In Oberschwaben fürchten sie, dass mit den Grünen die Zukunft düster wird. Die Freiburger dagegen sehen ihr Ökoquartier als Exportmodell.

Ehingen/ Freiburg - Karl Traub hätte der Strahlemann der baden-württembergischen CDU werden können. Der 69-Jährige hat in seinem Wahlkreis Ehingen geschafft, was keinem anderen Kandidaten im Land gelungen ist. 51 Prozent der Wahlberechtigten haben ihr Kreuz bei dem Landwirt aus Hausen am Bussen gemacht. Stimmenkönig ist er geworden. Er selber findet das Wort abscheulich, weil es nach Triumph klingt in einer Situation, in der viele Christdemokraten noch nicht begriffen haben, wie diese Niederlage passieren konnte.

 

Vielleicht kommen seine Parteifreunde aus der Machtzentrale ja in den nächsten Tagen noch bei ihm vorbei und fragen nach seinem Erfolgsrezept, das so einfach ist, aber längst nicht jedem schmeckt. Das wäre etwas Neues. Obwohl Karl Traub die Zukunft nicht zu gehören scheint; obwohl das gutmütige Gesicht des weißhaarigen Mannes meist im Hintergrund gehalten wurde, wenn es um Repräsentation ging, um große Reden, ums Image der Partei insgesamt. Kein Wort habe Dirk Metz, der Wahlkampfberater von Stefan Mappus, jemals mit ihm geredet, sagt Karl Traub. "Der saß immer nur in den Sitzungen und hat beobachtet." Ein Bauer kann eben am besten zu Bauern reden, haben viele in Stuttgart über Traub und seinen ländlich geprägten Wahlkreis gedacht. Was sollte das schon bedeuten für den Rest des Landes.

Vordergründig scheint das sogar zu stimmen. Da ist der Abgeordnete selbst, ein Mann ohne höheren Schulabschluss, weil er, nachdem der Vater an Kriegsverletzungen verstorben war, von Kindesbeinen an der Mutter helfen musste, den Bauernhof in Hausen zu bewirtschaften. 1966 aber hat sich Karl Traub in seiner Heimatgemeinde zur Bürgermeisterwahl gestellt und gewann. Bis 2009 hat er das Amt behalten, parallel dazu war er auch noch Bürgermeister der Gemeinde Unterwachingen. So ein Bürgermeistersplitting ist ganz normal am Fuß des oberschwäbischen Schicksalsberges Bussen. 1971 zog Karl Traub in den Kreistag des Alb-Donau-Kreises ein, sieben Jahre später wurde er CDU-Fraktionsvorsitzender, 1996 gelang ihm schließlich der Einzug in den Landtag. Dort wurde er Vorsitzender des Ausschusses Ländlicher Raum. "Ich komme aus einfachen Verhältnissen. Das ist keine Schande", sagt Traub, und das ist seine eigene Art zu sagen: Ich bin stolz auf das, was ich tue.

Abschied von liebgewonnenen Gewohnheiten?

In diesem oberschwäbischen Landstrich, heißt es, könnte man auch einen Sack Heu für die CDU antreten lassen, und er würde gewählt. Der SPD-Kandidat Franz Lemli, der im angrenzenden Wahlkreis Biberach angetreten war, konnte bei seinen vielen Hausbesuchen an Sätzen wie diesen verrückt werden: "Ach wissen, Sie, Herr Lemli, Sie sind mir sympathisch, aber ich habe immer christlich gewählt." Die CDU zu wählen, ist in einer Landschaft, die von den Zwiebeltürmen der Barockkirchen mitgeprägt ist, häufig gleichbedeutend mit einem Bekenntnis zum lieben Gott.

In Grundsheim zum Beispiel hat Karl Traub 81,9 Prozent der Stimmen geholt. Ein Feldkreuz am Ortseingang mahnt: "Rette deine Seele". Dabei hilft der erhobene Bau der Martinuskirche, unter dem das Rathaus steht, das nur an zwei Tagen pro Woche geöffnet ist. In einem gläsernen Zettelkasten hängt noch die "Schnellmeldung" zur Wahl vom Sonntag. Von 116 gültigen Stimmen entfielen auf die CDU 95. Viele ältere Bewohner spüren da schon zitternd eine Zeitenwende. "Früher haben wir hier hundert Prozent gehabt", grummelt ein Mann, der seinen Hof pflastert.

