Binnen zwei Monaten nach den terroristischen Anschlägen von Paris auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ hat sich das Leben von Corinne Rey fundamental verändert. Die Zeichnerin hat am 7. Januar den Attentätern die Tür geöffnet.

Paris - Es gibt ein Vorher und ein Nachher im Leben der Corinne Rey. Zwischen beiden liegt dieser Augenblick, da sie dem Tod die Tür öffnete. Die Waffe eines Terroristen an der Schläfe, hatte sie an jenem 7. Januar gegen 11.30 Uhr den Code eingetippt, der den Weg zu den Redaktionsräumen „Charlie Hebdos“ frei gab. Dass die Zeichnerin die dritte Etage als Sitz des Satireblattes nannte und nicht die zweite, wo die Redaktion tagte, konnte das Massaker nicht verhindern.

 

Acht Kollegen starben im Kugelhagel der Terroristen. Die naheliegende Vermutung, das die Karikaturistin auszeichnende, von bitterem Ernst durchdrungene Lächeln habe sich nach jenem schicksalsschweren Tag herausgebildet, erweist sich freilich als falsch. Ein Video aus dem Jahr 2012 zeigt, dass ihr schon früher Humor und Schwermut gleichermaßen ins Gesicht geschrieben standen. Vom „Internationalen Treffen für Pressezeichnungen“ im westfranzösischen Carquefou stammen die Filmaufnahmen. Wenn du über meine Karikaturen lachst, vergiss bitte nicht, dass es mir mit ihnen bitterernst ist, scheint die Miene der Zeichnerin zu besagen.

Gezeichnet von den Erinnerungen

Später hat die als Coco firmierende Zeichnerin die Botschaft in Worte gefasst. Ihre in „Charlie Hebdo“, „Psikopat“ oder „Les Inrockuptibles“ erscheinenden Arbeiten transportierten stets eine Botschaft, seien Ausdruck von Engagement, hat die 32-Jährige klargestellt. Sie seien nicht nur lustig. Wenn sich in diesen Tagen auf ihrem Gesichtszügen ein schwermütiges Lächeln abzeichnet, ist das ein Fortschritt.

Unter einem Schreibtisch versteckt

Nach dem Terrorüberfall vom 7. Januar hatte es so ausgesehen, als habe im Leben der aus Annemasse, einer Kleinstadt am Alpenrand,  stammenden Frau bitterer Ernst die Alleinherrschaft angetreten. Das Gesicht so schmal, so blass, so wächsern, als zähle sie zu den Toten des in den Redaktionsräumen verübten Massakers, war Coco bei der Pariser Massenkundgebung für die Meinungsfreiheit und gegen den Terror vorneweg marschiert. Ein Stirnband hielt die dunklen Locken zusammen. „Charlie“ stand darauf, sieben schwarze Großbuchstaben auf weißem Grund, sonst nichts.

Den Kollegen schuldig weiterzumachen

In den vergangenen zwei Monaten hat die auch für Asylanten- oder Obdachlosen-Hilfsorganisationen sowie Armenküchen arbeitende Zeichnerin dann unzählige Male mit versteinerten Zügen geschildert, wie sie den Tag des Anschlags erlebt hat, wie sie überlebt hat und wie sie nun weiterlebt.

An jenem 7. Januar war sie losgegangen, um ihre Tochter von der Kinderkrippe abzuholen. Vor der Tür stieß sie auf zwei vermummte Männer, die Eintritt verlangten, sie mit der Waffe bedrohten. Coco tippte den Code ein, ging den beiden nach, versteckte sich unter einem Schreibtisch, hörte, wie sich die Männer in akzentfreiem Französisch zu Al-Kaida bekannten und wie Schüsse fielen. Charb, der Chefredakteur, brach als einer der ersten tödlich getroffen zusammen. Er war es gewesen, der die in Poitiers ausgebildete, mehrfach preisgekrönte junge Zeichnerin zu „Charlie Hebdo“ geholt hatte.  Acht Tage später hielt Coco dann am Grab des ermordeten Kollegen Tignous eine Rede.

Den getöteten Kollegen verpflichtet

Und danach? Und heute? Von Ängsten, Einschlafschwierigkeiten, plötzlichen Weinkrämpfen hat Coco erzählt. Man kriege das nicht so schnell in den Griff, glaubt sie. Zusammen mit den anderen Überlebenden versucht sie immer wieder, das schwer Fassbare in Worte zu fassen. Sie weiß sich mit den Kollegen einig, „dass man es den Toten schuldig ist, nicht aufzugeben, sondern weiterzumachen“. Die Nähe der anderen von „Charlie Hebdo“ tue gut, sagt sie. Mit ihnen gestaltet sie die neuen Ausgaben des Satireblattes. Mit ihnen wird sie es angehen, „das Leben danach“.