Mehr Medienerziehung ist nötig, sagt der Kabarettist Florian Schroeder. Wer weiß, wie Internet und soziale Medien funktionieren, fühlt sich weniger ausgeliefert.
Schüler und Studenten sind im Umgang mit den sozialen Medien oft reflektierter und kritischer als die mittelalten und älteren Menschen, hat Schroeder bei vielen Veranstaltungen bemerkt.
Herr Schroeder, über Winnetou wird gerade viel gestritten, Kritiker werfen Karl May „kulturelle Aneignung“ vor, der Ravensburger Verlag hat ein Buch zum neuen Film zurückgezogen. Haben Sie selbst Karl May gelesen? Und würden Sie Kindern Winnetou vorlesen?
Die Winnetou-Bücher sind ganz an mir vorbeigegangen, einige Filme habe ich im Fernsehen gesehen. Meine Lieblingssendungen waren „Ein Fall für TKKG“, „Fünf Freunde“, später „Knight Rider“ und „Baywatch“ – das nur wegen der komplexen Drehbücher, nicht wegen Pamela Anderson. Dennoch würde ich aber dafür werben, dass man Winnetou liest und anschaut und sich mit Kindern zusammen mit dieser Figur auseinandersetzt.
Neue Ghettoisierung
Wie kommt es, dass das Thema kulturelle Aneignung so wichtig geworden ist?
Das hat mehrere Ursachen. Eine Generation ist an die Lautsprecher getreten, die zu Recht einfordert, dass eine weiße Mehrheitsgesellschaft nicht länger über Menschen mit Migrationshintergrund, mit anderer Hautfarbe etc. spricht, sondern mit ihnen, ihnen zuhört und ihre künstlerischen Beiträge stärker in den Blick nimmt. Wenn eine junge Generation auf den Plan tritt, dann tut sie das aus Sicht der Älteren manchmal auch zu laut und schrill. Das gehört dazu und sorgt doch zugleich für ein Problem: Wenn das Ziel des Fortschritts darin besteht, dass es wieder von Hautfarben abhängt, wer welche Musik spielen oder welche Filme zeigen darf, schlägt der Fortschritt um in sein Gegenteil und trägt selbst zu einer neuen Segregation bei: Kunst von Person of Color nur performt von Person of Color – das wäre dann eine neue Ghettoisierung.
Opfermythen beliebt
Zur Spaltung der Gesellschaft haben in den vergangenen Jahren vor allem Corona-Leugner und Putin-Versteher beigetragen. Wie kommt es zu solchen Entwicklungen?
Corona-Leugner und Putin-Mitgefühlpopanze haben vieles gemeinsam, beide verleugnen die Wirklichkeit. Sie verlangen Selbstbestimmung und Freiheit, wissen aber gleichzeitig nicht wirklich, wie sie damit eigentlich umgehen sollen. In ihren Verschwörungsmythen machen sie ständig eine höhere Macht oder Autorität aus, die angeblich die Welt einschränkt, so dass sie sich als Opfer fühlen können. Bei Corona waren es Bill Gates, die Rothschilds oder die Juden allgemein. Putin-Versteher werfen dem Westen vor, Russland degradiert und das Gefühl der Minderwertigkeit gegeben zu haben. Diejenigen, die sich jetzt zu Verteidigern Russlands aufschwingen, richten sich ein in diesem Opfermythos. Wie die Vorkämpfer der Freiheit in einem repressiven Staat putinscher Provenienz überleben wollen, muss wohl ihr Geheimnis bleiben.
Große Empörungsbereitschaft
Welche Rolle spielen die sozialen Medien bei diesen Prozessen?
Anders als früher kann jetzt jeder Mensch senden und einen Pranger aufstellen. Dadurch entsteht eine gewisse Dynamik der Entrüstung. Denn die Algorithmen sorgen dafür, dass das, was ohnehin schon polarisiert, zugespitzt formuliert und laut ist, nach oben gebracht wird. Die Folge ist eine Verkürzung der Wahrnehmung. Wir lesen nur noch Überschriften und nehmen Bilder, Screenshots etc. auf. Unser intuitives, emotionales System wird sofort in Beschlag genommen. Das führt nicht unbedingt dazu, dass wir schlechter denken, aber es führt zu einer größeren Aufgeregtheit und Empörungsbereitschaft, weil auf Empörung sofort Gegenempörung folgt.
Widersprüche aushalten
Welche Folgen hat das für die Gesellschaft?
Am schwierigsten ist es für diejenigen, die sich nicht wehren können, etwa, weil sie nicht die nötige Reichweite oder Medienkompetenz haben. Ich glaube aber auch, dass es uns aufgrund der Dynamisierung schwerer fällt, länger bei einem Gedanken zu bleiben, sich Fragen zu stellen, die nicht in Ja oder Nein beantwortbar sind, sondern die Rätsel aufgeben, in denen wir gezwungen sind, Widersprüche auszuhalten. Bei Corona zeigte sich, dass manche Menschen schwer damit umgehen konnten, dass es keine gesicherten Antworten gibt, sondern sich ständig neue Fragen stellten, auf die es dann auch noch widerstreitende Antworten geben konnte, die gleichzeitig auftraten. In dieser ohnehin überschnellen, überkomplexen Zeit wächst vielen alles über den Kopf. Statt bedacht die Prozesse und ihre Unbeantwortbarkeit zu beobachten, entwickelten einige die Haltung: Die Politiker, Wissenschaftler etc. spinnen ja sowieso, was die labern interessiert uns nicht.
