Krisen, Katastrophen und Kriege – die Welt scheint voll von schlechten Nachrichten zu sein. Doch ist dieser Eindruck korrekt? Warum es wichtig ist, mit negativen Schlagzeilen richtig umzugehen, und wie das gelingt.

Leserredaktion : Kathrin Zinser (zin)

Kürzlich erschien auf einem österreichischen Newsportal eine Leserumfrage: „Wird die Welt immer brutaler beziehungsweise unsicherer?“ 83 Prozent derjenigen, die abgestimmt hatten, klickten „Ja, von Tag zu Tag“ an. Gut möglich, dass der Artikel über eine rätselhafte Enthauptung, in den die Umfrage eingeblockt war, zu diesem Eindruck beigetragen hat. Wirft man einen Blick auf die täglichen Schlagzeilen, dann scheint er sich nur weiter zu bestätigen: Überall Krisen, Katastrophen, Elend. Schlechte Nachrichten versetzen den Menschen in Stress, erklärt die Neurowissenschaftlerin Maren Urner in ihrem Buch „Schluss mit dem täglichen Weltuntergang“.

 

Im Dauerstress der Nachrichten

Da heutzutage ständig schlechte Nachrichten auf uns einprasseln, könne dies dazu führen, dass wir uns im Dauerstress befänden – mit negativen körperlichen und psychischen Folgen. So konnten Wissenschaftler zeigen, dass der Konsum negativer Nachrichten die Probanden schon nach kurzer Zeit ängstlicher und trauriger machte. Sie tendierten danach sogar dazu, ihre persönlichen Probleme als deutlich größer und bedrückender einzuschätzen, berichtet Urner.

„Wissenschaftliche Untersuchungen der letzten Jahrzehnte zeigen, dass Medienberichte bei uns oft genau das Gegenteil ihres eigentlichen Zwecks hervorrufen: Statt uns zu empören und unsere Wut in Energie und gesellschaftliches Engagement umzuwandeln, sind wir durch sie gestresst und überfordert, im schlimmsten Fall gar deprimiert“, so Urner. Menschen bekämen angesichts der Schreckensnachrichten das Gefühl, selbst nichts ausrichten zu können. „Im Extremfall führt der Fokus aufs Negative dazu, dass Menschen komplett aufhören, Nachrichten zu konsumieren. Aus der informierten Bevölkerung wird so also eine Bevölkerung, die gelernt hat, hilflos zu sein“, warnt Urner. Doch wer sich zurückzieht, der kann sich auch weniger an gesellschaftlichen Prozessen beteiligen – dabei braucht die Demokratie Partizipation. Was also kann helfen?

Nur ein Teil der Wirklichkeit

Zunächst hilft es sich klarzumachen, dass negative Nachrichten zwar ein Teil der Wirklichkeit sind, aber niemals die ganze Realität abbilden. Die Journalistin Ronja von Wurmb-Seibel vergleicht sie in ihrem Buch „Wie wir die Welt sehen“ mit einem Fehlerbericht und erinnert daran, nach welchen Kriterien Nachrichten häufig ausgewählt werden: Geschieht das Ereignis in der Nähe? Ist es ungewöhnlich? Konfliktreich? Hat es weitreichende Konsequenzen? Der Satz „Only bad news are good news“ („Nur schlechte Nachrichten sind gute Nachrichten“) gilt noch immer vielen Medienschaffenden als Standard.

Lebenswichtige Reaktion

Das passt zu der Tatsache, dass Menschen in der Regel stärker auf schlechte Nachrichten reagieren. Evolutionär betrachtet ist dieses Verhalten sinnvoll – nur wer mitbekommen hatte, dass um die Ecke der Säbelzahntiger lauerte, konnte sich davor schützen. Negative Informationen konnten so das Überleben sichern, wohingegen eine gute Nachricht selten bedrohlich war. Deshalb schenken wir schlechten Nachrichten mehr Beachtung, deshalb verkaufen sich diese einfach besser. Denn die wertvollste Ressource im 21. Jahrhundert, so schreibt es Maren Urner, ist unsere Aufmerksamkeit.

