Seine mit Pfeil und Bogen, Macheten und Schrotflinten ausgerüsteten Kämpfer könnten es notfalls auch mit den 1600 Soldaten der französischen Eingreiftruppen aufnehmen, versichert Vizechef Azounou. Als einer der Knaben Wegzoll von Volker Rath fordert, wird ihm in unmissverständlichen Worten klargemacht, dass er die Absperrung unverzüglich öffnen soll. Der Nasenspraykrieger gehorcht – dunkelhäutigere Menschen hätten das kaum überlebt.

 

  Die nächsten Dörfer liegen fast alle ausgestorben an der Straße: Sämtliche Bewohner der grasbedeckten Hütten sind in den Busch geflohen. In Odakete hat sich Krankenpfleger Michel Makupa erst gestern wieder aus dem Wald gewagt, in dem er sich neun Monate lang mit seiner Frau und seinen zwölf Kindern versteckt gehalten hatte – zwei seiner Kinder sind im Busch gestorben. Unterdessen suchten die Séléka-Rebellen das Dorf und dessen Krankenstation heim: Dort auf dem Boden liegen zahllose zerbrochene Ampullen; das Motorrad, der Kühlschrank und selbst das Fieberthermometer sind geklaut. Die Station gehöre als Satellit zum Hospital in Bossambele, erzählt Makupa: Auch die dortige Klinik funktioniere nicht mehr. „Hier sind wir richtig“, sagt Rath.  

Die französischen Soldaten können nur sporadisch helfen. Foto: AP
Doch erst einmal soll es nach Bossangoa gehen – der Stadt, in dem der Wahnsinn am schlimmsten tobte. Auf dem Weg dorthin halten uns zwei Mütter mit ihren kranken Kindern an: Auf der Haut eines der Jungen haben sich bereits Hungerödeme gebildet. Volker Rath weiß zwar nicht, ob in Bossangoa überhaupt noch ein Krankenhaus funktioniert, doch zurückgelassen wären die Kinder in wenigen Tagen tot, sie haben keine andere Chance.   Tatsächlich findet sich in der Provinzstadt ein von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen geführtes Hospital – der einzige Ort in Bossangoa, in dem sich die verfeindeten Lager überhaupt noch begegnen können. Auf dem Gelände der katholischen Kathedrale leben mehr als 40 000 Christen zusammengepfercht unter Planen – auf dem Areal der Liberté-Schule haben sich mehr als 7000 Muslime in Sicherheit gebracht. Statt von Mahlzeiten scheinen sich die Bewohner der beiden Lager von Berichten über Gräueltaten der Gegenseite zu ernähren.

Priester Jerôme Dansona sagt: „Es wird lange dauern, bis der Hass verebbt und die Wunden heilen.“ Falls das überhaupt jemals geschehe. Jahrzehntelang hätten sie friedlich zusammengelebt, meint Imam Semail Nave. Auch wenn der muslimischen Minderheit bestimmte Geschäftsbereiche vorbehalten blieben – sie wurden vor allem als Händler und Transporteure geduldet. Dagegen reservierte sich die christliche Mehrheit die öffentlichen Ämter. Der Sieg der Séléka-Rebellen eskalierte schließlich die Lage. Auch wenn die einheimischen Muslime mit dem Treiben der von ausländischen Haudegen dominierten Truppe nicht unbedingt einverstanden gewesen seien, so hätten sie doch nichts dagegen unternommen, erklärt Pfarrer Dansona.

