die Banken mittlerweile mehr Eigenkapital für die Abdeckung von Risiken haben. So hat sich nichts geändert an der Struktur der Branche mit ihren Bankkonzernen, die „too big to fail“ sind – zu groß, um sie pleitegehen zu lassen. Geraten Banken in eine existenzbedrohende Lage – so geschehen im vergangenen Jahr in Italien –, dann hilft der Staat eben doch.

Mittlerweile hat sich der Wind sogar gedreht. US-Präsident Donald Trump setzt strikt auf Deregulierung. Zwar sind politische Mehrheiten dafür in Europa kaum vorstellbar. Aber dass die Bankenkrise auch hier ihren Schrecken verloren hat, zeigt die Debatte um „nationale Champions“, um international bedeutende Großbanken.

Mit der Geldschwemme begann die Abschaffung der Zinsen

Eine Neuauflage der US-Hypothekenkrise ist zwar nicht in Sicht, aber es haben sich viele neue Krisenherde gebildet. Völlig unreguliert sind zum Beispiel die neuen Kryptowährungen. Nun haben Bitcoin und andere kaum das Potenzial, eine Krise à la Lehman auszulösen, weil die Bindung an die reale Welt fehlt. Es sind eher die Folgen der Finanzkrise, die die Furcht vor einem neuen Flächenbrand schüren. Mit der Liquiditätsschwemme damals, die sich in der Staatsschuldenkrise fortgesetzt hat, begann die faktische Abschaffung der Zinsen; Geld kostet im Prinzip nichts mehr.

Die Aussicht darauf, dass sich das bald ändert, ist sehr gering. Viele Länder, Konzerne und auch Privatkunden sind der Verlockung einer Gratisverschuldung erlegen und müssten kapitulieren, wenn die Zinsen stiegen. Auf der verzweifelten Suche nach einer rentablen Geldanlage fließt immer mehr Geld in Vermögenswerte wie Aktien und Immobilien und treibt die Preise hoch. Dass die Vermögensblase irgendwann platzt und Banken wackeln lässt, ist nicht das unwahrscheinlichste Szenario.