Kinder, Karriere, Ehe. Nach einem Burnout hat Helene Prölß ihr Leben umgekrempelt. Heute berät die Stuttgarterin ausgebrannte Manager.  

Stuttgart - Wer für etwas brennt, kann auch ausbrennen. Ich weiß das aus eigener Erfahrung. Ich brannte für meine Familie und für mein Agenturbüro. Nach dem Studium hatte ich eine kleine Firma gegründet, mit 27 Jahren geheiratet, vier Kinder großgezogen und versucht, mit Oma und Au-pair-Mädchen alles unter einen Hut zu kriegen.

 

Bewältigt habe ich alles - nur Zeit blieb mir keine, zumindest keine für mich. Das ist ja nun kein so seltenes Programm bei jungen Müttern: sie alle kämpfen darum, genügend Zeit für ihre Kinder und für den Job aufzubringen. Damals, in den achtziger Jahren, wurde zum ersten Mal über "Rabenmütter" gesprochen. Ich passte da ins Schema, jedenfalls für jene, die gerne Schubladen beschriften. Tatsächlich fühlte ich mich oft schlecht. Ich legte mich immer mehr ins Zeug, wirklich alles in der knappen Zeit perfekt zu machen. Ich ging bis an meine Grenzen, das schlechte Gewissen ging Huckepack. Die Kinder entwickelten sich prächtig, aber eines hatte ich im "Schnelldurchlauf" der Jahre übersehen: Es fehlten Zeit und Raum für mich.

Das wirkte sich letztlich auch auf unsere Ehe aus, die nicht hielt. Die Symptome habe ich damals noch nicht erkannt. "Das kommt selbst in den besten Familien vor", dachte ich. Das Prinzip meiner Generation "weitermachen, schneller werden, besser und erfolgreicher" hatte mich voll im Griff. Und schließlich musste ja auch das Haus abbezahlt werden, die Kinder hatten ihre Bedürfnisse. Und den Freunden in der Industrie ging es ja irgendwie auch nicht anders: Sie hatten in der Zwischenzeit im Rahmen ihrer Jobs die Welt schon mehrfach umkreist. Wir alle mussten da durch. Das Gesicht verlieren wollte keiner.

Irgendwann waren sie da, die Schmerzen. Akute Gallenkoliken, wie sich bald herausstellte. Ich ignorierte und bagatellisierte die körperlichen Symptome über Jahre, überspielte sie mit allerlei Medikamenten. Es muss einfach gehen, war die Devise, schlappmachen gilt nicht. Dann kam dieser Tag aller Tage, es war genau in der Woche vor Ostern 2003, alle Kinder waren verreist - und ich brach zusammen. Nur durch einen Zufall entdeckte mich ein guter Freund. Der Notarzt holte mich zurück und lieferte mich zur Notoperation ins Stuttgarter Marienhospital ein. Es war der Tag, der in meinem Leben eine deutliche Zäsur brachte. Seitdem gibt es für mich ein Davor und ein Danach.

Mit 52 nochmal von vorne beginnen

Der desolate Gesundheitszustand konnte nicht mehr überspielt werden. Ich brauchte fast zwei Jahre, um wirklich wieder gesund zu werden. Zu Beginn war ich sogar zum Laufen zu schwach, eine reaktive Depression kam dazu. Der "Ausfall" hatte brutale, vor allem auch existenzielle Folgen. Ich habe in tiefe finanzielle Abgründe geschaut und musste mich damit abfinden, mit 52 nochmals von vorne zu beginnen.

Heute nennt man Zusammenbrüche wie diese "Burnout", damals noch nicht, auch wenn es den Begriff in der Fachwelt schon länger gibt. Bereits in der Zeit meiner Rekonvaleszenz wurde mir mehr als bewusst: Jetzt musste sich radikal etwas in meinem Leben ändern. Die Erkenntnis allein ist allerdings nur der erste Schritt, erst in der Umsetzung beweist sich ihre Kraft. Ich stellte mir Fragen und war mir darüber klar, dass sie konsequent beantwortet werden müssen, in absoluter Offenheit, ohne Wenn und Aber, vor allem mir selbst gegenüber. Welche Mechanismen verbergen sich hinter einem Burnout? Wo und wie finde ich meinen Lebenssinn, meine tiefe Befriedigung? Wie lassen sich Auszeiten in ein aktives Leben integrieren, ohne das Gesicht zu verlieren, als nicht belastbarer Schwächling zu gelten?

Diese und viele andere Fragen beschäftigten mich so intensiv, dass ich Antworten finden wollte - nicht nur für mich, sondern auch für andere, denn immer mehr Menschen brennen in dieser Gesellschaft aus. Die Zahlen sind alarmierend. Laut einer Studie der Europäischen Beobachtungsstelle für berufsbedingte Risiken ist fast jeder vierte Berufstätige von totaler Erschöpfung betroffen, etwa 50 bis 60 Prozent aller Fehltage in Unternehmen sind auf Überbelastung zurückzuführen. Stressbedingte Ausfallkosten belaufen sich auf 80 Milliarden Euro pro Jahr.

"Am siebten Tage sollst du ruhen"

In meinen Anfangsrecherchen zum Thema Auszeit landete ich unweigerlich in der Bibel: Beim Sabbat und dem Modell "am siebten Tage sollst du ruhen". Dabei handelt es sich um eines der ältesten gelebten Rituale einer historischen Auszeit-Kultur. Es ist ein guter Ansatz, den Rhythmus zwischen Anspannung und Entspannung zu finden, gerade in einer Highspeed-Gesellschaft, welche die immerwährende Erreichbarkeit und Vernetzung als höchstes Ideal propagiert. Man muss also erfinderisch sein, dachte ich mir, und praktische Modelle entwickeln, die der gesellschaftlichen Intoleranz trotzen. Nur darüber reden allein war noch nie ein Lebenskonzept - man muss es auch wirklich tun. Zwei Grundsätze schälten sich dabei heraus. Es geht um die absolute Ehrlichkeit zu sich selbst. Und es geht um den Mut, den ersten Schritt zu tun in eine Richtung, die eine neue Auszeitqualität im eigenen Leben möglich macht.