Es gibt positive Entwicklungen

Vor diesem Hintergrund wundert es nicht, dass positive Entwicklungen, die sich langsam und eher „im Stillen“ vollziehen, eher selten Schlagzeilen machen. Obwohl es sie gibt. So ist laut der Unesco die Lese- und Schreibfähigkeit der Jugend weltweit im Vergleich zu vor 50 Jahren von 13 Prozent auf 91 Prozent gestiegen. Die weltweite Kindersterblichkeit hat sich dem Kinderhilfswerk Unicef zufolge seit dem Jahr 2000 halbiert und einen historischen Tiefstand erreicht. Wenn man Menschen diese Zahlen schätzen lässt, so wie es der Arzt und Initiator der Gapminder-Stiftung, Hans Rosling, in seinem Ignoranztest getan hat, liegen die meisten weit daneben – weil sie den Zustand der Welt als viel schlechter einschätzen. Das schier unbegrenzte Informationsangebot führe paradoxerweise dazu, dass die Bevölkerung ein verzerrtes, zu negatives Weltbild habe, konstatiert Urner.

Die Formel „Scheiße plus X“

Sollten Medien also nur noch über Gutes berichten? Doch keine Journalistin und kein Journalist möchte sich dem Vorwurf der Schönfärberei aussetzen. Schließlich gehört es zur Aufgabe des Journalismus, auf Missstände hinzuweisen. Die Lösung sieht Ronja von Wurmb-Seibel in der Formel „Scheiße + x“, wie sie es nennt. So könne man sich bei jedem Problem fragen: Was jetzt? Was ist ein erster Schritt hin zu einer Lösung, zu einer Verbesserung, was ist das x? Was tun andere, um damit umzugehen? Was hat schon einmal geholfen? Von Wurmb-Seibel und Urner zitieren Studien, wonach Menschen sich informierter, interessierter und optimistischer fühlten, nachdem sie einen Artikel gelesen hatten, der nicht nur ein Problem, sondern auch mögliche Lösungsansätze behandelte. Zumal der Druck auf Verantwortliche freilich wächst, wenn klar wird, dass es Lösungsmöglichkeiten gibt und die Dinge nicht bleiben müssen, wie sie sind.

Raus aus der Ohnmacht

Handlungsfähig werden – das ist wohl das beste Rezept gegen das Gefühl der Ohnmacht angesichts schlechter Nachrichten. So kann man sich immer fragen, was man selbst tun kann, um die Lage besser zu machen – und wenn es nur im Kleinen ist. Es geht darum, optimistisches Denken zu trainieren, wobei Optimismus „heißt, im Angesicht von Problemen daran zu glauben, dass sich die Situation verbessern lässt und dass wir selbst beeinflussen können, ob und wie sehr das tatsächlich geschieht“, so Ronja von Wurmb-Seibel.

Ebenfalls wichtig: Die Dinge richtig einordnen. Ein Terroranschlag ist selbstverständlich ein furchtbares Ereignis. Gleichwohl ist die Gefahr, Opfer eines solchen Anschlags zu werden, verschwindend gering. Laut den Autoren Cord Balthasar und Thorsten Wiese ist es 17 600-mal wahrscheinlicher, infolge eines Herzinfarkts zu sterben. Zusammenhänge helfen im Umgang mit Schreckensnachrichten.

Bewusst abschalten

Ein weiterer Tipp, den sämtliche Experten geben: smartphonefreie Zeiten. Bewusst abschalten, einen Ausgleich finden. Hilfreich ist es auch, mit anderen über Nachrichten sprechen, die belasten. Das helfe dabei, sie gemeinsam zu verarbeiten, rät der Medienwissenschaftler Stephan Weichert, Mitbegründer des Vocer-Instituts für Digitale Resilienz. Im Austausch mit anderen gelingt es dann auch leichter, das x zu finden, etwas Gutes im Schlechten zu sehen.

Mag es auch noch so klein sein, es ist ganz sicher da.