Die Hauptverkehrsader zwischen Bangui und dem Nachbarland Kamerun ist fast ausgestorben. Bald sind auch die ersten verbrannten Hütten zu sehen, später folgt ein Dorf, dessen entlang der Straße aufgereihten Geschäfte alle ausgeplündert und angezündet wurden. So drastisch habe er sich das nicht vorgestellt, sagt Rath, der schon in Somalia und dem Kongo gearbeitet hat.   Zweifellos zählt auch die Zentralafrikanische Republik zu den Härtefällen. Die ehemalige französische Kolonie kam in ihrer 53-jährigen Geschichte nie zur Ruhe: Das Land erlebte zehn Umstürze und wurde von Psychopathen wie dem Menschen fressenden Kaiser Bokassa regiert. Von anderen Unruhestaaten wie dem Kongo, dem Tschad und Sudan umgeben, wird die Republik von ausländischen Rebellen destabilisiert: Der muslimischen Rebellentruppe Séléka, die im März 2013 den christlichen Präsidenten François Bozizé außer Landes jagte, hatten sich zahlreiche tschadische und sudanesische Haudegen angeschlossen. Die sind selbst nach den Worten des Séléka-Generalsekretärs Moustapha Saboun nur schwer zu kontrollieren.

Die Flüchtlingslager werden größer. Foto: AP
Ihrer ruchlosen Herrschaft ist es zu verdanken, dass sich Mitte des vergangenen Jahres als Reaktion christliche Milizen – die sogenannten Anti-Balaka – formierten: Die verbreiten nun ihrerseits Terror.   Die erste Straßensperre von Anti-Balaka-Milizionären erreicht Volker Rath nach knapp zwei Fahrstunden. Um die schmächtigen Körper der meist minderjährigen Jungs hängen Amulette, in die Pülverchen eingenäht sind, andere haben sich Behälter von Nasenspray an die Brust geheftet oder Frauenperücken übergestülpt. Ein 16-jähriger „Kommandant“ trägt auf seinen Ohren eine kaputte Freisprechanlage fürs Telefon zur Schau, sein Adjutant hat sich ein hölzernes Antilopengeweih auf die Stirn gebunden. Die Accessoires verliehen seinen Kämpfern „magische Kräfte“, wird uns der Vizechef der Truppe, der 26-jährige „Generalmajor“ Hyppolite Azounou, später verraten: Wie das genau funktioniert, sei ein „militärisches Geheimnis“.

„Es wird lange dauern, bis der Hass verebbt“

Seine mit Pfeil und Bogen, Macheten und Schrotflinten ausgerüsteten Kämpfer könnten es notfalls auch mit den 1600 Soldaten der französischen Eingreiftruppen aufnehmen, versichert Vizechef Azounou. Als einer der Knaben Wegzoll von Volker Rath fordert, wird ihm in unmissverständlichen Worten klargemacht, dass er die Absperrung unverzüglich öffnen soll. Der Nasenspraykrieger gehorcht – dunkelhäutigere Menschen hätten das kaum überlebt.

  Die nächsten Dörfer liegen fast alle ausgestorben an der Straße: Sämtliche Bewohner der grasbedeckten Hütten sind in den Busch geflohen. In Odakete hat sich Krankenpfleger Michel Makupa erst gestern wieder aus dem Wald gewagt, in dem er sich neun Monate lang mit seiner Frau und seinen zwölf Kindern versteckt gehalten hatte – zwei seiner Kinder sind im Busch gestorben. Unterdessen suchten die Séléka-Rebellen das Dorf und dessen Krankenstation heim: Dort auf dem Boden liegen zahllose zerbrochene Ampullen; das Motorrad, der Kühlschrank und selbst das Fieberthermometer sind geklaut. Die Station gehöre als Satellit zum Hospital in Bossambele, erzählt Makupa: Auch die dortige Klinik funktioniere nicht mehr. „Hier sind wir richtig“, sagt Rath.  

Die französischen Soldaten können nur sporadisch helfen. Foto: AP
Doch erst einmal soll es nach Bossangoa gehen – der Stadt, in dem der Wahnsinn am schlimmsten tobte. Auf dem Weg dorthin halten uns zwei Mütter mit ihren kranken Kindern an: Auf der Haut eines der Jungen haben sich bereits Hungerödeme gebildet. Volker Rath weiß zwar nicht, ob in Bossangoa überhaupt noch ein Krankenhaus funktioniert, doch zurückgelassen wären die Kinder in wenigen Tagen tot, sie haben keine andere Chance.   Tatsächlich findet sich in der Provinzstadt ein von der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen geführtes Hospital – der einzige Ort in Bossangoa, in dem sich die verfeindeten Lager überhaupt noch begegnen können. Auf dem Gelände der katholischen Kathedrale leben mehr als 40 000 Christen zusammengepfercht unter Planen – auf dem Areal der Liberté-Schule haben sich mehr als 7000 Muslime in Sicherheit gebracht. Statt von Mahlzeiten scheinen sich die Bewohner der beiden Lager von Berichten über Gräueltaten der Gegenseite zu ernähren.