Viele glauben, wenn die CDU ihre Geschicke nicht mehr lenkte, bedeute das die Abkehr vom rechten Weg, von einer wohlbestellten Zukunft, den Abschied von liebgewonnenen Gewohnheiten. In Grundsheim findet sich aber niemand, der darüber klagt, dass es im Dorf seit den 70er Jahren keine Einkaufsgelegenheit mehr gibt und nach wie vor keinen Internetanschluss. Ein Bewohner, der in seinem Garten Holz stapelt, empört sich lieber, er halte nichts von den Leuten, die in Stuttgart gegen den Bahnhof demonstrierten.

"Ich kann's mit den jungen Leut"

Die Landespolitik und ihre großen Themen sind an diesem Ort beachtlicher Bedürfnislosigkeit weit weg, aber "den Karl, den kennt hier jeder", wie ein anderer Einheimischer versichert. Einmal, führt er aus, gab es eine Sache mit dem 16-jährigen Neffen, der sollte dem Vater mehr auf dem Hof helfen, aber er durfte damals noch keinen Traktorführerschein machen. Karl Traub machte seinen Einfluss im Landratsamt geltend, der Junge durfte die Fahrprüfung ablegen und mit einer Ausnahmegenehmigung auf den Äckern des Vaters die Zugmaschine bewegen.

Der so gelobte Abgeordnete erinnert sich gut an den Fall. "Ich helfe in kleinen Dingen. Das bin ich gewohnt." Dutzende Aktenordner hat er zu Hause, in denen er Durchschläge seiner Briefe und Eingaben sammelt. Das Vertrauen, das ihm entgegenschlage, gehe exakt auf diesen Einsatz zurück, sagt er. 400 Wahlkampftermine hat er in den vergangenen Wochen in seinem Wahlkreis abgerissen, bis zu sieben an einem Wochenende, und wenn er die Budenwagen der Landjugend besuchte, dann hat er den Anzug und die Krawatte beiseitegelegt. "Ich kann's mit den jungen Leut", sagt Karl Traub. "Ich mag die Menschen."

Das gilt wohl nicht mehr für alle Parteifreunde, auch wenn Karl Traubs Enttäuschung sich tief in seinen Sätzen verbirgt. Über Stefan Mappus sagt er: "Ich hab ihn lange verteidigt." Und ja: die CDU stünde besser da, wenn "mehr Abgeordnete im Land geschafft hätten wie ich".

Vielleicht kommt die CDU des Landes ja noch auf die Idee, bei einem Parteimitglied, das von gestern zu sein scheint, nach Rat für die anstehende Erneuerung zu fragen. Gelegenheit wäre genug, denn Karl Traub nimmt, solange die Gesundheit mitmacht, auch Platz auf der Oppositionsbank. Er müsse das machen, sagt er, wegen der Leute, die ihn gewählt und ihre Hoffnung auf ihn gesetzt haben.

Grüne Macht in Freiburg

Ortswechsel - von Ehingen nach Freiburg, von Schwarz zu Grün. Nach der Wahl ist das Fernsehen gekommen. Im Fahrradladen Radieschen mit der Stromtankstelle sind sie genervt von der Aufmerksamkeit, die dem Freiburger Stadtteil Vauban zuteilwird. "Ich habe Grün gewählt, na und?", sagt der Mann an der Kasse. Na und? Normal war die Wahl hier nicht. Nirgends im Land waren die Grünen stärker. Von den 3100 Wählern haben hier 72,7 Prozent Grün gewählt, 12,6 Prozent noch die SPD. Die CDU ist auf dem Niveau einer kleinen Splittergruppe - mit 3,8 Prozent.

"Nordkoreanische Verhältnisse", sagt Daniel Haas grinsend. Der 46-Jährige wartet im ersten Stock von Haus 037. Das Gebäude ist zu 100 Prozent aus Altbaustoffen hergerichtet worden, und in diesem "Direkt-Recycling-Haus" sitzt der Geist vom Vauban. Hier haben die Vereine ihre Büros; der für autofreies Wohnen, der für das Wasser, jener für die Jugendarbeit und all die anderen, die sich für das große Ganze und das Gute im Quartier engagieren. Haas ist 46 Jahre und ist bei der "Quartiersarbeit" angestellt. Er organisiert Feste und Diskussionsrunden, ist Ansprechpartner für alle Anliegen im Stadtteil. "Es ist Zeit für Veränderungen", sagt er und hofft, dass der Erfolg dazu beiträgt, die Energiepolitik neu auszurichten. "Vauban ist die Zukunft."

