Wie lebt es sich als Zwangsarbeiterkind, das adoptiert wurde, eine schöne Kindheit erlebt, dann aber doch von der Suche nach der leiblichen Mutter getrieben wird? Anton Model erzählt Rumold-Realschülern in Kernen von seinem bewegenden Schicksal.

Rems-Murr: Simone Käser (sk)

So ganz geheuer ist es Anton Model wohl nicht, im Rampenlicht zu sitzen. Andererseits will der 79-Jährige seine Geschichte auch erzählen und bekannt machen. Und so nimmt er, begleitet von einem Sohn, vor zwei neunten Klassen der Rumold-Realschule in Kernen Platz und berichtet von seinem Lebensweg und Schicksal als Zwangsarbeiterkind, dem viele Jahrzehnte mit der leiblichen Mutter geraubt wurden. Damit beschert der Zeitzeuge den Realschülern einen berührenden Geschichtsunterricht, der einmal mehr zeigt, welch ungeheuerliches Leid der Nationalsozialismus über Menschen gebracht hat.

 

Anton Models Mutter wird mit 14 Jahren zur Zwangsarbeit verpflichtet

Denn die Mutter von Anton Model, Warga Taran, war im Juni 1942 im Alter von 14 Jahren von den nationalsozialistischen Besatzern aus ihrem Wohnort Woronowka in der heutigen Ukraine zur Zwangsarbeit auf einen Bauernhof am Bodensee verschleppt worden, in Viehwaggons. Dort wurde sie mit gerade mal 15 Jahren schwanger vom Hofbetreiber, was schwer bestraft wurde. Doch sie hatte Glück und bekam Hilfe. Dennoch musste sie nach ihrer Befreiung im April 1945 ohne ihren als staatenlos geltenden Sohn zurück in die sowjetische Heimat. Ihr Baby kam mit anderen Zwangsarbeiterkindern in ein Heim in Markdorf und wurde später zur Adoption freigegeben. Irgendwann erfuhr Model davon, dass er adoptiert wurde, und nach jahrelanger Suche gelang es ihm, mithilfe eines polnischen Saisonarbeiters seine leibliche Mutter ausfindig zu machen.

Mit dem Verein „Geraubte Kinder“ setzt sich Model für Entschädigung ein

Zusammen mit dem Verein „Geraubte Kinder“ setzt sich Anton Model dafür ein, dass sein Schicksal und das vieler weiterer Kinder von Zwangsarbeiterinnen der NS-Zeit anerkannt wird und sie eine Entschädigung vom deutschen Staat erhalten. Das Zeitzeugengespräch von Anton Model über sein Schicksal wurde von der Bürgerstiftung Kernen unterstützt und von der Rumold-Realschule, der IG Erinnerungsort Zwangsarbeit und der Allmende Stetten organisiert.

Deshalb war auch Eberhard Kögel vom Verein Allmende Stetten am Freitag mit dabei, er führte das Gespräch mit Anton Model und ordnete für die Schüler hin und wieder ein geschichtliches Ereignis richtig ein. Model war für die Veranstaltung, die mit Fotos angereichert war, extra vom Bodensee angereist, wo sein Leben an Silvester 1943 begann und wo er noch immer – mittlerweile mit der Familie auf einem Aussiedlerhof – wohnt. „Nationalsozialismus und Zwangsarbeit sind ein wichtiges Thema. Deshalb haben wir den Sohn einer Zwangsarbeiterin aus der ehemaligen Sowjetunion eingeladen, der viel berichten kann“, sagte Eberhard Kögel und forderte Anton Model dann auch gleich mal auf, sich vorzustellen und zu erzählen.

Und das tat der 79-Jährige und fing erst mal mit einem schönen Ereignis an: Im Jahr 1969 heiratete er und wurde im Laufe der Jahre Vater von vier Kindern und Opa von sechs Enkeln. Seit 1996 wohnt er mit gleich mehreren Familienmitgliedern auf besagtem Aussiedlerhof. Er selbst war immer ein Einzelkind – bis zu dem Zeitpunkt, als er erst seinen leiblichen Vater und dann seine leibliche Mutter wiederfand – was ihm gleich mehrere Halbgeschwister brachte. „Mit allen verstehe ich mich gut. Und wir alle, ich und meine Kinder, haben engen Kontakt. Gerade telefonieren wir wegen des Krieges auch sehr oft, und meine Gedanken sind bei meinen Halbgeschwistern“, erzählt Anton Model.

Doch aufgewachsen ist er in einer ganz anderen Welt, nämlich als Adoptivkind der badischen Familie Model, Obst- und Weinbauern in Hagnau. „Ich hatte eine glückliche Kindheit, und mir fehlte es an nichts.“ Zumindest so lange nicht, bis dem Zwölfjährigen ein Freund über die Gerüchte erzählte, seine Mutter sei schon viel rumgekommen. „Da dachte ich mir, meine Mama ist Bäuerin, die war noch nirgends. Da fingen die Zweifel an, aber ich habe das lange für mich behalten und nicht weiter geforscht“, erzählt Model.

Eines Tages fasste Model sich ein Herz und fand heraus, dass er adoptiert war

Doch eines Tages fasste er sich ein Herz, durchsuchte die Schubladen der Eltern und fand alles: sämtliche Adoptivunterlagen und den Namen seine Mutter. Das war 1983. Doch danach dauerte es nochmals zehn Jahre, mit zahlreichen Briefen und Suchanträgen, bis Model seine leibliche Mutter schließlich im Jahr 1993 endlich in die Arme schließen konnte. Schon zuvor suchte er erst einmal erfolgreich nach seinem leiblichen Vater – einem Bauern aus dem Hinterland des Bodensees. Model nahm Kontakt auf und lernte seinen Vater schließlich 1984 kennen.

Und auch wenn der Vortrag teils stockend war, und Model auch mal unsicher in seinen Aufschrieben blätterte, spätestens als er mit gebrochener Stimme von der Reaktion seines Vater und vom Treffen mit seiner Mutter berichtete, hingen die Schüler an seinen Lippen und stellten viele Fragen – über das Finden der Mutter zum Beispiel: Anton Models polnischer Erntehelfer Bogdan war ein treuer Freund und reiste extra zweimal in die Ukraine, um Woronowka, den Heimatort von Models Mutter, zu suchen. Bei seinem zweiten Besuch fand Bogdan sie tatsächlich. Als er ihr berichtete, dass ihr Sohn lebe und sie suche, sei Warga Taran überwältigt gewesen. „Sie fiel in Ohnmacht“, sagte Anton Model mit tränenerstickter Stimme und entschuldigte sich dann gleich bei den Schülern: „Bei dem Thema packt es mich halt manchmal.“