So habe ich 2004 eine Organisation gegründet, die inzwischen als gemeinnützige Stiftung geführt wird. Sie ermöglicht geplagten Führungskräften als "Manager ohne Grenzen" eine Auszeit in Sozial- und Hilfsprojekten in benachteiligten Regionen dieser Welt. Wir unterstützen dort alle, die sich eigenständig entwickeln wollen, mit Management- und Businessknowhow: von einer Tee- und Kräuterteeproduktion mit Chepangs in Nepal, einem Waisendorf mit Tourismusbetrieb in Uganda, bis hin zu einer Kleiderproduktion in Peru. Mehr als 30 Projekte konnten so schon von unserer Arbeit profitieren. Die Führungskräfte geben dort ihr Wissen weiter und können im Rahmen dieser Projekte einen ganzen Batzen Selbstreflektion und Selbsterkenntnis mit zurückbringen.

Das hat auch mich verändert. Mein Alltag dreht sich heute vor allem um erfüllende Lebens- und Arbeitsgestaltung als beste Prävention für einen Burnout. Auszeiten sind mein Thema geworden. Dabei muss in vielen Fällen schlicht Geduld neu gelernt werden. Wir Gleichzeitigen sind es nicht mehr gewohnt, eines nach dem anderen zu tun - oder gar zu warten.

Zufriedene Mitarbeiter werden geschätzt

Es gibt viele Möglichkeiten, Auszeiten zu gestalten. Gleichgültig, ob sie kurz oder lange sind: sie sollten bewusst eingeplant werden. In Stille jeden Tag durch den Wald zu joggen ermöglicht neue Gedanken. Oder nur eine Haltestelle früher auszusteigen und heimzulaufen, das kann ungemein bereichernd sein. Die "Karriere" einmal zu unterbrechen zu Gunsten einer tiefen Zufriedenheit zahlt sich aus. So wurde kürzlich eine "Managerin ohne Grenzen" bereits während ihrer zweimonatigen Auszeit mit einer Beförderung belohnt. Als sie zurückkam, stand sogar der neue Geschäftswagen vor der Türe. Zufriedene und engagierte Führungskräfte und Mitarbeiter werden sehr geschätzt, sie sind heiß begehrt. Das erlebe ich immer häufiger.

Im Bewusstsein einer neuen Zeitqualität ist weniger manchmal mehr. Innere Antreiber zu entlarven kann eine sinnvolle Tätigkeit sein. Und nicht nur über Stress und Burnout zu reden, sondern eigene Auszeitgestaltungen so ernst zu nehmen wie die Karriere und den Erfolg. Meistens braucht man gute Begleiter, um auch den besten persönlichen Weg zu finden. Ich bin dankbar und glücklich, dass ich in der Zwischenzeit viele Menschen in diesem Prozess als Coach begleiten durfte. Täglich habe ich mehrere Anfragen. Das zeigt zwar die Dramatik der Lage, aber auch den aktuellen Trend der Rückbesinnung. Und es zeugt von viel Mut, das Leben neu anzupacken mit einer neuen Zeitqualität. Diese Menschen sind mir Spiegel und innere Reflexion zugleich.

In meiner bewussten Zeiterfahrung seit meinem Zusammenbruch hat sich viel gewandelt. Auch in der gesellschaftlichen Akzeptanz des Themas kann ich erste Anzeichen eines neuen Bewusstseins entdecken. Seit meinem Burnout sind acht Jahre vergangen, fast wie im Flug - aber auch mit viel Freude und Erfüllung. Ich bin sicher: wir brauchen noch ein bisschen Zeit, bis Auszeiten wirklich akzeptierte Phasen eines erfolgreichen Lebens sind.

Der Kalender hat Platz für spontane Treffen

Jetzt bin ich 60 und frage mich jeden Tag aufs Neue: Lebe ich das, was ich vermittle? Ich bin ehrlich: es gelingt mir zwar noch immer nicht perfekt - aber wenigstens immer besser. Ich lebe bescheiden und entdecke immer wieder neue Formen der Einfachheit. Ein Auto teile ich mit meinen Kindern. Ich fahre oft mit Bus und Bahn, gehe anders als früher auch gern zu Fuß. Die Wohnung ist nach dem Auszug der Kinder jetzt klein und angemessen. Größer, schneller, besser - das ist vorbei. Dafür hat mein Kalender noch Platz für spontane Treffen. Und manchmal bin ich kurz mal weg, und keiner merkt es wirklich. Irgendwann komme ich wie aus dem Nichts zurück und bin einfach wieder da.

Die Welt dreht sich weiter - und lässt sich gestalten. Das ist eine Erfahrung, die ich weitergebe an erschöpfte Manager. Viele von ihnen müssen raus, um wieder reinzukommen. Neulich schrieb einer nach seiner Auszeit als Manager ohne Grenzen: "In den Bergen des Himalaya habe ich gelernt, Kommunikation und Energie dosiert und bewusst einzusetzen. Heute kann ich mir Innenräume schaffen und Rückverbindungen mit meinen Erfahrungen in Nepal. Diese Erfahrungen atme ich in meinen Aktivitäten und Entscheidungen. Man muss nicht jeden Tag 100 E-Mails schreiben oder Powerpoint-Folien präsentieren, um glücklich zu sein."