Im Wahlkampf hat die CDU die Grünen mit dem Stigma "Dagegen" versehen. Am südlichen Stadtrand von Freiburg ist etwas real, für das die Grünen sind. Vauban, das ist der Prototyp grünen Denkens und grünen Lebens. Eine grüne Blaupause für die Stadt der Zukunft. Als die Franzosen das Kasernengelände verließen, wurde das Areal 1998 zu einem ein Freiluftlabor für den ökologischen Lebensentwurf. Autofrei, Passivhäuser, Solarzellen auf den Dächern, grüne Lungen zwischen den Häusern mit Spielplätzen, hochwertige Architektur und Bürgerbeteiligung bei allen Fragen des Stadtteils. Aktuell geht es um die Gestaltung des Eingangsbereichs ins Viertel. Eine Mikro-Öko-Bürgergesellschaft.

Grünes Leben hat durchaus seinen Preis

Uta Grunert hat den Sieg der Grünen bei Freunden gefeiert. Super, sei der Abend gewesen. Nun hat die Forstwissenschaftlerin an ihrem Küchentisch Platz genommen. Es gibt Leitungswasser und einen Grundkurs Vauban. Uta Grunert wohnt in einem Passivhaus. Die Fenster sind dreifach isoliert, im Keller steht ein kleines Blockheizkraftwerk. "Die Nebenkosten sind gleich null." Sie schwärmt von den Lebensbedingungen, von der Gemeinschaft. Draußen vor dem Garten toben Kinder. Laut ist es im Vauban. Es ist nicht das gewohnte Hintergrundrauschen der Großstadt mit Verkehr. Es ist der Soundtrack des Familienidylls, spielende Kinder. "Sie sind die Könige der Straße, nicht die Autos." Das Viertel ist nicht wirklich autofrei, zum Verdruss von Alteingesessenen gibt es auch Häuser mit Tiefgaragen. Stark autoreduziert, trifft es besser. Parkplätze direkt vor der Haustüre sind aber weiter verboten.

Mit dem Regierungswechsel werde längst nicht alles anders, glaubt Grunert, zu groß seien die politischen Zwänge. Aber sie hofft, dass Themen wie Nachhaltigkeit und erneuerbare Energien stärker ins Bewusstsein gerückt werden. Wie hier in ihrem Viertel. Vauban ist nicht repräsentativ für das Land, aber es ist ein - zugespitzter - Querschnitt durch die grüne Wählerschicht. Vauban ist ein bisschen autonom mit der Wagenburg am Eingang, ein bisschen esoterisch mit vielen spirituellen Läden, ein bisschen studentisch mit dem Wohnheim, vor allem aber durchaus bürgerlich. Ein modernes, ökologisches, städtisches Bürgertum lebt hier, das für die CDU unerreichbar scheint.

Die Partei ist längst in der Mitte und der Halbhöhenlage angekommen. Der Freiburger Stadtteil ist reich. Viele Akademiker, Lehrer, Architekten haben ihren Archipel gefunden, ein grünes Ghetto mit einer geringen sozialen Durchmischung, die nur sehr langsam aufbricht. Grünes Leben dieser Art hat durchaus seinen Preis. Den Vorwurf einer grün lackierten FDP der Besserverdienenden hört man bisweilen. Die Zukunft könne nicht nur mit Bionade und Latte macchiato gestaltet werden, ätzte SPD-Chef Sigmar Gabriel noch 2010.

Die Toleranz hat Grenzen

Wenn man das Haus 037 verlässt, möge man dies möglichst ruhig tun, weist der Zettel an der Tür an: "Wir bitten Sie, das Haus nach 22 Uhr leise zu verlassen, insbesondere auf lange Unterhaltungen vor der Tür zu verzichten, da dies durch die enge Bebauung stört." An anderer Stelle steht: "Liebe Unbewusste und Hundefreunde, bitte nehmt Eure Hundescheiße vor unserem Hausblock mit." Man kennt das, im grünen Reservat hat die Toleranz Grenzen, wie überall sonst auch. Der "Spiegel" hat dieser Tage einen Bericht über das Pendant von Vauban in Tübingen, das Französische Viertel, mit "Grüne Hölle" betitelt und Inbegriff des Ökospießertums genannt.

Grüne Wähler sind keine Rebellen. Daniel Haas vom Stadtteilverein sagt, dass viele durchaus konservativ seien. Aber nicht in einem politischen Sinne, sondern sie wollen etwas bewahren, die Umwelt.

Monika Hönig hat schon einmal die CDU gewählt. Fast entschuldigend sagt sie, dass sie eben Unternehmerin sei: "Aber das ist auch schon lange her." Ihr gehört ein Buchladen in der Vaubanallee. Radikal ist sie nicht, doch auch sie wünscht sich einen ökologischen Wechsel. Im Laden gibt es Plastiktaschen aus China, nicht bio, aber sie sind billig und verkaufen sich gut bei Touristen. "Ich muss ja auch überleben."