Flüchtlinge, die keine sind, und ein falscher Bahn-Sprecher, der sichauf rechtsextremistischen Demos rumtreibt: dpa-Faktenchecker Stefan Voß kennt die Maschen der Wahrheitsverdreher – und hat wertvolle Tipps.
Stuttgart - Es ist ein ständiges Hase-und-Igel-Rennen, sagt Faktenchecker Stefan Voß: Die Maschen der Nachrichtenfälscher werden immer ausgefeilter, aber auch die Werkzeuge, mit denen die seriösen Medien Schritt halten. Was seine Arbeit spannend macht und welche dreisten Fälschungen ihm schon begegnet sind, erzählt Voß unserer Zeitung.
Herr Voß, Sie sind Verification Officer der Nachrichtenagentur dpa. Was ist Ihr Job?
Der Titel ist sehr neudeutsch. Unser Job ist das Überprüfen von Nachrichten. Durch das Internet und die sozialen Netzwerke gibt es ja viele neue Quellen, und wir helfen unseren Journalistenkollegen dabei, hier Falsches von Wahrem zu unterscheiden.
Ist das nicht ohnehin ihre Aufgabe?
Ja, Journalisten sind schon seit vielen Jahrzehnten „Faktenchecker“. Sie veröffentlichen keine Information über ein Verbrechen, ohne vorher zum Beispiel bei der Polizei nachzufragen. Wir wollen, dass sie diese wichtige Aufgabe – die verlässliche und gute Recherche – auch unter den sich ständig verändernden Bedingungen im Netz erfüllen können. Es ist wichtig, immer auf Augenhöhe zu bleiben. Dazu mache ich Schulungen, helfe aber auch bei kniffligen Fällen.
Wie ist die Idee entstanden, ein Verification Office einzurichten?
Das war 2017. Wir hatten die US-Wahl mit Donald Trump, bei der von Manipulationen im Wahlkampf die Rede war, es gab die Macron-Leaks, und die Bundestagswahl stand an. Fake-News machte als Begriff die Runde, und die Unsicherheit war groß. Da hat die dpa beschlossen: Wir brauchen einen Experten, das geht nicht nebenbei – und meine Stelle wurde geschaffen. Letztlich war die Bundestagswahl aber in Sachen Fakes eher ruhig.
Sie mögen den Begriff Fake-News nicht?
Nein, denn das sind keine „News“, keine echten Nachrichten. Es sind Manipulationen und Fehlinformationen.
Melden Sie Fakes dann über die Nachrichtenagentur?
Das melden wir nur selten im dpa-Basisdienst. Der Grund ist, dass die falsche Information, weil sie zunächst spannender klingt, oft besser hängen bleibt als die Aufklärung über den Fake. So besteht die Gefahr, dass wir trotz unserer Aufklärung am Ende zur Verbreitung der Falschmeldung beitragen. dpa hat eine riesige Reichweite.
Wenn Sie es nicht als Nachricht verbreiten, was machen Sie dann mit Ihrem Wissen?
Wir arbeiten mit Facebook zusammen. Wenn jemand eine Behauptung verbreiten möchte, die wir als falsch erkannt und markiert haben, passieren zwei Dinge: Zunächst bekommt er, bevor er sie verschickt, einen Hinweis, dass der Inhalt nicht stimmt – und was daran falsch ist. Entscheidet er sich trotzdem, die falsche Behauptung zu verbreiten, so kann er das tun. Die Reichweite seines Posts wird aber deutlich eingeschränkt. Er läuft bei seinen Freunden und Bekannten deutlich weiter unten im Profileingang ein, so dass er nicht gleich ins Auge springt.
Warum nicht gleich löschen?
Es ist ja nicht generell verboten, Falschbehauptungen zu verbreiten. Wir sorgen mit unseren Faktenchecks nur dafür, dass sich die Internetnutzer auf der Grundlage von Tatsachen ihre Meinung bilden können. Unsere Faktenchecks sind niemals der Grund dafür, dass der Plattformbetreiber Beiträge löscht. Wir beobachten allerdings, dass immer mehr Nutzer ihre von dpa als Fake entlarvten Posts selbst löschen. Vielleicht fühlen sie sich ertappt.
Wann sollten Internetsurfer besonders wachsam sein?
Fakes werden selten über lange Texte verbreitet, in der Regel sind es manipulierte Bilder oder Videos mit falschen Angaben. Vorsicht ist bei allem geboten, was Ängste und andere Emotionen besonders anspricht. Migration ist ein Riesenthema. Neulich wurde ein Foto mit sehr muskulösen, dunkelhäutigen Menschen gezeigt – mit der Behauptung, das seien Gerettete von Sea-Watch-Käpitänin Carola Rackete. Das Foto hatte aber mit dem Schicksal von Flüchtlingen gar nichts zu tun: Es tauchte bereits 2017 in einem englischsprachigen Blog zu den Rechten Homosexueller auf. Auch andere Reizthemen sind für Fakes anfällig, etwa Klimawandel, Tierschutz und Impfen.
