Die Energiekrise hat einst die Zeitumstellung hervorgebracht. Ihr ursprünglicher Sinn ist längst widerlegt, doch alle Anläufe, sie abzuschaffen sind bisher gescheitert.

Korrespondenten: Knut Krohn (kkr)

Die Geschichte dreht sich in einer Zeitschleife. Aktuell streitet Deutschland über Tempolimits, autofreie Sonntage und die Zeitumstellung. Die Themen der Ölkrise in den 1970er Jahren melden sich zurück. Damals trafen die Politiker unpopuläre Entscheidungen, die das Land zumindest in Sachen Zeitumstellung bis heute in halbjährlichen Abständen erregen.

 

Auch jetzt werden am Wochenende wieder die Uhren um drei Uhr morgens um eine Stunde von der Sommerzeit auf die mitteleuropäische Zeit zurückgestellt. Langschläfer können sich freuen, denn sie können am Sonntag länger im Bett liegenbleiben.

Zumindest technisch keine Probleme

Zumindest technisch ist die Umstellung kein Problem mehr. Taktgeber für die Zeit sind in Deutschland die Atomuhren der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt in Braunschweig. Über Sender werden die Signale übertragen, durch die sich die Funkuhren automatisch an die Zeitumstellung anpassen. In Deutschland gibt es die Sommerzeit seit 1980. Seit 1996 stellen die Menschen in allen EU-Ländern die Uhren am letzten Sonntag im März eine Stunde vor und am letzten Oktobersonntag wieder eine Stunde zurück.

Man sollte davon ausgehen, dass sich die Menschen nach inzwischen über 40 Jahren an die Zeitumstellung gewöhnt haben – doch weit gefehlt. Nur wenige Dinge werden in Deutschland seit Jahrzehnten in schöner Regelmäßigkeit so emotional diskutiert. Von schweren psychischen Problemen wird nach der Zeitumstellung berichtet, von Niedergeschlagenheit, Schlafmangel und auch von Kühen, die keine Milch mehr geben. Weniger zart besaitete Zeitgenossen verorten solche Berichte ins Reich der Mythen.

Die erhofften Ziele nicht erfüllt

So einfach ist die Sachlage allerdings nicht, denn die Kritiker an der Zeitumstellung haben die Wissenschaft auf ihrer Seite. Da ist etwa die Tatsache, dass sie ihren ursprünglichen Zweck nicht erfüllt. Das Vorstellen der Uhr sollte im Frühjahr zum Energiesparen in der hellen Jahreszeit beitragen. Die Überlegung: Wenn sich der Tag um eine Stunde nach vorn verschiebt, wird weniger Strom verbraucht. Über Jahre wurden immer genauere Messungen angestellt, doch die Energiespareffekte sind praktisch nicht nachweisbar.

Und auch die gesundheitlichen Probleme sind nicht nur eingebildet. Laut einer aktuellen Umfrage der Krankenkasse DAK klagt jeder Dritte über körperliche oder psychische Probleme nach der Zeitumstellung. Mehr als drei Viertel derjenigen, die schon einmal Probleme nach der Zeitumstellung hatten, fühlen sich dabei schlapp und müde (81 Prozent). 69 Prozent haben Einschlafprobleme und Schlafstörungen, 41 Prozent können sich schlechter konzentrieren, und fast ein Drittel (30 Prozent) fühlt sich gereizt. Kein Wunder, dass nur noch jeder fünfte Befragte die regelmäßige Zeitumstellung für eine gute Idee hält.

Brüssel kümmert sich um die Zeitumstellung

Die ständige Kritik an der Zeitumstellung ist bis nach Brüssel gedrungen. In diesem Fall konnten die EU-Politiker endlich einmal ihre Volksnähe beweisen. Also wurde im Juli 2018 eine Umfrage in die Wege geleitet. Auf einem Portal konnte die Frage beantwortet werden, wie es mit der Sommerzeit weitergehen soll. Auf den ersten Blick war das Ergebnis eindeutig. 80 Prozent hatten sich dafür ausgesprochen, die Zeitumstellung zu Grabe zu tragen.

