1990 entstand aus seiner unglaublichen Geschichte ein Kinofilm: Sally Perel gab sich als Hitlerjunge aus, um der Ermordung zu entgehen. Wie ihm das gelang, schilderte er im Hospitalhof.

Stuttgart - Es ist der Zwiespalt zwischen Leben und Glaube, zwischen den letzten Worten der Mutter und denen des Vaters, die über Sally Perels Leben entschied. Der Vater, ein tiefgläubiger Mann, sagte dem Sohn 1939 beim Abschied im polnischen Lodz, er solle niemals verleugnen, dass er Jude ist. Die Mutter äußerte nur einen Satz: „Du sollst leben“.

 

Der 93-jährige Israeli berichtete auf dem Podium im evangelischen Bildungszentrum Hospitalhof von dem Moment, in dem er sich bekennen musste. Deutsche Soldaten richteten 1941 im weißrussischen Wizebsk ihre Waffen auf den 16-jährigen Jungen. Sie fragten ihn, ob er Jude sei. Die Wehrmacht war nach dem Überfall auf die Sowjetunion am 22. Juni 1941 auf die Stadt vorgerückt. Wizebsk war bereits nach Lodz das zweite Exil für Perel. Seine Familie war schon in den 30er Jahren aus Deutschland vertrieben worden. Sonderkommandos der SS erschossen 1941 Juden in jeder von der Wehrmacht eingenommen sowjetischen Stadt. Perel nahm sich im Angesicht dieser Tatsachen die Worte seiner Mutter zu Herzen. Er log.

Er lebte unter Nazis

Es folgte eine der wohl ungewöhnlichsten Begebenheiten des Zweiten Weltkriegs. Der im niedersächsischen Peine geborene Salomon Perel gab sich vor der Wehrmacht als „Volksdeutscher“ Josef Perjell aus. Er verdiente sich Lorbeeren als Übersetzer an der Ostfront. Ein nationalsozialistischer Hauptmann war so begeistert von Perel, dass er ihn adoptieren wollte. Er arrangierte die Aufnahme des Jungen in ein Eliteinternat der Hitlerjugend in Braunschweig – nur unweit von Perels Geburtsstadt Peine. Sally Perel narrte fortan die Nazis. Als von Antisemiten unerkannter Jude sprach er mitten unter ihnen ihrer angeblich wissenschaftlich fundierten Rassenideologie Hohn.

Ein Leben und Überleben wie es wohl kein zweites gibt. Die polnische Filmregisseurin Agnieszka Holland verfilmte 1990 Perels Leben unter dem Titel „Hitlerjunge Salomon“. Perel wurde weltbekannt.

Der Zuhörersaal ist voll

Der Israeli kommt seitdem immer wieder nach Deutschland, um seine außergewöhnliche Geschichte zu erzählen. Besonders läge ihm der Austausch mit der deutschen Jugend am Herzen, erzählte er im Hospitalhof. Die Reihen waren bei dem von der Friedrich-Naumann und der Reinhold-Maier-Stiftung organisierten Vortrag voll besetzt. Perel wurde mit Applaus begrüßt. Er bedankte sich bei seinen Zuhörern mit dem hebräischen Friedensgruß: Shalom.

Die Moderatorin Monika Renninger sprach vom „Geschenk der Zeitzeugenschaft“, das Perel seinem Publikum mache. Für viele Zuhörer könnte es aufgrund des immer größeren Abstandes zu den Ereignissen und dem fortschreitenden Alter derjenigen, die sie durchlitten haben, tatsächlich die letzte Gelegenheit gewesen sein vom Holocaust aus dem Mund eines Überlebenden zu hören. In der Natur der Sache lag, dass sich den Zuhörern Grauenvolles offenbarte.

Die SS vergaste Perels Mutter

Perel berichtete vom Schicksal seiner Mutter, die ihm mit ihren beherzten Spruch, Mut zum Überleben gab. Die SS erstickte sie in einem Gaswagen. Der Vater, der ihm riet, seinen Glauben nicht zu verleugnen, starb im Ghetto an einer Krankheit. Die Schwester, die bei den Eltern blieb, musste auf einem Todesmarsch vor den vorrückenden Sowjets zu Fuß nach Deutschland. Als ihre Füße sie nicht mehr trugen, erhielt sie einen Kopfschuss, wie ihm berichtet wurde.

Perel erzählte auch von den vier Jahren, die er auf dem Naziinternat in Todesangst verbracht hat. Er schilderte, wie die äußerste Gefahr, in der er schwebte, seine Persönlichkeit spaltete. Um überleben zu können habe er den Hitlerjungen Josef „Jupp“ Perjell nicht nur gespielt. Er wurde zu ihm. „Ich hatte Tränen in den Augen, als wir 1943 im Internat die Nachricht von der deutschen Niederlage in Stalingrad gehört haben“, erzählte er seinen Zuhörern. Perel schilderte, wie er selbst der Faszination erlag, die der Nationalsozialismus gerade auf junge Männer ausübte. Als er wie andere deutsche Minderjährige als letztes Aufgebot gegen die Alliierten zum „Volkssturm“ eingezogen wurde, habe er wie alle anderen für das untergehende Dritte Reich gekämpft. „Bis auf den Judenhass erschien mir damals alles logisch am Nationalsozialismus“ meinte er.

Perel appelliert an Junge

Perel forderte seinen jungen Zuhörer auf, kritisch zu sein, wenn ihnen ein Überschwang an Vaterlandsliebe gepredigt wird. „Das darf man nicht so einfach hinnehmen. Da steckt immer etwas dahinter.“ Er komme gerne nach Deutschland, sagte er. Dennoch formulierte er eine Erwartungshaltung an das Land, das einst Hitler beherrscht hat. Es gebe nationalistischen Bewegungen wieder auf der ganzen Welt und sogar schon in den Regierungen mancher Länder. „Aber wenn sich auch in Deutschland so etwas entwickelt, ist das bedenklich. Da schaue ich genau hin“, sagte er.