Warum setzen Menschen solche Falschinformationen in die Welt?
Manche User verbreiten solche Dinge, weil sie es nicht besser wissen – um andere Menschen zu informieren, zu warnen oder auch um ihre Unzufriedenheit auszudrücken. Aber es gibt auch Menschen, die ganz gezielt und wissentlich falsche Informationen verbreiten. Manche verdienen an den Klicks Geld. Andere wollen ihre Ideologie oder Weltsicht verbreiten.
Inwiefern?
Ziel ist oft eine gesellschaftliche oder politische Einflussnahme. Mit den Falschbehauptungen soll Vertrauen in Institutionen erschüttert und der gesellschaftliche Konsens geschwächt werden, um selbst mit den eigenen Zielen und Ideen mehr Einfluss nehmen zu können. Für diese Manipulatoren ist schon viel erreicht, wenn sie über solche „Bauchthemen“ Zweifel streuen können.
Was kann ein ganz normaler Mensch denn gegen so etwas machen, zum Beispiel ein Schüler oder eine Lehrerin?
Wenn ich zum Beispiel aufgefordert werde, etwas zu teilen, sollte ich mich fragen: Was ist das Ziel des Posts, lasse ich mich damit vor einen Karren spannen? Und: Ist das Foto oder Video, das ich teilen soll, glaubwürdig?
Und dann?
Es gibt ein wichtiges Tool beim Browser Google Chrome: die Foto-Rückwärtssuche. Sie wird inzwischen von vielen Journalisten genutzt. Nehmen wir mal an, die Redaktion sieht im Netz ein Foto von angeblichen Ausschreitungen in Degerloch vor der Stadtbahn. Wenn man bei Chrome mit der rechten Maustaste auf das Bild klickt und „mit Google nach Bild suchen“ wählt, dann durchsucht der Browser das Netz nach dem Foto. Findet man das gleiche Bild dann in einem Zeitungsartikel von 2017, dann weiß man, dass es sich um einen Fake handelt.
Und sonst?
Es hilft, sich zu fragen: Was sehe ich auf dem Bild oder im Video? Ich sage immer: Schaut auf den Rand. Ist es Sommer und da steht ein Baum ohne Blätter, dann ist die Sache schon klar. Auch kann man über die geografischen Daten und den Sonnenstand viel herausfinden, wenn man sich die entsprechende Gegend auf Google Streetview anschaut und zum Beispiel auf die Schatten im Bild achtet. Bei kurzen Videofilmen sollte man sich immer die Frage stellen, ob die Szene wirklich alles Wichtige zeigt. Was geschah vor der Aufnahme, was danach? Oft werden Ereignisse aus dem Zusammenhang gerissen.
Gibt es einen Fund, auf den Sie stolz sind?
Neulich gab es die Seite Deutsche-bahn.ag, die aussah wie eine Bahn-Seite und auf der – nach dem schrecklichen Verbrechen mit dem Achtjährigen in Frankfurt – angeblich ein neues Sicherheitskonzept vorgestellt wurde. Indirekt wurde behauptet, durch mehr Ausländer auf den Bahnhöfen sei das Gefahrenrisiko deutlich gestiegen. Unser Team hat das Gesicht des angeblichen Bahn-Sprechers mit dem Snipping Tool ausgeschnitten und über eine russische Suchmaschine mit sehr guter Bildersuche laufen lassen. Und siehe da: Das Gesicht wurde bei einer Demo der rechtsextremen Identitären Bewegung wiedergefunden. Der Demonstrant hatte die gleichen zwei Pigmentflecken an der Schläfe und das gleiche Muttermal am Auge. Das war ein Supertreffer.
Aber werden die Methoden der Manipulatoren nicht immer ausgefeilter?
Doch, aber auch die Möglichkeiten, Fakes aufzustöbern. Es ist ein ständiges Hase-und-Igel-Rennen. Wir wissen nicht, ob wir alles finden, aber wir schulen ständig nach, damit uns so viel wie möglich ins Netz geht.
Das kostet doch Zeit und Geld. Lohnt sich dieser Aufwand denn?
Das ist eines der entscheidenden Felder der Zukunft. Wir als Journalisten sind dafür prädestiniert. In den Zeiten von Social Media braucht unsere Gesellschaft Profis, die Fälschungen erkennen und somit helfen, die Verbreitung von Lügen zu unterbinden.