Professionelle Meinungsforscher schlugen allerdings die Hände über dem Kopf zusammen und zogen die Aussagekraft der Umfrage massiv in Zweifel. Nicht einmal fünf Millionen Menschen gaben damals ihr Votum ab – das sind etwa ein Prozent der Einwohner der Europäischen Union. Bemerkenswert war, dass mehr als drei Millionen Rückmeldungen aus Deutschland kamen. Der Streit um die Zeitumstellung scheint also eine Art „deutsches Problem“ zu sein. Ein wesentliches entspannteres Verhältnis zur Zeit scheinen die Italiener zu haben, wo gerade einmal 25 000 Menschen an der Umfrage teilnahmen. Zudem war die Personengruppe nicht repräsentativ, da sie nicht nach Schichten, Berufsgruppen, Geschlecht und Alter ausgesucht worden war. Es konnte also jeder seine Meinung sagen, der Lust hatte. Die Erfahrung zeigt aber, dass sich dann vor allem jene Menschen melden, die etwas ändern wollen.

„Die Menschen wollen das, wir machen das“

All diese fundamentalen Einwände waren EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker allerdings egal. „Die Menschen wollen das, wir machen das“, fällte der Mann aus Luxemburg ein einsames Machtwort und setzte damit einen EU-typischen, unendlich langsamen und komplizierten Mechanismus in Gang. Studien wurden erstellt, öffentliche Konsultationen durchgeführt, das Europäische Parlament äußerte sich umfänglich und dann passiert – nichts! Denn die EU-Kommission kam 2019 nach eigenen Angaben zu dem „Schluss, dass die Mitgliedstaaten am besten in der Lage sind, selbst zu entscheiden, ob sie Sommer- oder Winterzeit dauerhaft beibehalten wollen“.

Nicht nur Spötter vermuteten damals, dass es sich bei dieser Begründung um ein Begräbnis erster Klasse handeln würde. Tatsächlich hat sich bis heute nichts getan und die 27 Länder streiten darüber, wie ein Wegfall der Zeitumstellung genau umgesetzt werden könnte. Im Lauf der Debatten kristallisierte sich auch heraus, dass manche EU-Staaten grundsätzlich gegen das Ende der Zeitumstellung sind. Der Grund: käme die dauerhafte Sommerzeit, würde etwa in Portugal im Winter die Sonne erst gegen zehn Uhr aufgehen. Einigen sich aber alle auf Winterzeit, würde es in Warschau im Sommer schon um drei Uhr hell.

Sorge um das Ansehen der EU

Für die Grünen-Abgeordnete Anna Cavazzini ist der ewige Gezerre mehr als ein Ärgernis und sie sorgt sich um das Ansehen der Union. „Die EU müsse „abliefern, was sie anfängt“, sagt die Politikerin und fordert deshalb, dass die Europäische Kommission mit einer ausführlichen Folgeabschätzung neuen Schwung in die Debatte bringt.

Solch eine neuerliche Folgeabschätzung könnte allerdings ein Ergebnis mit sich bringen, das manchen Menschen nicht gefällt. Inzwischen haben sich viele damit angefreundet, an lauen Sommernächten bis spät draußen zu sitzen und nach getaner Arbeit die letzten Sonnenstrahlen zu genießen. Inzwischen gibt es allerdings genügend einschlägige Forschungen zum Thema und die meisten Wissenschaftler hierzulande fordern die ganzjährige Rückkehr zur Normalzeit – also der Winterzeit. So argumentiert zumindest die Deutsche Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin. Das Tageslicht und darin wiederum insbesondere der Blauanteil des Sonnenlichts sei der „Hauptzeitgeber“ für die sogenannte innere Uhr des Menschen und maßgeblich für den gesunden Wach-Schlaf-Rhythmus. All dies wird den Experten zufolge am besten durch die Winterzeit gewährleistet.

In Brüssel scheinen sich die Verantwortlichen allerdings mit dem Schwebezustand in Sachen Zeitumstellung abgefunden zu haben. Und auch Anna Cavazzini muss einräumen, dass Europa angesichts von Pandemie, Krieg in der Ukraine und Klimakrise im Moment ganz andere Probleme hat. Das Thema wird also noch einmal vertagt – auf Wiedervorlage im nächsten Frühjahr.