Christian Zehnder, Arkady Shilkloper und John Wolf Brennan haben in der Esslinger Dieselstraße Jazz, Improvisation und Klangexperimente zu einer „imaginären Volksmusik“ verschmolzen.

Esslingen - Geht das? In aberwitzigem Tempo wechselt Christian Zehnder, Stimmkünstler aus der Schweiz, zwischen flötendem Obertongesang und dem wilden Hin und Her von Kopf- und Bruststimme, das man Jodeln nennt. Der Russe Arkady Shilkloper spielt neben Flügel- auch das das Alphorn - und zwar mit Ausflügen in hohe Register, die außer ihm vielleicht gar niemand erreicht. Einmal verkürzt Shilkloper sein langes Instrument auch, benutzt es, ganz ohne Mundstück, wie ein Didgeridoo. Der Ire John Wolf Brennan betätigt am Klavier nicht nur die Tasten, sondern dämpft auch dessen Saiten, traktiert sie mit Schlägeln, nutzt mit einer Melodika den weiten Resonanzraum des Instrumentes. Zusammen erfinden die drei am Sonntagabend im Esslinger Kulturzentrum Dieselstraße eine Musik, die sich irgendwo zwischen Jazz, Improvisation und dem verorten lässt, was das eidgenössische Epizentrum des Trios gerne als „imaginäre Volksmusik“ bezeichnet. Diese wiederum hat ausgesprochen wenig mit irgendwelchen schunkeln machenden, terzenverliebten Herzbuben zu tun, noch weniger mit der Schöne-Welt-Glückseligkeit lustiger TV-Musikanten, dafür aber sehr viel mit Köpfchen, Klang und Kommunikation.

 

Weltweit zusammengeklaubte Vokal- und Instrumentaltechniken

Für Letztere stehen schon die Traditionen, um welche das Spiel des Trios kreist: So wie Jodeln und Alphornspiel traditionell der Verständigung dienten, so formen auch Zehnder, Shilkloper und Brennan ihre Musik als Dialoge, bei denen der eine Ideen und Impulse des anderen aufnimmt, befragt und weiterdenkt. Das Ergebnis ist eine Art Meta-Volksmusik, also Musik über Volksmusik, und in ihrer Verschmelzung von unterschiedlichsten, weltweit zusammengeklaubten Vokal- und Instrumentaltechniken wirkt diese gleich doppelt. Erstens: über den Verstand, der am Anfang des Konzertes Anklänge an eine romantische Hornsonate wahrnimmt, später die Einflechtung traditioneller Jodelrufe aus Graubünden, die Transformation von Hörnern zu Perkussionsinstrumenten sowie den oft skurril witzigen Umgang mit Klischees des Alpenländischen, das Sänger und Horn in einem Stück gar mit Muhs und Mähs von der Alm garnieren. Und zweitens: über den Trioklang selbst, den die Musiker virtuos im Fluss halten und dem Christian Zehnder mit seiner hohen darstellerischen Präsenz etwas sehr Körperliches, ja Theatralisches und immer wieder ausgesprochen Ironisches mitgibt. Am Ende hat man viele Kühe gehört, weiß um die Nähe des Jodelns zum Jammern, um die Weite des Stimmspektrums zwischen Kopf und Kehle und kann sogar die Eingangsfrage beantworten. Ja, das geht, es ist ein Wunder und dabei zu sein ein großes Glück.