Priester Jerôme Dansona sagt: „Es wird lange dauern, bis der Hass verebbt und die Wunden heilen.“ Falls das überhaupt jemals geschehe. Jahrzehntelang hätten sie friedlich zusammengelebt, meint Imam Semail Nave. Auch wenn der muslimischen Minderheit bestimmte Geschäftsbereiche vorbehalten blieben – sie wurden vor allem als Händler und Transporteure geduldet. Dagegen reservierte sich die christliche Mehrheit die öffentlichen Ämter. Der Sieg der Séléka-Rebellen eskalierte schließlich die Lage. Auch wenn die einheimischen Muslime mit dem Treiben der von ausländischen Haudegen dominierten Truppe nicht unbedingt einverstanden gewesen seien, so hätten sie doch nichts dagegen unternommen, erklärt Pfarrer Dansona.

Bossangoa sei einigermaßen versorgt, sagt ein Koordinator der Ärzte ohne Grenzen, wohingegen das Hospital in Bossambele verwaist sei. Also auf in die knapp 150 Kilometer entfernte Provinzstadt, die weitgehend entvölkert ist: Die Mehrheit der Bevölkerung hält sich im Busch versteckt. Der Klinikchef hat sich in die Hauptstadt abgesetzt, im Krankenhaus selbst versuchen ein paar seit Monaten nicht mehr bezahlte Krankenschwestern, den Schein der Normalität zu wahren. Der Kreißsaal ist leer, der OP liegt seit Dezember brach. In den Regalen der Apotheke kann man die Medikamente zählen. In der Notaufnahme wird gerade ein brüllender Junge behandelt, dessen Arm verbrüht ist. Da keine Zinksalbe vorhanden ist, wird die Wunde mit einem schwachen Antiseptikum behandelt. „Das wird sich vermutlich entzünden“, sagt Volker Rath. Und dann?

Die neue Präsidentin soll das Land befrieden. Foto: AFP
Cap Anamur will das Hospital und dessen Satelliten wieder ins Laufen bringen. Wenn alles gutgeht, wird man hier im März wieder verbrannten Kindern helfen können – und den Tausenden, die von Parasiten und der Malaria geschwächt aus dem Busch gekrochen kommen.  

Auf dem Rückweg passieren wir das Städtchen Boali, wo die Anti-Balaka-Milizionäre wie Hyänen Kreise um ihre umzingelte Beute ziehen. Ausgerechnet in einer Kirche hat die muslimische Bevölkerung Zuflucht gefunden: beschützt von einer französischen Kompanie und dem katholischen Priester, der nach eigenen Worten „eher sterben“ würde, als seine Schützlinge den Milizen auszuliefern. Er habe seiner Gemeinde während der Messe den Kopf gewaschen, sagt Priester Xavier Fagba: Wer Rache übe, solle zur Kommunion erst gar nicht nach vorne treten. Sein Appell scheint allerdings wenig zu helfen: Derzeit stellt die französische Schutztruppe täglich einen Konvoi zusammen, der die Muslime in die Hauptstadt Bangui transportiert. Dort geht ihre Flucht gleich weiter: In einem beispiellosen Exodus verlassen derzeit Zigtausende von Muslimen von afrikanischen Soldaten eskortiert ihre Heimat in Richtung Tschad – eine Fluchtwelle, die selbst in Afrika ihresgleichen sucht. Der Gedanke, dass in „seinem“ Hospital künftig nur noch Christen behandelt werden, ist Volker Rath ein Gräuel: „Aber Politik können wir hier keine machen. Wir müssen helfen, wo und wem wir können.“