53 Schulklassen aus Stuttgart und Region setzen sich sechs Wochen mit der StZ und dem Thema Journalismus auseinander. Eindrücke vom Start der Aktion.

Stuttgart - Maria Stuart kniet vor Königin Elisabeth. Die Hände hat sie vor ihrem Gesicht gefaltet und fleht: „Bitte, rette mich, Elisabeth, ich will doch nur frei sein!“ Die Maria Stuart des Wirtemberg-Gymnasiums in Untertürkheim trägt eine verwaschene Jeanshose, fängt manchmal während der Proben an zu kichern und blickt hinauf zu Elisabeth, die mit verschränkten Armen auf einem großen Stapel Zeitungen steht.

 

Dutzende Ausgaben der Stuttgarter Zeitung sind rechts und links der Bühne in der Schul-Cafeteria zu kleinen Mauern aufgetürmt. Von heute an beschäftigt sich die Klasse 9c des Wirtemberg-Gymnasiums nicht mehr nur mit Schillers Drama, sondern bekommt außerdem – wie 53 andere Schulen in Stuttgart und der Region – bei der Aktion „Zeitung in der Schule“ sechs Wochen lang täglich die StZ ins Klassenzimmer geliefert. Tageszeitung und Journalismus stehen auf dem Stundenplan.

Auftritt Lord Burleigh: der Berater von Elisabeth will den Tod von Maria Stuart, sie soll geköpft werden. Einen Bodyguard und einen Pressesprecher hat er auch mitgebracht. Der Sprecher drängt sich vor den Lord, schiebt sich vor die Mikrofone der Medienvertreter: „Tut mir leid, Lord Burleigh wird nicht mit Ihnen sprechen, er kann jetzt wirklich nichts dazu sagen, halten Sie bitte Abstand.“

Die Schüler der Klasse 9c haben sich so kurz nach den Osterferien schnell in ihre Rollen eingearbeitet: Elisabeth, Maria, Lord Burleigh, Pressesprecher und Journalisten. Ihr Deutschlehrer Thilo Keyser hat die Regie übernommen: „Den Lord Burleigh haben die Schüler als den typischen schlechten Politiker enttarnt, er spricht nie direkt mit dem Volk, behauptet aber immer, ganz genau zu wissen, was das Volk will, und fordert, dass Maria geköpft wird.“

Maria Stuart im Licht der Presse

In einer Szene in Schillers Drama redet sich Maria Stuart vor der Königin in einem Park um Kopf und Kragen. „Stellt euch das einmal vor: in einem Park! Da wären doch heute überall die Paparazzi auf den Bäumen“, sagt Thilo Keyser zu seinen Schülern. „Es gibt zwei Grundhaltungen in dem Drama: die von Maria und die von Elisabeth. Wer ist die rechtmäßige Königin? Wer muss sterben?“, fragt der Lehrer.

Zwei Schülergruppen haben sich hinter die aufgetürmten Zeitungsmauern gestellt: die schottische und die englische Presse. Um die eine Wahrheit geht es, und um die Frage danach, ob es sie überhaupt gibt. Darum, wie die Zeitungen sie ans Licht bringen und verschiedene Perspektiven aufzeigen können. Das alles will der Deutschlehrer Thilo Keyser zusammen mit seinen Schülern und einem modernen Theaterstück als Auftakt des Zeitungsprojekts an seiner Schule heraus finden. „Auch im Stück von Schiller geht es um Perspektiven – meine Schüler sollen erkennen, welche Funktion die Zeitung haben kann, nämlich die, alle Standpunkte aufzuzeigen. Sie sollen lernen, dass man immer selbst mitspielt, sobald man liest“, meint Keyser.

Elisabeth, gespielt von der 15-jährigen Ilayda Erciyas, erhebt drohend die Faust gegen Maria Stuart. Schüler aus anderen Klassen gehen zufällig an den Proben in der Cafeteria vorbei: „Was macht denn ihr da?“ ruft jemand. Die Königin wendet nur leicht den Kopf: „Deutsch-Unterricht, Mann!“

Die Zeitung als Riesenschmetterling

In der Jörg-Ratgeb-Schule ist es dunkel, aus dem Off trägt eine Stimme das Gedicht „Zeitung am Kaffeetisch“ von Johannes Kühn vor. Es handelt von der Zeitung als einem Riesenschmetterling, der einen in die Welt hinaus trägt. Von Australien bis ins Königshaus. Licht an. Hundert Schüler der Jörg-Ratgeb-Schule in Neugereut sitzen im Saal. Die Metapher der Zeitung als ein Schmetterling mutet dabei ein wenig träumerisch an, denn für fast alle Schüler ist dieser Schmetterling inzwischen nicht mehr aus Zeitungspapier. Das Internet gehört fest zu ihrem Alltag.