Mehr Medienerziehung
Wie schafft es die Gesellschaft, da wieder herauszukommen?
Wir brauchen mehr Medienerziehung. Schüler und Erwachsene sollten verstehen, wie das Internet funktioniert, was die sozialen Medien sind und wie sie funktionieren, was Algorithmisierung heißt, welche Dynamiken es da gibt. Denn wir erleben hier, wie in anderen Bereichen auch, eine deplatzierte Zuspitzung: auf der einen Seite eine Dämonisierung des Internets - es ist böse, gefährlich, wir müssen uns und unsere Kinder davor schützen. Auf der anderen Seite ein Internetpositivismus à la FDP, Digitalisierung ist geil, mega, und wir müssen noch digitalisierter werden, denn das ist das Reich der Freiheit. Wenn wir zurückkehren würden in einen Graubereich, in dem die Gefahren und die ungeheuren Chancen wahrgenommen werden, dann wäre viel gewonnen. Solange wir uns nur der Panik- und Bewunderungs- Dynamik überlassen, wird sich nicht viel tun.
Grenzen verwischen
Während des Corona-Lockdowns hat sich gezeigt, dass es bei der Digitalisierung große Unterschiede zwischen den Schulen gibt.
Es geht nicht in erster Linie um die Ausstattung. Wichtig ist zu verstehen, was Medien überhaupt sind: Bücher, Zeitungen und Zeitschriften, Fernsehen, Radio, Internet, Menschen - als Künstler bin ich ebenfalls ein Medium. Diese Vermittlung findet kaum statt, weil man meint, das erkläre sich von selbst oder da müsse jeder seine eigenen Erfahrungen machen.
Schüler fragen häufig, was Journalisten von Influencern unterscheidet.
Eine hochintelligente Frage. Influencer tun das Gegenteil von dem, was Journalisten tun. Sie verwischen die Grenzen zwischen Information und Meinung, Werbung und Journalismus. Ich habe viel Vertrauen in die nächste Generation. Ich erlebe die Schüler und Studenten im Umgang mit den sozialen Medien oft reflektierter und kritischer als die mittelalten und älteren Menschen. Ich denke, wir Älteren sollten uns ändern, statt die Jungen aufzufordern, das zu tun.
Abgründe zeigen
Wie kann ein Kabarettist dazu beitragen?
Indem ich den Leuten einen Spiegel vorhalte. Ich sage nicht einfach, die da oben sind schuld oder korrupt – das ist billig. Ich bin Anwalt des Publikums, und in meiner Bühnenfigur zeigen sich die Abgründe von uns allen im Raum. Das kann zu einer anderen Form der Reflexion führen, weil ich mich ertappt fühle und mit meiner dunklen Seite konfrontiert sehe.
Gehört wieder mehr Theater in die Schulen?
Ja, unbedingt. Ich hatte als Schüler in Lörrach eine hervorragende Theaterpädagogin, und ich habe dort mehr gelernt als in manchen Fächern, weil wir Stücke selbst gemacht, improvisiert haben. Das ist eine essenzielle Entwicklungsmöglichkeit, intellektuell und körperlich. Da ansetzen, wo das Fragezentrum von Schülern ist.
Grenzen der Kunstfreiheit
Dürfen Kabarettisten denn alles sagen?
Es gibt einen Unterschied zwischen Kunst- und Meinungsfreiheit. Die Kunstfreiheit erlaubt, Dinge zu sagen, die von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt ist. Als Kunstfigur tue ich Dinge, die ich privat nicht tun würde. Wir müssen aber aufpassen, dass die Kunstfreiheit nicht missbraucht wird - wenn etwa Rechtsextremisten Galgen mit Politikern als Satire deklarieren, hat das mit Kunst und nichts zu tun.
Ihr Wunsch an die Kultusministerin?
Mehr Risiko wagen, Schülern mehr Selbstbestimmung zutrauen und noch mehr zuhören.
Künstler und Provokateur
Person
Florian Schroeder, 43, ist Kabarettist, Autor und Moderator. In der Theater-AG an seiner Schule in Lörrach habe er mehr gelernt als in manchen Fächern, sagt er.
Beruf
Derzeit tourt er mit seinem Programm „Neustart“. Am 21. September tritt er im Theaterhaus Stuttgart auf, weitere Termine im Südwesten folgen. Im vergangenen Jahr veröffentlichte er sein Buch „Schluss mit der Meinungsfreiheit! Für mehr Hirn und weniger Hysterie“.