Tanz ist ihr Leben: die Erste Solistin am Stuttgarter Staatsballett, Alicia Amatriain. In einem Gespräch erzählt sie über das tägliche Üben, ihre Lieblingsrolle und Deutschland.

Stuttgart - Frau Amatriain, wie sind Sie zum Ballett gekommen?

 
Ich war damals fünf, und meine Eltern haben gearbeitet. Da sie niemanden für mich zum Aufpassen hatten, sagte meine Mama: Okay, die Kleine muss irgendwas nach der Schule machen. Sie hätten mich natürlich auch in den Englischunterricht oder ins Turnen schicken können. Obwohl meine Mama nicht sehr viel über Ballett wusste, hat sie mich dorthin geschickt. Damals hätte ich nie gedacht, dass es später mal mein Beruf wird.
Und heute? Was gefällt Ihnen an ihrem Beruf besonders?
Mir gefällt erstens, dass ich mein Hobby zu meinem Job gemacht habe. Zweitens finde ich es sehr schön, dass ich die Menschen die graue Welt draußen für zwei bis drei Stunden vergessen lassen kann.
Wie ist das Gefühl, wenn man auf der Bühne steht und man Applaus bekommt?
Ich glaube, der Applaus ist eine schöne Ergänzung, ein wunderschönes Gefühl und man bekommt es nirgendwo anders. Für mich war das aber nie das Wichtigste. Eher dass die Welt anders wird, wenn ich auf der Bühne bin. Ich vergesse alles um mich herum, wenn ich auf der Bühne bin. Wenn ich dann jemanden mit meinem Auftritt wirklich berühren kann, dann ist es für mich gelungen, dann bin ich zufrieden.
Haben Sie eine Lieblingsrolle und welche Rolle finden Sie besonders schwer?
Meine Lieblingsrolle ist die Tatjana in Onegin, weil sie meine erste große Rolle war und weil ich mit ihr gewachsen bin. Sie ist für mich das Vorbild für viele andere Rollen. Schwer fand ich die Kitri aus Don Quixote. Ich musste mir selber beweisen, dass ich sie tanzen kann. Für mich war eine Herausforderung, diesen Charakter zu finden. Ich bin zwar Spanierin, habe aber nicht diesen Olé-Charakter, von dem alle denken, dass jeder Spanier ihn hat.
Wie gehen Sie mit Kritik innerhalb der Compagnie um?
Kritik ist immer gut. Man muss das Positive daraus nehmen und davon lernen. In der Compagnie gibt es Korrekturen von Ballettmeistern und vom Chef und das ist auch sehr wichtig, um sich weiter zu entwickeln. Sonst werden wir nie besser.
Das heißt Sie lernen immer wieder neu?
Ja und das ist immer das Beste, wenn man eine Rolle tanzt, die man schon tausendmal getanzt hat. Man fängt wieder von vorne an. Man kann viele Sachen neu lernen, die man in der Rolle oder in den Schritten früher nicht gesehen hat.
Haben Sie trotz Ihrer vielen Bühnenerfahrung noch Lampenfieber?
Ja, ich bin immer nervös vor den Aufführungen. Wenn nicht, dann stimmt etwas nicht. Aufgeregt bin ich besonders vor Stücken, die zwar technisch nicht ganz so anspruchsvoll sind, aber von der Aura, der Atmosphäre und dem, was man in dem Stück bringen soll. Zum Beispiel das Kammerballett von Hans van Manen gehört dazu. Ich mache dann einfach die Augen zu, atme tief durch, gehe auf die Bühne und tanze. Ich hab ja keine Alternative …. (lacht)
Wie oft trainieren Sie in der Woche und wie viele Stunden?
Montag bis Samstag, wenn sonntags eine Vorstellung ist, Sonntag auch. Es geht normalerweise von 10.30 Uhr bis 14 Uhr, eine Stunde Mittagspause und dann von 15 Uhr bis 18.30 Uhr. An Tagen mit Vorstellungen trainieren wir von 10.30 Uhr bis 14 Uhr - und abends dann die Vorstellung.
Wie fand es Ihre Familie, als Sie nach Deutschland gegangen sind?
Meine Mama dachte, ich komme nach einem Jahr zurück. Das war vor 20 Jahren. Am Anfang war es schwierig, auch für mich. Dann wurde es leichter. Wenn ich heute etwas ändern könnte, würde ich meine Teenagerjahre mit meiner Familie verbringen.
Hatten Sie auch schon mal Verletzungen, die schlimmer waren?
Ja, ich hatte Ende 2007 eine schwere Schulterverletzung. Man musste zweimal den Vorhang wegen mir schließen, da die Verletzung mir Schmerzen bereitete. Das war nicht gerade schön und noch dazu in meiner Lieblingsrolle Tatjana. Die Schulter wurde operiert und ich musste sechs Monate pausieren. Die Chancen standen 50:50, dass ich wieder tanzen kann. Zum Glück hatte ich viele Menschen hinter mir, die mich unterstützt haben. Ich habe im Laufe der Jahre, die ich hier bin, vieles gelernt. Eines davon ist, wie wichtig Familie sein kann. Nicht nur deine eigene, sondern die Menschen, die zu deiner Familie werden. In dem Sinne habe ich hier in Stuttgart viel Glück gehabt.