An diesem Freitag gibt die Gesellschaft für deutsche Sprache das „Wort des Jahres“ bekannt. Wir liefern zehn Vorschläge.

An diesem Freitag gibt die Gesellschaft für deutsche Sprache das „Wort des Jahres“ bekannt. Wir liefern zehn Vorschläge.

 

1. Generalverdacht

Es ist eine der am heißesten diskutierten Fragen des Jahres: Wann kann man bei einer Tat von einem Einzelfall sprechen, und wann spielen Herkunft, Religion und soziales Milieu einer Tätergruppe eine Rolle? Im Wort „Generalverdacht“ wird die Einzelfall-These sichtbar. Gebräuchlichste Formulierung: „Wir dürfen nicht den Fehler begehen, alle unter Generalverdacht zu stellen.“ (era)

2. Autonomes Fahren

In den 60er- und 70er-Jahren des vorigen Jahrhunderts verbreiteten autonome Gruppen in Deutschland Angst und Schrecken. Demnächst übernehmen diesen Job autonom fahrende Autos. Sie halten plötzlich querende Lastwagen für Wolken und Fußgänger für 3D-Animationen. Wozu also bremsen? Angeführt wird die autonome Szene der Neuzeit von Autonmanagern, die plötzlich nur noch von der Freude am Gefahrenwerden reden. Aber so leicht lassen wir uns nicht verschaukeln. (lud)

3. Brexit

Die Wähler im Vereinigten Königreich stimmten im Juni 2016 für den Austritt aus der Europäischen Union. Blöd nur, dass viele Engländer erst nach dem Referendum Google befragten. Häufigste Abfrage: „Brexit und die Folgen“. (nja)

4. Schmähkritik

Böhmermann gegen Erdogan. Erdogan gegen Böhmermann. Merkel hoffnungslos zwischen den Fronten. Die Schmähkritik des Komikers Jan Böhmermann sorgte im Frühjahr des Jahres für schwerste deutsch-türkische Verstimmungen. Und für eine ungeahnte Erkenntnis. Ein Gedicht kann immer noch mächtig sein – wenn es einen auf Härte getrimmten Machthaber trifft. Für die Türkei war die Schmähkritik am Ende des Jahres nur eine Fußnote. (era)

5. Horror-Clown

Bei Clowns vergeht manchen seit der Lektüre von Stephen Kings „Es“ der Spaß. Doch das war harmlos im Vergleich zu dem, was in diesem Herbst geschah: Kein Tag ohne das Wort Horrorclown. Übergriffe, Kostümierungssanktionen und polizeiliche Warnungen schürten die Ängste bis zur partiellen Verbarrikadierung an Halloween. Danach hat sich der Spuk in Luft aufgelöst. Das Wort ist geblieben. (sdr)

6. Obergrenze

Alternativlos? Ein Wort aus der politischen Mottenkiste. Längst widerlegt. Aus Zeiten, in denen sich die gesamte christlich-demokratische und sogar die christlich-soziale Union hinter der Kanzlerin versammelt hat. Inzwischen streitet man wieder miteinander. Zum Beispiel darüber, ob es eine Zahl geben sollte, die festlegt, wie viele Flüchtlinge nach Deutschland kommen dürfen. Voilà: die Obergrenze. (era)

7. Establishment

Da hat Donald Trump wohl was falsch verstanden, als er zum Kreuzzug gegen das „Establishment“, also gegen die wirtschaftliche und politische Elite, rief. In Deutschland erinnert der Begriff weniger an neu-rechten Klassenkampf denn an alt-linke Kopulation. „Wer zweimal mit derselben pennt, gehört schon zum Establishment,“ stöhnten die 68er – um mangels Angebot und Nachfrage im Alter bescheidener zu werden. Was zeigt: Die Zeit läuft gegen Trump. (wmo)

8. Regretting Motherhood

Die Studie über Mütter, die ihre Mutterschaft bereuen erschien schon 2015, aber auch in diesem Jahr war der Begriff sehr präsent. Es sind natürlich eher die gesellschaftlichen Umstände als das Muttersein an sich, die man anprangern sollte. (nja)

9. Postfaktisch

Angela Merkel hat das „postfaktische Zeitalter“ ausgerufen. Wenn schon die Bundeskanzlerin das Wort in ihren Sprachgebrauch aufgenommen hat, ist es definitiv mehrheitsfähig. Die Wörterbuchreihe Oxford Dictionaries hat das erkannt – sie kürte „post-truth“ bereits zum internationalen Wort des Jahres. Was dahintersteckt: Fakten, spielen keine Rolle, Fakten sind im postfaktischen Zeitalter letztlich Ansichtssache. (mma)

10. Populismus

2016 wird wohl als Horrorjahr der Liberalen in die jüngere Geschichte eingehen. Die Europäische Union wankt wie ein britischer Säufer, in den USA skandieren Tausende, dass Hillary Clinton hinter Gitter gehört, in Deutschland treibt die AfD die etablierten Parteien mit ihren Themen vor sich her. Wenn einem nichts anderes zur Erklärung einfällt, sagt man schlicht: „Der Populismus ist dran Schuld.“ (era)