Am 24. November sind es auf den Tag genau 74 Jahre, nachdem der Stuttgarter Garry Fabian und seine Eltern nach Theresienstadt deportiert wurden. Wie durch ein Wunder konnte die Familie das Lager nach der Befreiung gemeinsam wieder verlassen.

Möhringen - Am 24. November sind es auf den Tag genau 74 Jahre, nachdem der Stuttgarter Garry Fabian und seine Eltern nach Theresienstadt deportiert wurden. Wie durch ein Wunder konnte die Familie das Lager nach der Befreiung gemeinsam wieder verlassen. An diesem Novembermontag 2016 ist Fabian wieder in Deutschland und sitzt vor 75 Jugendlichen in der Anne-Frank-Schule Möhringen, um seine Erfahrungen mit ihnen zu teilen. 27 Stunden Flug hat der mittlerweile 82-Jährige auf sich genommen, denn nach dem Krieg ist er ans andere Ende der Welt ausgewandert: Australien.

 

Die lange Zeit in einem englischsprachigen Land hat das Deutsch in seinem Gedächtnis etwas zurückgedrängt, so dass er zwischendurch nach Worten sucht oder seinen Nebensitzer nach der Übersetzung fragt. Dennoch ist es in dem Raum voller Zehntklässler komplett ruhig, während Fabian von seiner Vergangenheit erzählt.

Kindheit auf der Flucht

Die ersten beiden Jahre seines Lebens wohnte Fabian mit seinen Eltern in Stuttgart in einem Haus oberhalb der Weinsteige. Mit den Nazis an der Macht wurde die Situation für Juden immer schwieriger und so entschieden sich die Eltern, in die damalige Tschechoslowakei auszuwandern. Doch auch hier konnten sie nicht bleiben. Als das Land 1938 von Deutschland annektiert wurde, versteckte sich die Familie in Prag.

„Wie haben Sie das damals erlebt?“, fragt einer der Schüler nach. „Ich war ja erst vier Jahre alt“, antwortet Fabian, „aber ich weiß noch, dass wir gerade zu Mittag gegessen haben, als mein Vater hereinkam und meinte, die Deutschen besetzen das Land, wir müssen weg.“ Ihm als kleinen Jungen habe es überhaupt nicht gefallen, sein Mittagessen zurückzulassen, um zu fliehen. Die politischen Hintergründe habe er noch nicht erfassen können.

In Prag lebte die Familie weitere vier Jahre, bis sie schließlich nach Theresienstadt deportiert wurde. Fabians Großeltern wurden ein halbes Jahr vor ihnen hierhergebracht – doch sie waren bereits gen Osten in eines der Vernichtungslager abtransportiert worden, wo sie ermordet wurden.

Wer überlebte, hatte reines Glück

Dass Theresienstadt im Gegensatz dazu ein Durchgangslager war, betont Fabian mehrfach. Es war mit etwa 40 000 Menschen belegt. Wenn neue Insassen gebracht wurden, musste Platz geschaffen werden und die Menschen wurden – wie Fabians Großeltern – zu Tausenden weiter in die Vernichtungslager abtransportiert. Wer bleiben durfte und wer ging, war reines Glück. Von den 15 000 Kindern, die in Theresienstadt lebten, kamen nur 120 mit dem Leben davon. Unter ihnen Garry Fabian. Ob er Freunde im Lager gehabt habe, möchte ein Schüler wissen. „Man machte keine engen Bekanntschaften dort“, antwortet ihm Fabian. Die Leute seien heute hier und morgen wieder weg gewesen. Was danach mit ihnen geschehen sei, habe er erst später erfahren.

Am Ende der 90 Minuten applaudieren die Schüler lange. „Ich finde es beeindruckend, dass er die lange Reise auf sich genommen hat“, findet die 17-jährige Ronja. „Und dass er so offen über seine Erlebnisse sprechen konnte“, ergänzt die 15-jährige Leyla. Ihr eigener Opa sei über 90, aber rede nicht mit ihr über diese Zeit. Dass das Thema die Jugendlichen auch aktuell beschäftigt, spiegelt sich in einer der letzten Fragen wieder: „Glauben Sie, so etwas könnte heute wieder passieren?“ Fabian hat keine klare Antwort darauf. Bei dem Rechtsruck, den man auf der ganzen Welt beobachten könne, finde er es sehr wichtig, darüber zu sprechen. Den Deutschen hat er aber verziehen:„Man kann nicht die Sünden der Väter auf ihre Kinder schieben.“