Die Schüler Bilal Atintas, Abel Wolday, Robert Fritz und Serhat Durgun rappen ein paar Zeilen: „Viele sprechen von der Wahrheit, doch das, was mir klar scheint ist, dass die Stuttgarter Zeitung am Start bleibt.“ Die vier Jungs haben einen Rap für die Zeitung geschrieben, die sie zum ersten Mal in den kommenden sechs Wochen lesen werden. „Mein Vater hat ein Abo, da lese ich schon mal mit, vor allem die Schlagzeilen auf der ersten Seite“, sagt der 16-jährige Robert Fritz. Ein eigenes Abo hat keiner der Schüler, am Kiosk würden sie sich keine Zeitung kaufen. Sie erklären sich das so: „Unsere Eltern sind noch mit der Zeitung aufgewachsen, wir mit dem Internet“, sagt Fritz. Das nutzen sie nun auch ganz selbstverständlich, wenn sie sich informieren wollen: Sie klappen morgens den Laptop auf oder rufen die Apps auf ihrem Smartphone ab. Andere schauen morgens fern oder verlassen sich auf Facebook. Artikel werden dort gepostet und Informationen ausgetauscht.

Gedanken darüber, woher sie ihre Informationen beziehen, machen sie sich durchaus. Wikipedia habe nicht immer Recht, und wenn er etwas bei Rtl.de lese, dann schaue er vorsichtshalber noch mal bei Spiegel Online nach, sagt der 14-jährige Mourad Cheikh, den „famous sites“, wie er sie nennt. Im Rap heißt es dazu: „Man hört sehr viele Geschichten, wir sind für die, die richtig berichten“. Früher griff jeder am Kaffeetisch seinen Teil der Zeitung, heute laden sich Jugendliche spezielle Apps zu Formel Eins, Fußball oder Prominenten auf das Handy. „Wenn es mich selbst betrifft, dann lese ich auch die Zeitung“, sagt der 17-jährige Robin Ludwig. Als das Haus seiner Eltern gebrannt hat, konnte man das am nächsten Tag in der Zeitung lesen. „Die Stuttgarter Zeitung ein Wegweiser? Durch Lesen wird man auf einem Weg weiser.“

Die Waldorfschüler glauben an den Qualitätsjournalismus

Die Zeit mit der Zeitung will die Rektorin Sabine Klass dazu nutzen, die Schüler zum Nachdenken darüber anzuregen, wo man sich informiert, was gesicherte Informationen und was eine neutrale Berichterstattung sind. Das könne man schließlich auch im Internet gebrauchen.

In der Freien Waldorfschule am Kräherwald glauben die Redakteure der Schülerzeitung auf jeden Fall an die Zukunft von Qualitätsjournalismus – und an die auf Papier gedruckte Information. Zwar kann jeder Internetnutzer in Onlinenetzwerken seine Meinung verbreiten, einen Blog betreiben oder Videos ins Netz stellen. „Doch auf Facebook äußern sich die meisten Nutzer vor allem über sich selbst, und das lesen dann ja auch meistens nur deren Freunde“, sagt der 16-jährige Maximilian Reinold, „außerdem glaube ich einer Zeitung eher als einer Webseite“. Mit gedrucktem Papier erreiche man zudem ganz andere Lesergruppen als im Internet.

Vor dem Schüler liegt ein knallgelbes Heftchen, es heißt „ebbesNews“ und ist die Schülerzeitung der Freien Waldorfschule am Kräherwald, wo Reinold in die zehnte Klasse geht. Im Mai wird „ebbesNews“ beim Schülerzeitungswettbewerb der Bundesländer in Berlin ausgezeichnet. Ein Interview mit Ministerpräsident Winfried Kretschmann begeisterte die Jury. Maximilian Reinold und seine Mitschülerin Julia Ebner hatten es im Rahmen des StZ-Projekts „Zeitung in der Schule“ im vergangenen Jahr geführt und einen Tag tatkräftig in der StZ-Redaktion mitgearbeitet.

Von der Redaktionssitzung in der Schule über das Pressehaus bis in die Villa Reitzenstein und von da aus als prämierter Schülerzeitungsredakteur in die Hauptstadt: so schnell kommt man im Journalismus herum. Doch die Nachwuchsjournalisten mussten, um bei der StZ-Aktion „Schüler machen Zeitung“ mitmachen zu können, auch etwas tun: nämlich zu aktuellen Themen eine pointierte Meinung formulieren. Julia Ebner und Maximilian Reinold ist dies vergangenes Jahr gelungen. Auch jetzt sind wieder die am „Zisch-Projekt“ beteiligten Jugendlichen aufgefordert, sich mit ihren Beiträgen um einen Tag im Pressehaus und den Einsatz als StZ-Schülerreporter zu bewerben.

Die 19-jährige Julia Ebner ist davon überzeugt, dass Journalismus wichtig ist. „Unsere Leser sollen nach der Lektüre weiterdenken“, sagt die Abiturientin. Vielleicht führt sie ihr Weg später weiter in Richtung Journalismus. Es hat Julia Ebner gefallen, beim Workshop im Pressehaus und im Interview mit dem Ministerpräsidenten hinter die Kulissen zu schauen: „Man versteht dann ein bisschen besser, wie die Dinge funktionieren.“